Chronisch Kranke leiden besonders unter Ärztemangel in MV
Sie ist bekannt als die "Krankheit der 1000 Gesichter": Multiple Sklerose (MS). Etwa 2.500 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern sind von der unheilbaren Erkrankung des zentralen Nervensystems betroffen. Gerade in ländlichen Regionen sind Fachärzte, die auf chronische Krankheiten wie MS spezialisiert sind, knapp.
Christin Friesecke aus Gelbensande bekam ihre Diagnose, als sie 29 Jahre alt war: Ihr Nervensystem ist chronisch entzündet, sie hat Multiple Sklerose - kurz MS. "Das war erstmal ein Schock. Es fiel alles zusammen", schildert sie. Aus beruflicher Sicht kannte die gelernte Krankenschwester Multiple Sklerose schon lange. Aber darauf, dass sie selbst eines Tages zur Betroffenen wird, war sie nicht vorbereitet: "Ich war noch jung, ich wollte noch mehr erleben und anders mein Leben gestalten und das fiel nun alles weg. Wir mussten umstrukturieren, es war nicht so einfach", sagt die heute 39-Jährige.
Lange Wege und Wartezeiten für Facharzttermine
Viele Beschwerden, wie Sehstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten, sieht man Christin Friesecke auf den ersten Blick nicht an. In regelmäßigen Abständen muss sie zu einer Fachärztin. "Termine kriegen ist natürlich sehr, sehr schwer. Man hat Wartezeiten über Monate, das ist bei den Ärzten so, das ist bei den Therapeuten so", berichtet sie. Gerade für neue Patientinnen und Patienten sei das ein Problem. Ihre auf MS spezialisierte Neurologin, Dr. Katrin Kreiner, hat zwei Standorte: in Ribnitz-Damgarten und in Bad Doberan. Dort betreut sie neben MS-Patientinnen und Patienten auch Menschen mit anderen neurologischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Demenz oder Parkinson.
Rund 800 MS-Erkrankte nicht ausreichend versorgt
Die ambulante Versorgung der rund 2.500 MS-Erkrankten in Mecklenburg-Vorpommern teilt sich laut Dr. Kreiner auf 14 spezialisierte Neurologen auf. "Somit sind circa 180 Erkrankte pro Behandler in Mecklenburg-Vorpommern eindeutig zu viel", sagt sie. Ein großer Anteil der Fachärzte und -ärztinnen sei zudem bereits älter als 55 Jahre. Weil der Nachwuchs fehlt, drohe die Gefahr von Versorgungslücken. "Circa 800 MS-Erkrankte in MV bereits jetzt nicht ausreichend versorgt", so Dr. Kreiner. In zehn Jahren könnten es doppelt so viele sein.
DMSG unterstützt Betroffene
Die Gefahr von Versorgungslücken, besonders in ländlichen Regionen in Vorpommern, sieht auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), Stefan Bobzin. Die DMSG bietet zwar keinen Ersatz für Ärzte, aber sie unterstützt die Betroffenen in anderen Bereichen: "Gerade was soziale Probleme betrifft: Rentenanträge, Berufsunfähigkeit, die Thematik, Ärzte zu finden", so Bobzin.
Ausbildung zu "MS Nurses"
Die DMSG hilft außerdem dabei, Praxisassistenten und -assistentinnen speziell auf die Bedürfnisse von MS Erkrankten auszubilden: zu sogenannten MS Nurses. Mit ihnen hat auch Neurologin Dr. Katrin Kreiner in ihren Praxen in Bad Doberan und Ribnitz-Damgarten schon gute Erfahrungen gemacht: "Sie können sehr gut mit den Angehörigen kommunizieren und Dinge akkurat übermitteln, wie es mit der Medikation oder mit Hilfsordnungen weitergeht", schildert sie. "Da wird uns so viel abgenommen." Dr. Kreiner sieht außerdem eine Chance darin, künftig noch mehr auf sektorübergreifende Zusammenarbeit zu setzen, vielleicht in Form von Medizinischen Versorgungszentren.
94 Prozent der über 80-Jährigen chronisch krank
Wie viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt eine chronische Krankheit haben, dazu gibt es keine umfassenden Zahlen. Die Krankenkasse AOK Nordost gibt an, dass 86 Prozent ihrer über 60-jährigen Versicherten chronisch krank sind. In der Gruppe der 80-jährigen Versicherten seien es ganze 94 Prozent. Laut der Barmer gehört in Mecklenburg-Vorpommern Bluthochdruck zu den häufigsten chronischen Leiden, gefolgt von Diabetes Mellitus Typ 1 und 2 sowie Depressionen.
Christin Friesecke hat für ihre Zukunft bescheidene Wünsche: "Dass es so bleibt, wie es jetzt ist, vom Gesundheitszustand her", sagt sie. Ihr Ziel sei es, so oft es geht an der frischen Luft zu laufen, damit sie möglichst lange fit bleibt.