Kommentar: Echter Inflationsausgleich ist nicht zu viel verlangt
Über Ostern wird es keine Streiks geben - das ist die gute Nachricht nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Eine Schlichtungskommission wird jetzt versuchen, eine Lösung für den Konflikt zwischen Arbeitgeber-Seite und Gewerkschaften zu erarbeiten.
Ein Kommentar von Arne Schulz, NDR Info
8 Prozent mehr Geld, mindestens 300 Euro - und dazu eine hohe Einmalzahlung. Klingt nach einem großzügigen Angebot der Arbeitgeber. Klingt, als müssten Beschäftigte eigentlich nur "Ja" sagen. Tun sie aber nicht, die Beschäftigten. Und dafür gibt es gute Gründe.
Der letzte Tarifabschluss im öffentlichen Dienst stammt aus dem Jahr 2020. Erst danach kam die große Inflation. Sie wurde in den Verhandlungen damals also gar nicht berücksichtigt. Die Folge: Nur um 1,8 Prozent stiegen die Entgelte im öffentlichen Dienst im Jahr 2022, die Inflation lag aber bei fast 8 Prozent. Real haben die Beschäftigten zuletzt also eine Menge Geld verloren. Deshalb sind ihre Forderungen so hoch - und deshalb lehnen sie ein scheinbar großzügiges Angebot ab.
Laufzeit für neuen Tarifvertrag ist ein Knackpunkt
Und noch etwas erschwert eine Einigung: die vorgeschlagene Laufzeit des neuen Vertrags. Die Gewerkschafter wollen, dass er nur ein Jahr läuft. In diesem Jahr, 2023, dürfte die Inflation nämlich noch sehr hoch bleiben - laut Prognosen etwa sechs Prozent. Für nächstes Jahr gehen Wirtschaftsforscher von deutlich weniger aus. Falls es so kommt, könnte man bei einer kurzen Laufzeit dann noch mal neu und wohl auch deutlich moderater verhandeln.
Die Arbeitgeber aber wollen etwas anderes: Sie boten zunächst eine Laufzeit von mehr als zwei Jahren. 8 Prozent Erhöhung klingt da nur noch halb so großzügig. Berücksichtigt man die Inflation, wäre ein weiterer Kaufkraftverlust der Beschäftigten damit ziemlich wahrscheinlich.
Gewerkschaften sollten nicht überziehen
Klar, wir reden hier nicht über ein Unternehmen wie die Post, das im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn verbucht hat. Es gibt Kommunen, die hohe Schulden und kaum finanzielle Spielräume haben, die sich sorgen, weil die Zinsen für neue Kredite gestiegen sind und sie das in den nächsten Jahren immer stärker zu spüren bekommen werden.
Ein hoher Tarifabschluss dürfte einige Kommunen bis an die Schmerzgrenze belasten. Die Gewerkschaften sollten da nicht überziehen. Insgesamt aber nimmt der Staat gerade an vielen Stellen sogar deutlich mehr Geld ein. Die Steuereinnahmen steigen.
Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst müssen attraktiv bleiben
Und noch ein letzter Punkt: Dass Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst attraktiv bleiben, ist doch eigentlich auch im Interesse der Arbeitgeber. Schon jetzt fehlen Tausende Fachkräfte. Kitas verkürzen ihre Öffnungszeiten. Kliniken zahlen Willkommensprämien, um ihre Stellen irgendwie zu besetzen. Das ist das eigentliche Problem.
Ist ein echter Inflationsausgleich für Erzieher, Müllwerker oder Standesbeamten da wirklich zu viel verlangt? Ich finde: nein.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.