Wachstum adé? Wie Amsterdam die Donut-Ökonomie lebt
Für mehr Klimaschutz und eine gerechtere Gesellschaft: Amsterdam setzt als erste Stadt weltweit die "Donut-Ökonomie" in die Praxis um. Ein Grundsatz: weniger Konsum, stattdessen mehr Teilen und Recyceln. Ist das auch ein Modell für Städte und Gemeinden in Norddeutschland?
Viele Menschen stellen sich mit Blick auf die weltweite Klimakrise die Frage: Müssen wir unser Wirtschaftssystem grundsätzlich ändern, um wirklich klimabewusst leben zu können? Die Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth antwortet auf diese Frage: Ja, wir müssen dringend etwas ändern! Mit dem Fokus auf immer mehr Wachstum zerstöre die Menschheit die Lebensgrundlagen. Die Britin hat deshalb die Idee der "Donut-Ökonomie" entwickelt. Das Modell sieht ein Leben vor, das gut für das Klima und den Planeten ist - und zugleich das gesellschaftliche Zusammenleben fördert.
Amsterdam holt das Modell ins echte Leben
Ist die "Donut-Ökonomie" ein Modell, das in einer westlichen Gesellschaft funktionieren kann? Die Stadt Amsterdam will es versuchen und hat deshalb vor zweieinhalb Jahren beschlossen, ihre gesamte Politik an dem Donut-Modell auszurichten. Die damalige stellvertretende Bürgermeisterin Marieke van Doorninck hat diesen Schritt so begründet: "Es ist die Zeit gekommen, in der Leute darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist. Es geht nicht ums Geld verdienen und dass man alles hat, sondern darum, dass man genug hat."
"Die Stadt Amsterdam hat sich vorgenommen, eine Donut-Stadt zu werden. Das heißt im Grunde: glückliche Menschen auf einem lebenswerten und gesunden Planeten." Chandar, Bewohner des Hauses De Warren
Weniger neue Materialien, weniger Lebensmittel-Verschwendung
Amsterdam hat sich konkrete Ziele gesetzt: Bis zum Jahr 2030 soll der Konsum der Stadt - also unter anderem der Konsum der Verwaltungen und der städtischen Betriebe - um 20 Prozent reduziert werden, der Verbrauch neuer Materialien sogar um 50 Prozent. Die Lebensmittel-Verschwendung soll ebenfalls um 50 Prozent zurückgefahren werden. Zudem sollen Autos mit Verbrenner-Motoren ganz aus der Stadt verschwinden. Diese Schritte sollen dazu führen, dass Amsterdam bis zum Jahr 2030 60 Prozent der CO2-Emissionen gegenüber dem Jahr 1990 einspart.
Haus De Warren: Viel Recycling, viel Miteinander
Vor allem beim Thema Bauen will die niederländische Stadt etwas grundlegend ändern. Ein Vorzeige-Projekt ist das neuartige Haus De Warren im Osten der Stadt. 50 Menschen wohnen dort. Eine Besonderheit: 30 Prozent der Fläche werden gemeinschaftlich genutzt. Das sind insgesamt 800 Quadratmeter. So gibt es unter anderem ein Yogastudio, ein gemeinschaftliches Kinderspielzimmer, Arbeitsplätze mit Bildschirmen - und einen riesigen Aufenthaltsraum, den die Bewohner "Holzkathedrale" nennen. Denn überall ist Holz zu sehen.
Auch die Fassade des Hauses besteht größtenteils aus Holz. "Für uns war es wichtig, nicht einfach Holz zu verwenden, sondern Holz wiederzuverwenden", erzählt Bewohnerin Hanna Rudner. So ist in der Fassade Holz verbaut, das früher Teil von Boots-Anlegestellen war oder als Poller in Häfen genutzt wurde. Dieser Ansatz, möglichst viel Material zu recyceln und wiederzuverwenden, ist ein wesentliches Element der "Donut-Ökonomie".
"Energiepfähle" ermöglichen die Wärmepumpe
Das Haus De Warren wäre aber kein Vorzeige-Projekt, wenn sich nicht auch die Energiebilanz sehen lassen könnte. So ist das Gebäude klimapositiv. Das heißt: Das Gebäude erzeugt - zumindest im Sommer - mehr Energie, als es verbraucht. Dies gelingt durch Solaranlagen auf dem Dach, eine sehr gute Dämmung, stromsparende Geräte und ein ausgeklügeltes Heizungssystem. Zudem wurden 30 Meter lange Pfähle, die in den Boden gerammt wurden, um das Haus stabil zu halten, zu "Energie-Pfählen" umgewandelt. Das heißt: Durch Schläuche in dem Pfählen lässt sich die Wärme aus der Erde nutzen - für eine Wärmepumpe.
Die Stadt Amsterdam will in den kommenden Jahren 40.000 solcher Gebäude bauen - also Wohnhäuser, die stark auf recyceltes Material setzen und eine hervorragende Energiebilanz haben. Zugleich widmen sich die Wohnprojekte dem gesellschaftlichen Miteinander.
Soziologe: Verzicht kann ein Gewinn sein
Ein wichtiger Grundsatz der Donut-Ökonomie lautet: Weniger ist mehr. So fördert die Stadt Amsterdam auch Projekte, bei denen Kleidung oder Fahrräder repariert werden, anstatt sie wegzuwerfen und neu anzuschaffen. Doch das sind nur kleine Schritte. Im Grunde geht es darum, auf übermäßigen Konsum zu verzichten - und auch mal auf eine Flugreise. Aber sind die Menschen bereit, für den Klimaschutz auf vieles zu verzichten? Der Soziologe Benjamin Best vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gibt der Politik den Ratschlag: Statt über Verzicht oder theoretische Effekte aufs Klima zu reden, sollte mal lieber aufzeigen, welchen Gewinn geplante Maßnahmen für die Menschen bringen. Ein Beispiel: Wer öfter das Auto stehen lässt und mit dem Rad fährt, lebt gesünder - zugleich gibt es weniger Verkehrslärm und die Luft ist besser.
"Die Donut-Ökonomie ist sehr sinnvoll"
Auch in Norddeutschland gibt es eine Initiative, die sich dafür einsetzt, dass das Donut-Modell ein Leitfaden in der Stadtpolitik wird: die Doughnut Coalition Hamburg. Wäre das Konzept auch auf deutsche Städte übertragbar? Oder sogar auf Deutschland als Ganzes? Der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, hält dies für möglich. "Die Donut-Ökonomie ist ein sehr sinnvolles Konzept, damit wir wirtschaftlich nachhaltiger arbeiten können, damit wir Menschen nicht zulasten künftiger Generationen leben", sagt Fratzscher im Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise".
Es geht um die Frage: Was ist uns wichtig?
Der Teufel stecke natürlich im Detail und in der Umsetzung, so Fratzscher. "Das ist alles nicht ganz leicht. Denn wie die Donut-Ökonomie zeigt, gibt es sehr viele Dimensionen der Nachhaltigkeit, gibt es sehr viele verschiedene Dimensionen von Wohlstand. Und hier geht es immer um eine Abwägung und um die Frage: Was ist uns wichtig?", gibt der Wirtschaftsexperte zu bedenken. "Aber das heißt nicht, dass es nicht sinnvoll ist, es zu tun und zu versuchen." Deutschland und auch einzelne Städte und Gemeinden sollten sich offen zeigen für das Modell der "Donut-Ökonomie", fordert Fratzscher.