Ist es sinnvoll, CO2 im Nordsee-Boden zu speichern?
Das Verpressen von Kohlendioxid im Meeresboden könnte laut Weltklimarat ein Beitrag zum Klimaschutz sein. Wie riskant ist diese Technologie? Brauchen wir sie, um in Deutschland die Klimaziele zu erreichen? Wie viel CO2 könnte man überhaupt unter der Nordsee lagern?
Dänemark macht schon mal vor, wie es geht. Im März hat das Nachbarland damit begonnen, Kohlendioxid in der Nordsee zu verpressen - genauer gesagt in ein ehemaliges Ölfeld etwa 200 Kilometer vor der Küste. Ziel ist, dass das klimaschädliche Gas nicht in die Atmosphäre gelangt. Bei dem dänischen Projekt "Greensand" kommt das CO2 aus einer belgischen Chemiefabrik in Antwerpen. Dort wird es abgeschieden, verflüssigt und dann per Schiff zu der Plattform vor der dänischen Küste gebracht. Erstmal geht es um sehr kleine Mengen, in Zukunft sollen aber pro Jahr acht Millionen Tonnen CO2 verpresst werden. Das wären 13 Prozent der aktuellen CO2-Emissionen Dänemarks. Und es ist noch ein weiteres großes Projekt in der dänischen Nordsee in Planung.
Einige Länder sind Vorreiter
Dänemarks Energie- und Klimaminister Lars Aagaard ist fest davon überzeugt, dass man CO2-Verpressung braucht, um die Klimaziele zu erreichen, und auch die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, sieht das so. Nicht nur Dänemark setzt auf die Technologie, auch Großbritannien und die Niederlande planen ähnliche Projekte. Norwegen verpresst schon seit 26 Jahren CO2. Und Deutschland?
Noch ist CO2-Speicherung unter der Nordsee nicht möglich
Die Bundesregierung prüft, ob womöglich eigene Projekte zur Verpressung von CO2 in der Nordsee angestoßen werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will in wenigen Monaten ein Gesetz auf den Weg bringen, das CO2-Speicherung erlaubt. Bisher ist sie faktisch verboten.
Die Forschung läuft. Welche Gesteinsschichten sind geeignet? Kann das Verfahren gefährlich für die Umwelt sein? Das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel ist weltweit eines der führenden Institute bei der CCS-Forschung. CCS steht für die englischen Begriffe Carbon Dioxide Capture and Storage und meint übersetzt: das Abfangen und die Speicherung von Kohlendioxid. Einer der Wissenschaftler ist Christian Deusner. "Wenn man CCS machen sollte, muss man sicherstellen, dass das CO2 auch da unten bleibt und nicht austritt, irgendwo ins Meerwasser eintritt und so den pH-Wert absenkt."
Viele Deutsche sind skeptisch
Die Forscherinnen und Forscher in Kiel prüfen deshalb, ob die Gesteinsschicht unter dem Meeresboden der deutschen Nordsee geeignet wäre. Deusner zeigt sich optimistisch, dass die Risiken überschaubar sind: "Wir haben keine Daten, die uns sagen würden, dass es ein Risiko gibt, dass das verpresste Kohlendioxid aus der Formation tatsächlich weit aufsteigen könnte." Aber das Forscher-Team setzt die Forschungen fort, will die Verpressung simulieren. "Wir gucken uns das genau an", kündigt Deusner an.
Denn die Skepsis in Deutschland gegenüber der CCS-Technologie ist verbreitet. Eine Umfrage, die das Institut für Weltwirtschaft in Kiel vor Kurzem durchgeführt hat, zeigt: Von allen europäischen Ländern, in denen Menschen befragt wurden, stehen die Deutschen dem Verfahren am kritischsten gegenüber. Und: Mehr als die Hälfte der deutschen Teilnehmenden hatte noch nie von CCS gehört.
Meeresforscher: CCS könnte Teil der Lösung sein
Wie funktioniert CCS genau? Diese Frage kann Klaus Wallmann beantworten. Er ist Professor an der Universität Kiel, leitet auch eine Abteilung am Geomar und forscht seit 15 Jahren zu CCS. Wallmann gilt als einer der führenden Experten auf dem Gebiet. Er bezeichnet sich selbst als Meeresforscher und Meeresschützer. "Wir sind ein bisschen frustriert, dass wir seit ewigen Jahren sagen: Ihr müsst aufhören, so viel CO2 zu emittieren, weil ihr damit auch die Meere ruiniert", sagt Wallmann im Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise". "Aber das passiert halt nicht. Und dann denken viele von uns eben darüber nach: Haben wir einen Beitrag, mit dem wir helfen können, dieses Problem zu lösen?" Und das ist für Wallmann die CCS-Technologie unter dem Meer. Zumindest, um einen Teil des Problems zu lösen, sagt er. Und deshalb erforscht Wallmann, wie man Kohlendioxid in der deutschen Nordsee verpressen könnte.
