Müssen wir fürs Klima alle unser Verhalten ändern?
Viele Menschen fragen sich im Zuge der Klimakrise: Wie viel kann ich als Einzelner oder als Einzelne zum Klimaschutz beitragen? Die einen sagen: Es macht für das große Ganze kaum einen Unterschied, ob ich persönlich weniger Fleisch esse oder seltener Auto fahre. Andere hinterfragen ihr eigenes Verhalten an vielen Stellen ganz bewusst: Sie verzichten auf Urlaubsflüge, fahren Fahrrad und ernähren sich vegan. Wie aber gelingt in der Klimakrise der nötige gesellschaftliche Wandel? Zu dieser Frage forscht die Soziologin Anita Engels. Sie ist Professorin an der Universität Hamburg und dort Sprecherin des Exzellenzclusters "Klima, Klimawandel und Gesellschaft". NDR Info hat mit ihr für den Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise" gesprochen.
Ist es denkbar, dass wir das große Ziel der Klima-Neutralität schaffen, ohne dass wir alle unser Verhalten ändern?
Anita Engels: Ich würde nicht sagen, dass alle ihr Verhalten ändern müssen. Aber es muss schon eine Mehrheit da sein, die auch politisch signalisiert, dass sie bereit ist, da mitzugehen. Die Energiewende, die Mobilitätswende und die Ernährungswende - das wird ja alles gar nicht politisch in Angriff genommen, wenn die Politik nicht damit rechnen kann, dass die Leute mitmachen.
Heißt das: Wir brauchen alles gleichzeitig? Den technischen Fortschritt, die politischen Entscheidungen und die Menschen, die bereit sind, ihr Verhalten anzupassen.
Engels: Genau, wir brauchen alles gleichzeitig. Und für mich ist das eine eher positive Nachricht. Denn das eine führt zum anderen. Also, wenn es starke Signale aus der Öffentlichkeit gibt, dann kann Politik auch anders reagieren und anders die Rahmenbedingungen setzen. Und wenn Politik die Rahmenbedingungen anders setzt, dann können die Infrastrukturen geändert werden und die Investitionsentscheidungen so getätigt werden, dass der erforderliche Wandel möglich wird. Und wenn man dann sieht: Ach, das geht ja doch irgendwie umzusetzen, ohne dass es große Probleme gibt - wie zum Beispiel eine Energiewende ohne Blackout beim Strom - dann machen auch immer mehr Leute mit oder sind zumindest bereit, das Neue hinzunehmen.
Laut Weltklimarat ließen sich allein über eine veränderte Nachfrage sehr viele Treibhausgase einsparen. So wird es beispielsweise beim Flugverkehr darauf ankommen, Langstrecken-Flüge möglichst zu vermeiden und Kurzstrecken-Flüge durch Zugreisen zu ersetzen - allein dies könnte bis zu 40 Prozent der Emissionen vermeiden, die aus dem Luftverkehr stammen.
Engels: Ja, das stimmt. Aber solche Zahlen sind für das individuelle Handeln gar nicht hilfreich, weil ich ja immer für mich alleine entscheiden muss: Wie gehe ich durch meinen Alltag? Welche Mühen nehme ich auf mich, um meinen eigenen, individuellen CO2-Fußabdruck zu senken? Und das wird dadurch erschwert, dass man genau weiß, viele andere werden da nicht mitziehen.
Was kann dann eine Motivation sein?
Engels: Es ist viel wichtiger, sich klarzumachen: Es geht gar nicht so sehr um mein eigenes Konsumverhalten. Vielmehr muss ich mich sehr viel stärker als politischer Mensch mit dem Klimaschutz auseinandersetzen. Das Klimaproblem ist ja nur so groß, weil wir es ja jahrzehntelang versäumt haben, die Weichen richtig zu stellen. Deswegen ist es jetzt besonders eilig. Und wir müssen es in diesem Jahrzehnt schaffen, dass ganze Investitionszyklen umgewandelt werden, also in eine andere Richtung gelenkt werden.
Sie haben gerade in einer Studie zusammen mit 60 Forscherinnen und Forschern untersucht, wie wahrscheinlich ein großer gesellschaftlicher Wandel in der Klimakrise ist. Wie sind Sie vorgegangen? Wie lautet das Ergebnis?
Engels: Also, wir haben uns angeschaut: Was sind das eigentlich für große gesellschaftliche Dynamiken, die da wirken müssten, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen? Zum Beispiel: Wie richten sich Wirtschaftsunternehmen auf das Klimaproblem aus? Wie werden die globalen Finanzierungsströme in Richtung Dekarbonisierung gelenkt oder eben nicht? Wie formieren sich politische Proteste und erzeugen politischen Druck? Wie reagieren die nationalen Regierungen darauf? Da haben wir festgestellt, dass es im Augenblick nicht plausibel ist, dass wir dieses Ziel, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad bis 2050 zu begrenzen, wirklich erreichen werden.
