Kostbarer Schatz in MV: Die bedrohte Haselmaus
In der Roten Liste für gefährdete wildlebende Säugetiere Mecklenburg-Vorpommerns ist sie noch mit dem Gefährdungsstatus 0 eingetragen. Das bedeutet: ausgestorben oder verschollen. Mittlerweile haben Wissenschaftler hierzulande zwei Habitate der Haselmaus ausfindig machen können. Offen ist, wie viele Tiere es insgesamt sind.
Die winzig kleine Haselmaus ist etwa so groß wie ein erwachsener menschlicher Daumen aber keine Maus. Haselmäuse gehören zur Familie der Bilche, erzählt Sven Büchner aus Sachsen, einer der Haselmausexperten in Deutschland. Der Biologe befasst sich seit 1995 mit dem zarten Tier, das nur in Europa lebt.
Spurensuche in MV
In Mecklenburg-Vorpommern betreut Sven Büchner das landesweite Monitoring. Er und andere Artenschützer suchen immer im Herbst nach verlassenen Sommernestern und Fraßspuren. Die Haselmaus hat ihren Namen daher, weil sie besonders gern Haselnüsse frisst. Der hohe Vitamin E-Gehalt sorgt dafür, dass die Tiere sehr schnell Fettreserven für den Winterschlaf aufbauen können, in dem sie sich gerade befinden. Und beim Öffnen der Nuss geht die Haselmaus einzigartig vor. "Die Nuss sieht aus, als sei sie parallel zum Lochrand von einer Drehmaschine geöffnet worden. Und anhand dieser Spuren kann man elegant nachweisen, hier war eine Haselmaus am Werk." Der zweite sichere Nachweis ist das Nest. Nur erfahrene Forscher können das kleine kugelförmige Zuhause einer Haselmaus etwa von dem einer Zwergmaus unterscheiden.
Haselmaus ist Inselbewohnerin
Mecklenburg-Vorpommern hat das einzige deutsche Inselvorkommen. Hierzulande lebt die Haselmaus auf Rügen. Das findet Sven Büchner sehr spannend. "Wir wissen inzwischen, dass die Haselmäuse, die auf Rügen vorkommen, genetisch nahe denen auf Mön sind, also dass sie mit dem dänischen Inselvorkommen zusammenhängen. Die müssen vor 7.000 bis 8.000 Jahren über den Norden, bevor die Ostsee sich gebildet hat, nach Rügen eingewandert sein". Die einzelnen kleinen Vorkommen auf Rügen leben auf sehr alten Waldstandorten. Anders ist die Situation im zweiten bekannten Habitat. Haselmäuse wurden auch in Nordwestmecklenburg östlich vom Ratzeburger See gesichtet. Hier lebt das Tier fast nicht in Wäldern, sondern es bevorzugt Heckenlandschaften mit Knicks und Reddern.
Anzahl der Tiere unbekannt
Wie viele Haselmäuse überhaupt in Mecklenburg-Vorpommern leben, kann Sven Büchner nicht sagen. Es sei einfach zu schwer, die Haselmäuse zu zählen, eben weil sie so winzig klein, dann auch noch nachtaktiv und nahezu ständig versteckt in Hecken und Sträuchern unterwegs sind. "Es ist einfacher die Robben auf der Sandbank und die Störche auf ihren Nestern zu zählen". Im Gegensatz zu den Heckenlandschaften gibt es erste Erkenntnisse zu den Haselmäusen, die im Wald leben. "Für die Wälder wissen wir inzwischen, dass wir bei guten Beständen von ein bis zwei erwachsenen Tieren pro Hektar sprechen". Das zeigt, wie gering die natürliche Dichte bei den daumengroßen Haselmäusen ist.
Kaum Grundlagenforschung
Zudem fehlen grundlegende Daten zu den Haselmäusen und ein historischer Vergleich. Haselmäuse zählen zu jenen Tieren, die lange nicht erforscht wurden. Auf Rügen wurde das Tier bis in die 1960er Jahre nachgewiesen. Danach gab es bis 1998 eine lange Nachweislücke. Deshalb gilt die Haselmaus auch als verschollen, weil die Rote Liste für gefährdete wildlebende Säugetiere Mecklenburg-Vorpommerns von 1991 stammt. Für die Schaalseeregion lagen die letzten Nachweise aus dem Jahr 1906 vor. "Lange hat niemand hingeguckt", resümiert Sven Büchner. Deswegen hat sich der Biologe mit einem Forscherkollegen auf die Suche gemacht, um zu erfahren, ob die Haselmaus dort noch lebt. Regelmäßig werden nun immer wieder dieselben Flächen abgesucht, um Vergleichswerte sammeln zu können.
Monitoring soll aufklären
Der Wissenschaftler hat zudem alte Landschaftskarten aus dem 18. Jahrhundert ausgewertet und die darin typische Heckenlandschaft in Nordwestmecklenburg wiederentdeckt. "Und exakt in dem Redder, der in der alten Karte eingezeichnet ist, finde ich heute noch Haselmäuse". Aus den Karten ist auch ablesbar, dass viele Redder und Knigge nicht mehr da sind. Daraus schließt der Wissenschaftler, dass auch der Haselmausbestand stark zurückgegangen sein muss, aber es fehlen historische Vergleichsdaten. Sven Büchner ist die Haselmaus mittlerweile ans Herz gewachsen, deshalb steckt er sehr viel Kraft und Zeit in die Kartierung dieser zarten Wesen.
Frost als Feind
Erschwerend kommt hinzu, dass es in ganz Deutschland, etwa ab 2013, einen stark abnehmenden Trend bei der Haselmaus gibt. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, einer ist die Witterung. Haselmäuse sind sehr weich im Fell und durchnässen deswegen sehr schnell. Sven Büchner blickt dabei auf den Mai 2021. Dieser war sehr lange frostig kalt und nass. "Blüten und erste Früchte sind erfroren. Die Haselmaus hatte es schwer, Nahrung zu finden. Viele Tiere sind selbst erfroren." Nasskaltes Wetter im Frühjahr wirkt sich sehr negativ auf die Bestände aus. Das zeigen die vorliegenden Modelle. Ist es warm und sonnig im Frühling und Herbst, fühlen sich auch die Haselmäuse wohl. Sie haben lange ausreichend Nahrung, bringen teilweise noch im November Nachwuchs zur Welt und können sich die nötigen Fettreserven für den Winter anfuttern.
Artenschutz ist Herzensangelegenheit
Sven Büchner wünscht sich für die Haselmaus optimale Lebensbedingungen, die dazu führen, dass die Art nicht ausstirbt. Auch die EU-Kommission fordert, alles für den Erhalt der winzigen Bilche zu tun. Fachlich koordiniert wird das in Mecklenburg-Vorpommern vom Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie, in dessen Auftrag auch Sven Büchner arbeitet. Der Wissenschaftler wünscht sich vor allem bunte blühende Waldränder. "Landwirte sind aufgrund der EU-Förderpolitik gezwungen, bis an die letzte Baumkante zu ackern, und die Förster auf der anderen Seite wollen nicht auf die erste Baumreihe verzichten, sodass also der Waldmantel verloren gegangen ist". Und nicht nur das, betont Sven Büchner, der in seiner Heimat Sachsen auch Biolandwirt ist. Den winzigen Tieren fehlen auch vernetzte Heckenlandschaften, damit sich Haselmäuse auch untereinander finden und für Nachwuchs sorgen können.