Ist es geologisch überhaupt möglich, im großen Stil CO2 zu verpressen? Die Antwort lautet: Ja. Neue Schätzungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe haben eine Speicherkapazität in der deutschen Nordsee von zwei bis acht Milliarden Tonnen CO2 errechnet- zum Vergleich: Zurzeit stößt aktuell Deutschland rund 660 Millionen Tonnen CO2 im Jahr aus.
CO2: Abscheiden, verflüssigen und verpressen
Der erste Schritt bei der CO2-Verpressung im Meer: Das Kohlendioxid muss abgefangen werden, zum Beispiel aus Zementwerken. Denn bei der Zement-Produktion wird unweigerlich viel CO2 frei. Aber das Fabrik-Abgas umfasst auch andere Gase. Zunächst ist es also erforderlich, das CO2 abzutrennen, was sehr energieaufwendig und teuer ist. Nach dem Abscheiden wird das CO2 verflüssigt. So lässt sich das CO2 am besten transportieren, per Pipeline oder per Schiff. "Am Speicherort braucht man dann eine große, starke Pumpe, mit der man das CO2 in den tiefen Untergrund, in den Sandstein, verpressen kann", erklärt Experte Wallmann.
Wie wahrscheinlich sind Leckagen?
Die Besonderheit ist, dass der Sandstein porös ist. Das heißt, dass in dem Stein kleine, mit Wasser gefüllte Löcher vorhanden sind. Und wenn das CO2 da hineingepresst wird, verdrängt es in diesen Mini-Löchern teilweise das vorhandene Wasser. Dafür braucht man aber viel Druck - zumal der Druck tief unten im Meeresboden bereits sehr hoch ist. "Man verpresst das CO2 in zwei Kilometern Tiefe. Da unten ist es warm, 60 Grad im Schnitt. Und der Druck ist wirklich hoch, also 200 mal höher als an der Oberfläche." Über dem Sandstein liegt eine Tonschicht. Man könne sich diese Tonschicht wie einen Deckel vorstellen, der verhindert, dass CO2 nach oben austritt. Das Risiko, das bei der Verpressung unter hohem Druck Risse in der Tonschicht entstehen könnten, stuft Wallmann als gering ein.
Langsam wird daraus Sprudelwasser
Das verpresste Kohlendioxid löst sich dann langsam in dem Wasser auf, das in dem Sandstein noch vorhanden ist. "Das dauert aber lange", so der Meeresforscher. "Wie lange, ist nicht so ganz klar, also sicherlich Jahrhunderte. Wenn es sich dann irgendwann aufgelöst hat, dann liegt es da unten als Sprudelwasser vor, unten in der Sandstein-Formation. Und wenn es sich dann aufgelöst hat und auch der Überdruck abgeklungen ist, hat man eigentlich keine Antriebskräfte mehr für Leckagen. Dann ist es eigentlich relativ sicher." Und nach 1000 Jahren - oder noch länger - wird dieses Sprudelwasser zu Kalkstein.
Nun gibt es seit mehr als zwei Jahrzehnten Projekte in Norwegen, wo CO2 verpresst wird. Wie oft ist dort CO2 ausgetreten? "Wir haben uns die bestehenden CO2-Speicher vor Norwegen angeschaut", sagt Wallmann. "Und wir haben da gar keine CO2-Leckagen gefunden. Obwohl wir ganz intensiv danach gesucht haben - mit einer ganzen Flotte von europäischen Forschungsschiffen."
Was passiert im Meer, wenn doch CO2 austreten sollte?
Welchen Schaden könnte austretendes Kohlendioxid anrichten? Auf der Fläche, wo sich das CO2 verteilt, wird das Wasser sauer. Klaus Wallmann hat das Phänomen mit seinem Team im Mittelmeer untersucht, wo aus natürlichen Quellen CO2 austritt: "Da leben noch Arten, aber nur noch wenige. Das heißt: Wir verlieren Biodiversität auf ganz vielen Ebenen, von großen Muscheln bis runter zu Mikro-Organismen." Wichtig ist aber, dass die Forschung nur von kleinen Flächen ausgeht, die davon betroffen wären.
