NDR Info - Redezeit
Dienstag, 07. November 2023, 19:03 bis
20:00 Uhr
NDR Info Redezeit: Kommunalpolitik in der Sackgasse?
Hörerinnen und Hörer haben mit Experten über die kleiner werdende Beteiligung in der Kommunalpolitik diskutiert. Die Sendung als Video-Mitschnitt.
Wer sich kommunal in der Politik engagiert, kann auf lokaler Ebene Einfluss nehmen und an Entscheidungen teilhaben, die den Alltag unmittelbar beeinflussen. Doch warum gibt es immer weniger Menschen, die dies auch tun? Das war Thema in der NDR Info Redezeit.
Wo wird eine Kita gebaut? Wie sieht der Spielplatz um die Ecke aus? Sollte es mehr Mülleimer im Stadtteil geben? Das sind Beispiele für Fragen, die in der Kommune entschieden werden. Wer sich auf kommunaler Ebene politisch engagiert, gestaltet das eigene Umfeld. Trotzdem wollen sich immer weniger Menschen ehrenamtlich "vor der Haustür" politisch engagieren.
Befragung ergibt: Nur die wenigsten Menschen engagieren sich
Eine NDR Befragung zeigt: Die meisten Menschen sind der Meinung, dass sie etwas bewegen könnten. Doch die wenigsten tun es. Die nicht repräsentative Befragung von #NDRfragt Mitgliedern ergibt, dass 60 Prozent glauben, dass sie in ihrer Stadt oder Gemeinde politisch etwas verändern können. Viele Teilnehmende haben sogar angegeben, sich in einer Form politisch zu beteiligen. Die meisten diskutieren mit Freunden oder Familie über Politik. Jedoch: Nur die Minderheit hat in einer politischen Partei mitgearbeitet (acht Prozent) oder hatte beziehungsweise hat selbst ein politisches Amt inne (vier Prozent).
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Fehlende Achtung, hohe Erwartungshaltung
Einer der Gründe: Kommunal-Engagierte haben es oft schwer. Der ehemalige Kölner Kommunalpolitiker Marco Pagano beschreibt in seinem Buch "Kleine Helden" unter anderem den Zeitmangel, die schwierigen Verwaltungsprozesse und die fehlende Achtung in der Gesellschaft. "Die Erwartungshaltung der Menschen vor Ort wurde immer größer. Erwartungen an Erreichbarkeit und Teilnahme an Terminen. Deutliches Unverständnis, wenn man einmal als Ehrenamtler nicht kann."
Beleidigungen und Bedrohungen
Doch es mangelt nicht nur an Wertschätzung. Viele Engagierte berichten von Anfeindungen. Eine nicht repräsentative, aber breit angelegte Befragung im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2022 zeigt: 60 Prozent der Befragten haben schon Beleidigungen, Bedrohungen oder tätliche Übergriffe erlebt. Bei knapp einem Drittel haben die Anfeindungen und Angriffe oder die Sorge vor weiteren Aggressionen zu Veränderungen des persönlichen Verhaltens geführt. Knapp fünf Prozent der Befragten gab sogar an, ganz ans Aufhören zu denken. Wenn Kommunalpolitikerinnen und -politiker angesichts von Beleidigungen, Bedrohungen und Angriffen ihr persönliches Verhalten ändern oder ans Aufgeben denken, dann gefährde der Hass nicht nur die Politiker und Politikerinnen selbst, sondern auch die demokratische Gesellschaft, so ein Resümee der Studie.
Nicht attraktiv - besonders für Frauen
Besonders herausfordernd ist es, Frauen für die Kommunalpolitik zu gewinnen. So hat das Bundesgleichstellungsministerium ein Aktionsprogramm gestartet, um den Anteil von Frauen in Rathäusern, Landratsämtern und kommunalen Vertretungen auszubauen. Vor den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein im Mai kritisierte Anke Homann vom Landesfrauenrat: "Die Hürden für Frauen sind noch viel zu hoch." Frauen seien diejenigen, die die meiste Betreuungsarbeit von Kindern oder Angehörigen übernehmen würden und das ließe sich schwer mit Politik vereinbaren. "Frauen machen die Hälfte unserer Gesellschaft aus. Wenn sie nicht an politischen Entscheidungen beteiligt werden, fehlt eine entscheidende Perspektive", sagte Homann.
Was muss sich ändern?
Wie kann kommunales Engagement wieder attraktiver werden - für Männer und Frauen, junge und ältere Menschen? Wie muss sich die gesellschaftliche Haltung gegenüber kommunaler Politik ändern? Und welche neuen Instrumente und Möglichkeiten der Mitbestimmung gibt es auf kommunaler Ebene?
NDR Info Moderator Gerd Wolff begrüßte als Gäste:
Claudine Nierth
Bundesvorstandssprecherin des Vereins "Mehr Demokratie"
Marco Pagano
ehemaliger Bezirksbürgermeister von Köln-Kalk, Buchautor
Justus Schmitt
stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Union Schleswig-Holstein (Kreis Pinneberg)