Der Kommunalpolitik fehlen die Frauen
Die Mehrheit der Kandidaten auf den Listen für die Kommunalwahl in Schleswig-Holstein sind Männer. In 45 Gemeindevertretungen sitzt derzeit keine einzige Frau. Die Politik muss familienfreundlich werden, fordert der Landesfrauenrat.
Es ging einfach nicht mehr für Lisa Yilmaz: Bis zu 20 Stunden Arbeit neben ihrem Vollzeitjob, mit zwei kleinen Kindern und dem Anspruch, gute politische Arbeit zu leisten. Immer wieder musste ein Fußballspiel ihres Sohnes ausfallen und sie war oft krank. "Es war klar, dass sich etwas ändern muss", sagt sie heute - fünf Jahre nachdem sie ausgestiegen ist aus der Kommunalpolitik in Kiel.
Fünf Jahre saß Lisa Yilmaz für die SPD im Stadtparlament. Ihre Schwerpunkte: Umwelt- und Migrationspolitik. Bei Einzug ins Parlament 2013 war ihr Sohn gerade vier Wochen alt. Gestillt hat sie oft in einer Nische im Fraktionssaal, während die Sitzungen weiterliefen. Noch heute ist das Gefühl geblieben, dass sie etwas nicht geschafft hat. "Aber ich war auch froh, als die Zeit im Parlament rum war."
Frauen gesucht
Kommunalpolitik lebt vom Engagement Einzelner, von der Bereitschaft, freie Zeit zu investieren und Verantwortung zu übernehmen. In vielen Gemeinden ist es oft schwierig, dafür überhaupt Kandidaten zu finden. Noch viel seltener sind es Frauen. Vielen geht es wie Lisa Yilmaz. "Die Hürden für Frauen sind noch viel zu hoch", kritisiert Anke Homann vom Landesfrauenrat, "Frauen sind in unserer Gesellschaft diejenigen, die die meiste Betreuungsarbeit von Kindern oder Angehörigen übernehmen und das lässt sich schwer mit Politik vereinbaren". Seit Monaten tourt Homann mit ihrem Verein durch die Gemeinden und versucht, Lösungen aufzuzeigen, wie mehr Frauen für die Kommunalpolitik gewonnen werden können.
"Frauen machen die Hälfte unserer Gesellschaft aus - wenn sie nicht an politischen Entscheidungen beteiligt werden, fehlt eine entscheidende Perspektive", sagt Homann. Denn der Blick auf die Öffnungszeiten der Kita, Straßenbeleuchtung oder die Radwege in der Gemeinde ist bei einer Frau ein anderer als bei einem Mann. "Es geht dabei nicht um besser oder schlechter. Es geht darum, dass eine gesellschaftliche Gruppe benachteiligt wird", so Homann.
Nur 37 Prozent Frauen auf den Listen
Der NDR Schleswig-Holstein hat die Listen zur Kommunalwahl ausgewertet: Für die Kreistage kandidieren aktuell 63 Prozent Männer gegenüber 37 Prozent Frauen. In den Gemeindevertretungen im Land ist jedes vierte Mitglied eine Frau und in 45 der 1.079 Gemeindeparlamente sitzt keine einzige.
So wie in Meggerdorf im Kreis Schleswig-Flensburg. "Ich habe für die Kommunalwahl gezielt Frauen angesprochen, aber meistens war die Antwort: Das schaffe ich nicht neben der Familie", sagt Bürgermeister Ralf Lange. Immerhin eine Direktkandidatin stellt die Gemeinde jetzt bei der Kommunalwahl auf.
Zeiten schwer mit Familie zu vereinbaren
Die Sitzungsrythmen sind in kleineren Gemeinden nicht so dicht wie in Kiel, aber bis zu sieben Mal tagen sie auch. Um 19.30 Uhr geht es in Meggerdorf los. Das ist die Abendbrots- und Zubettgehzeit bei Familien - auch ein Problem, für Väter, die sich politisch engagieren wollen. "Es ist schwierig das zu verändern", sagt Lange, "es muss ja auch für die Berufstätigen passen - eine Sitzung am Nachmittag können wir nicht machen." Ein Dilemma.
Die Kosten für Kinderbetreuung während einer Sitzung können inzwischen von der Kommune übernommen werden. Und viele Gemeinden und Kreistage bieten an, sich online zu den Sitzungen zuzuschalten. Aber die entscheidenden Hintergrundgespräche finden oft am Rande statt - das ist in der Kommunalpolitik auch nicht anders als in Berlin.
"Frauen müssen gezielt angesprochen werden"
Die Zeiten sind nicht das einzige Hemmnis. Der Landesfrauenrat fordert: "Frauen müssen gezielter angesprochen werden. Dort, wo sie sich in den Gemeinden engagieren." Das sind Untersuchungen zufolge: Schulen, Kitas, Landfrauenvereine oder die Kirche. "Jetzt läuft es oft so, dass Männer Männer ansprechen und das traditionell bei der Feuerwehr oder dem Sportverein", sagt Anke Homann. Es gehe darum, über den Tellerrand zu schauen, um engagierte Frauen zu gewinnen.
Das andere sind die Debattenkulturen, Redezeiten und Anfeindungen, die überproportional oft Frauen in der Kommunalpolitik treffen. Einer Umfrage der Politischen Akademie für Frauen (EAF) zufolge, sind 60 Prozent aller Politikerinnen schon einmal sexuell belästigt worden. "Das tue ich mir nicht an", haben uns viele Frauen in den Gemeinden gesagt, berichtet Homann.
"Am Ende wollte keine mitmachen"
Dabei kann Kommunalpolitik auch sehr erfüllend sein: "Du kannst sehr direkt etwas verbessern, mitgestalten", sagt Lisa Yilmaz. Gerade die Corona-Pandemie habe doch gezeigt, wie wichtig es sei, dass auch Familien die Entscheidungen beeinflussten. Deshalb hat die SPD-Politikerin sich auch entschieden, in diesem Jahr wieder zu kandidieren. Für Flintbek, ihre neue Heimatgemeinde. Ausschlag hat dabei ein Abend im November gegeben, an dem sie bewusst Gemeindemitglieder zu sich eingeladen hatte. Sie wollte für ein Engagement in der Kommunalpolitik werben: "Von den 28 Frauen, die ich eingeladen hatte, sind nur acht gekommen und am Ende wollte keine mitmachen. Keine."