Es heißt nicht, dass wir das technisch oder auch ökonomisch betrachtet nicht noch erreichen können, auch klima-physikalisch ist das im Prinzip noch möglich. Aber so wie wir die Gesellschaft einschätzen mit all ihren Dynamiken ist das im Moment eben leider nicht realistisch.
In der Studie heißt es auch, dass das Konsumverhalten den notwendigen Klimaschutz eher ausbremst. Inwiefern?
Engels: Ja, neben den Unternehmen ist da auch das Konsumverhalten der Menschen in den Blick geraten. Einerseits kann man sehen, dass sehr viele neue Märkte entstehen, auch für klimafreundliche Konsumprodukte, und dass sich zumindest in einigen Ländern größere Bevölkerungsgruppen jetzt mit folgenden Fragen beschäftigen: Wie kann ich anders konsumieren? Kann ich klimafreundlichere Produkte bevorzugen? Aber man kann eben auch sehen, dass das oft einfach nur ein zusätzlicher Konsumbereich ist. Da entstehen neue Produktgruppen, die dann attraktiv sind - typischerweise für eine gebildete Mittelschicht, die sich diese klimafreundlichen Produkte leisten kann. Aber das heißt nicht, dass wir insgesamt weniger konsumieren. Und das wäre tatsächlich ein wichtiger Schritt.
Wenn man sich weltweit den Konsum anschaut, gibt es Weltregionen und Bevölkerungsgruppen, die unterhalb der Existenzgrenze leben oder unterhalb der Armutsgrenze und sehr, sehr wenig konsumieren und so ungewollt einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Und zugleich gibt es eine größer werdende Schicht von Superreichen, die für sich genommen einen CO2-Fußabdruck haben im Jahr, der mit ganzen Städten gleichzieht. Also das ist eine extreme Ungleichheit, die auch dazu führt, dass der Bereich Konsum so negativ in unserer Studie aufgefallen ist.
Seit einigen Jahren essen Menschen weniger Fleisch und kaufen weniger Milchprodukte, die in der Regel einen höheren CO2-Fußabdruck haben als Obst und Gemüse. Ist das so ein Beispiel, wo sich soziale Normen aus der Bevölkerung heraus verändern?
Engels: Ja, das ist sogar ein sehr gutes Beispiel. Es zeigt auch, dass die Argumentation, dass ein bestimmtes Verhalten gut für das Klima ist, allein nicht unbedingt ausreichend ist. Denn viele Leute sind bereit, auf Fleisch zu verzichten, wenn es um den Tierschutz geht. Was ich damit sagen will: Eine Verknüpfung mit anderen, sehr viel eingängigeren Begründungen ist oft hilfreich. Niemand will, dass Tiere gequält werden, damit wir sie essen können. Das ist ein sehr starkes Argument. Und das kann man auch nachweisen, dass das Tierwohl-Argument beim Thema Fleisch-Verzicht viel stärker zum Tragen kommt als allein der Beitrag zum Klimaschutz.
Hat es aus Ihrer Sicht überhaupt einen Nutzen für das große Ganze, wenn jemand aus Klimaschutz-Gründen seine Ernährung umstellt oder auf Flugreisen verzichtet?
Engels: Ja, auf jeden Fall. Aber es kommt darauf an, wie man das vorantreibt. Also, es gibt Leute, die machen für sich individuell auf einmal alles anders und ziehen daraus eine große moralische Überlegenheit. Das ist natürlich wenig überzeugend für die anderen, sich dem anzuschließen. Besser ist, nicht nur darauf zu achten, was ich für mich selbst als CO2-Einsparungen geltend machen kann, sondern immer darauf zu achten: Wie kann ich in einer Gruppe etwas Größeres verändern und erreichen? Zum Beispiel in meinem beruflichen Umfeld unter Kolleginnen und Kollegen oder in meinem Sportverein. Dann ist das sehr, sehr wichtig.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Engels: Ja, gerne. Wenn ich in den Supermarkt gehe und für mich selbst versuche, möglichst klimafreundlich einzukaufen, ist das ein Weg. Der hat aber keinen großen Effekt - außer für mein eigenes gutes Gefühl. Aber wenn ich mich gleichzeitig politisch dafür einsetze, dass Containern (also das Herausholen von weggeworfenen Lebensmitteln aus Containern) nicht mehr unter Strafe steht, indem ich eine Petitionen starte, dann hat das Ganze einen anderen Wert. Das ist einfach noch viel weiterführender, als wenn ich einfach nur selber auf meinen CO2-Fußabdruck achte.
Das Interview führte Arne Schulz, NDR Info.