Kommentar: ChatGPT - wie wollen wir uns künftig verlässlich informieren?
Sie wird unseren Alltag spürbar beeinflussen und so einige Berufsfelder verändert. Es sind nicht mehr nur die eher einfachen Tätigkeiten, die von Rechnern und Robotern übernommen werden - jetzt kommt diese Veränderung auch bei den Kreativberufen an. Die Künstliche Intelligenz (KI) ist das Thema im NDR Info Wochenkommentar "Die Meinung".
von Hendrik Brandt, Chefredakteur in der Madsack-Mediengruppe Hannover
Nein, keine Sorge. Hier sitzt immer noch ein Mensch - und dieser Beitrag ist auch nicht von einer Maschine aus Datenbank-Bausteinen zusammengefügt. Alles selbst gemacht. Was aber nicht heißt, dass so etwas nicht ginge. Ganz im Gegenteil. Wer in dieser Woche den öffentlichen Wettlauf von Microsoft, Google und ihren chinesischen Gegenspielern um die Aufmerksamkeit für mehr oder minder selbst denkende Textprogramme im Netz verfolgt hat, ahnt: Da ist etwas richtig Großes unterwegs.
Ein neuer "iPhone-Moment"
Dabei geht es nicht mehr nur um die verblüffend guten Fähigkeiten neuer Computersoftware. Keine Frage: Dass "ChatGPT", "Ernie" oder "Bard" (so heißen die wirklich) Informationen fast in Echtzeit zu passablen Texten verbinden und neuerdings sogar, naja, Gedichte schreiben können, ist eindrucksvoll. Das wird unseren Alltag auf Sicht spürbar beeinflussen und manches Berufsfeld verändern. Zum ersten Mal sind es nun nicht mehr nur die eher einfachen Tätigkeiten, die von Rechnern und Robotern übernommen werden - jetzt kommt diese Veränderung auch bei den Kreativberufen an.
Einige Experten sprechen schon von einem neuen "iPhone-Moment" und erinnern daran, wie die Markteinführung des Smartphones unsere Kommunikation in vielerlei Hinsicht umgekrempelt hat. Das läuft übrigens gerade mal seit knapp 15 Jahren.
Wie verlässlich sind die neuen Informationen?
Doch ganz gleich, ob es jetzt sofort oder vielleicht ein wenig später wieder so kommt - mit der Offensive der Technikgiganten aus den USA und China liegt ein anderes Thema wieder neu auf dem Tisch: Wie wollen wir uns künftig verlässlich informieren? Und knapp dahinter lauert dann die alte Philosophenfrage: Was können wir wissen?
Wenn etwa die Suchmaschinen auf den Computern künftig nicht mehr nur Netzadressen oder Informationsbrocken, sondern ganze Texte auf unsere Anfragen liefern (und sicher bald auch die passend eingebauten Bilder und Filme), stellt sich diese Frage einmal mehr ganz neu.
Schon jetzt folgen viele Menschen arglos allem, was Suchalgorithmen, Wikipedia oder einfach "das Internet" so an Details ausspucken - wie soll es dann erst werden, wenn dort nun bald servierfertige Texte zu bestellen sind? Welche Schul-Hausaufgabe, welche Ausarbeitung eines Azubis oder Seminar-Arbeit an der Universität kann da noch ernsthaft als gleichsam hausgemacht gelten? Wer kann noch überprüfen, ob erstens nicht doch die Maschine dahintersteckt - und zweitens überhaupt stimmt, was sie behauptet?
Vieles ist sehr wohl künstlich, aber längst nicht alles intelligent
Die Programmiererinnen und Programmierer, die mit gutem Recht stolz auf ihre Arbeit sind, sprechen hier oft von "KI". "Künstlicher Intelligenz" also, die sie erzeugt haben und nun nutzen wollen. Der Begriff ist schillernd und führt auch ein wenig in die Irre. Denn er darf nicht darüber hinweg täuschen, dass hier vieles sehr wohl künstlich, aber längst nicht alles intelligent ist. Kern des Problems: Die neuen Programme verknüpfen vorhandenes, ihnen von Menschen bereitgestelltes Wissen. Da sind sie jetzt richtig gut geworden.
Aber sie sind eben nicht in der Lage, Sachverhalte selber zu reflektieren und sinnvoll in inhaltliche Zusammenhänge einzuordnen. Google beschäftigt sich zum Beispiel gerade mit der Frage, die dort unter dem Kürzel "NORA" verhandelt wird: Was ist, wenn es "not one right answer" auf eine Anfrage gibt? Mehr als eine Wahrheit also, so etwas soll ja vorkommen.
Potenzial zur Blamage
Da wird es dann noch mal komplizierter. Die Netzgiganten aus den USA, die nach dem Ende ihres Corona-bedingten Booms mit den KI-Programmen gerade neue Erfolgserlebnisse suchen, wissen das. Anders als kleine Startups können Sie es sich nicht leisten, dass ihre künstliche Intelligenz sich hier oder da als herzlich dumm erweist. Google etwa blamierte sich bei der Vorführung des neuen Programms in dieser Woche noch mit einem sachlichen Fehler.
Und die Leute von Microsoft, die ihrer müden Suchmaschine Bing jetzt mit KI neues Leben einhauchen wollen, stecken in einem Dilemma: Sie haben sich den aktuell besten Textgenerator "ChatGPT" gekauft, liegen in Sachen Marktreife damit einerseits vor den Konkurrenten. Anderseits hat Microsofts KI-Angebot somit den Stand von Ende 2021 - weil man offensichtlich bei der Fütterung der Maschine noch nicht weiter gekommen ist. Wer hier also eine wirklich alltagstaugliche Anwendung präsentieren kann, ist noch offen. Der Streit ist im Grunde gut - denn ein weiteres Defacto-Monopol à la Google wäre hier ja noch übler.
Wie auch immer diese und weitere Auseinandersetzungen ausgehen - die dahinter stehende Technik wird unser Leben nach und nach weiter verändern. Dass es hier wie beim autonomen Fahren und anderen Anwendungen dann doch immer ein wenig länger dauert, bis es wirklich funktioniert, ist kein Argument dagegen. Die Zwischenzeit aber lässt sich nutzen: Für die Verabredung von dringend notwendigen Regeln zum Umgang mit der neuen Technik, zum entspannten Spielen und Üben - und vielleicht auch, um ein bisschen darüber nachzudenken, wohin das alles führt. Denn das werden uns die Maschinen nicht abnehmen können. Also: vorerst.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.