Wallmann und sein Team haben zum Test CO2 in der Nordsee am Meeresboden freigesetzt, und zwar in den Mengen, die auch bei Erdgas-Leckagen beobachtet wurden. Und da war dann nach der Freisetzung von CO2 eine Fläche so groß wie ein halbes Fußballfeld von der Versauerung betroffen. "Das ist dann so wenig, dass es nur einen ganz kleinen Schaden verursacht am Meeresboden", fasst Wallmann zusammen. "Und das ist eben auch fürchterlich wenig im Vergleich zu den Mengen, die da verpresst werden können." Er gibt auch zu bedenken: Der Klimawandel lässt die Meere auch versauern, und zwar im großen Maßstab.
Können wir auf die CCS-Technologie verzichten?
Eine zentrale Frage lautet: Brauchen wir CCS, um die Klimaziele zu erreichen? Das Bundeswirtschaftsministerium hat neulich in einem ausführlichen Bericht zu CCS fünf aktuelle Studien von renommierten Instituten zum Thema Klimaneutralität gegenübergestellt. Und alle fünf Studien kommen zu dem Ergebnis: CCS sei notwendig. Kerstin Meyer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sieht das anders. "Die CCS-Technik ist die teuerste und die unrealistischste Option aller Minderungsoptionen. Und der Weltklimarat warnt auch sehr vor dem Risiko, sich auf eine solche spekulative Technik zu verlassen." Meyer spricht von einer falschen Weichenstellung, die die begonnene Dekarbonisierung der Industrie "fatalerweise" torpedieren würde. "Die Industrien könnte mit der CCS-Technologie einfach weiter machen wie bisher und sie hätten keinen Druck mehr, ihre Emissionen tatsächlich zu mindern.
CO2-Verpressung: Eine teure Angelegenheit
Kerstin Meyer vom BUND sagt weiter: "Die Technik an sich ist sehr teuer und funktioniert nur, weil Staaten aktuell sehr viele Milliarden Euro dafür zur Verfügung stellen." Dieses Geld sollte besser für die Energiewende und für den Klimaschutz eingesetzt werden, so Meyer. In der Tat: Bislang sind die Kosten bei der CCS-Technologie hoch. Klaus Wallmann spricht von 120 bis 150 Euro pro Tonne CO2. Noch ist es für die Industrie also billiger, das CO2 in die Luft zu pusten und zum Ausgleich CO2-Zertifikate zu kaufen. Stichwort Emissionshandel. Zurzeit muss die Industrie etwa 80 Euro zahlen pro Tonne CO2, die sie ausstößt. Aber dieser Preis wird in Zukunft weiter steigen.
Selbst wenn sich die Bundesregierung demnächst für eine CO2-Verpressung in der deutschen Nordsee entscheidet: Bis es so weit ist, werden nach Einschätzung von Experten sicher noch etwa zehn Jahre vergehen. Denn die die Unternehmen müssten zunächst geeignete Standorte erkunden und die nötige Infrastruktur aufbauen, um das CO2 schließlich verpressen zu können.
Oder Deutschland lässt CO2 im Ausland einspeichern
Denkbar wäre, dass Deutschland in der Zwischenzeit Kohlendioxid zur Verpressung in ein anderes Land bringt. Zum Beispiel nach Norwegen. Das nordeuropäische Land will künftig damit Geld verdienen, im großen Stil CO2 in alte Öl- und Gas-Feldern einzuspeichern. Bislang ist solch ein Export aus Deutschland rechtlich nicht möglich. Das liegt am sogenannten London-Protokoll zur Verhütung der Meeresverschmutzung: Es regelt den Export von Abfällen zur Entsorgung im Meer. Deutschland müsste eine Ergänzung zu diesem London-Protokoll ratifizieren, und die Bundesregierung will das laut Umweltministerium bald tun. Dann wäre die Ausfuhr von Kohlendioxid erlaubt.
Die Energie-Wirtschaft verfolgt die Entwicklung gespannt. Der deutsche Energiekonzern Wintershall Dea ist bereits an dem dänischen CO2-Projekt beteiligt - und will zudem eine CO2-Pipeline von Wilhelmshaven nach Norwegen bauen.
Alle Folgen des Podcasts "Mission Klima - Lösungen für die Krise" sind auch in der App von NDR Info und in der ARD Audiothek zu finden.