Statt Mikroplastik in der Natur: Wenn Plastik einfach verschwindet
Das Start-up Traceless aus der Nähe von Hamburg hat ein Produkt entwickelt, das eine Alternative zu klimaschädlichem Plastik sein kann. Einige große Unternehmen zeigen bereits Interesse. Was macht das Bio-Plastik so besonders?
"In der Theorie kann man das, was wir hier produzieren, sogar essen", sagt Traceless-Gründerin Anne Lamp - und fügt hinzu: "Aber es ist nicht so lecker." Das Start-up stellt Plastik aus Getreide-Resten her, also aus nachwachsenden Rohstoffen - und nicht aus Erdöl. "Das sind Reste, die bei der Verarbeitung von Getreide anfallen", erklärt Lamp im NDR Info Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise". "Wenn man zum Beispiel Alkohol oder Stärke herstellt, dann bleibt immer etwas übrig. Das wird eigentlich an Tiere verfüttert oder für die Energie-Gewinnung benutzt. Und wir werten das auf, indem wir daraus unser Material herstellen."
Traceless sitzt in einem Innovationszentrum in Buchholz in der Nordheide. Der Firmen-Name ist Programm. "Traceless" ist eine englisches Wort und bedeutet so viel wie spurlos. Das passt: Denn das Bio-Plastik kann nach Gebrauch von Mikroorganismen innerhalb von zwölf Wochen abgebaut werden, verschwindet also spurlos. Anders als herkömmliches Plastik, das einfach nur in immer kleinere Teile zerfällt. Stichwort Mikroplastik.
Versandhaus Otto war der erste Kunde
Das Verfahren, das dahintersteckt, hat Anne Lamp selbst entwickelt. Das kam so: An der Technischen Universität Hamburg hat die Verfahrenstechnikerin im Labor daran geforscht, wie sich Reststoffe aus der Lebensmittel-Industrie besser nutzen lassen. Dabei entstand die Idee, aus Getreide-Resten etwas Sinnvolles wie eine Alternative zu umweltschädlichem Plastik zu machen.
Damals dachte Lamp gar nicht daran, ein Unternehmen zu gründen. Aber das Hamburger Versandhaus Otto zeigte früh Interesse an dem einzigartigen Produkt. Das Unternehmen sucht für seine Verpackungen Lösungen, die frei von herkömmlichen Kunststoffen sind. Zum Beispiel Folien für die Versandtaschen. Das Unternehmen will auf diese Art Hunderte Tonnen Plastik pro Jahr einsparen.
"In der Vergangenheit war vieles, was unter der Überschrift biobasierte oder bioabbaubare Kunststoffe gelaufen ist, einfach eine Mogelpackung." Benjamin Köhler, Nachhaltigkeitsexperte bei Otto
Da Anne Lamp keine Betriebswirtschaftlerin ist, tat sie sich mit der Management-Beraterin Johanna Baare zusammen. Und so gründeten beide im Jahr 2020 die Firma Traceless. Inzwischen arbeiten dort rund 60 Menschen aus 15 Nationen. Sie stellen keine fertigen Produkte aus Bio-Plastik her, sondern ein Granulat, das an die Kunden ausgeliefert wird. Sozusagen als Grundstoff.
Die Kunden können das Granulat einschmelzen und weiterverarbeiten - ganz nach ihren Bedürfnissen. Der Vorteil des Granulats: Die Maschinen für herkömmliches Plastik sind ebenfalls auf Granulat ausgelegt. So müssen Firmen, die auf Bio-Plastik umsteigen wollen, nicht erst für viel Geld neue Maschinen anschaffen.
Auch Lufthansa ist hellhörig geworden
Neben dem Versandhändler Otto gibt es weitere namhafte Unternehmen, die auf Traceless aufmerksam geworden sind. Lufthansa überlegt, sein Einweg-Besteck auf den Flügen aus dem umweltfreundlichen Plastik herstellen zu lassen. Und das Modehaus C&A hat bereits in einer Hamburger Filiale kleine Kleiderhaken aus Traceless-Granulat getestet - mit Erfolg. Die Zusammenarbeit soll deshalb ausgebaut werden.
Das Traceless-Material ist wie herkömmliches Plastik geruchsfrei. Aber bei der Farbe ist ein Unterschied nicht zu übersehen. Die Traceless-Folie ist gelblich, die Kleiderhaken rötlich braun - und nicht farblos-transparent, wie sich das viele Verpackungshersteller wünschen. Aber Anne Lamp macht aus dem Makel eine Tugend. "So ist unser Produkt als Alternative zum normalen Plastik gut zu erkennen."
Beim Duschgel muss eine andere Lösung her
Bei bestimmten Verpackungen stößt das Bio-Plastik von Traceless bislang noch an seine Grenzen. Beispielsweise bei Duschgel. Durch den Kontakt mit Wasser beschleunigt sich der Zersetzungsprozess des natürlichen Granulats. "Da brauchen wir als Gesellschaft dann ganz dringend nachhaltig designte, recycelte Kunststoffe", sagt Lamp. Aber: Ihr Team forscht weiter, um noch mehr Anwendungsmöglichkeiten zu schaffen. Im Moment gibt es über die Folien und das Hartplastik für Kleiderhaken hinaus noch Beschichtungen für Pappverpackungen von Lebensmitteln.
Eine größere Halle für die Produktion
Anne Lamp will mit ihrer Firma weiter wachsen. Der bisherige Standort wird langsam zu klein. Deshalb hat Traceless in Hamburg-Harburg die ehemaligen Hallen einer Großbäckerei gekauft. Dort soll in Zukunft in großem Stil das Granulat produziert werden. Da trifft es sich gut, dass die Firma unterstützt wird. Das Bundesumweltministerium gibt mehr als fünf Millionen Euro, vom European Innovation Council der EU kommen weitere 2,4 Millionen Euro. Außerdem sind Investoren eingestiegen, die klimafreundliche Produkte im Blick haben.
Bis zu 95 Prozent weniger Treibhausgase
Die Klimabilanz des Traceless-Granulats kann sich wirklich sehen lassen. Laut einer Studie verursacht Traceless mit seinem Plastik-Ersatz bis zu 95 Prozent weniger Treibhausgase - je nachdem, welches herkömmliche Plastik als Vergleich dient. Denn verschiedene Sorten Plastik verursachen unterschiedlich viel klimaschädliches CO2. "Alles, was wir an zusätzlichem Fußabdruck erzeugen, ist nur die Verarbeitung und der Transport", sagt Anne Lamp.
Von Vorteil ist, dass für die Produktion des Traceless-Granulats sehr viel weniger Energie benötigt wird als bei der Herstellung von Rohplastik aus Erdöl. Es muss nicht so hoch erhitzt werden. Traceless nutzt außerdem erneuerbare Energien aus ihrer eigenen Biogas-Anlage und will auch beim Lkw-Transport in Zukunft stärker auf E-Mobilität setzen, um die CO2-Bilanz noch weiter zu verbessern.
Die Forschung geht weiter
Noch ist Bio-Plastik deutlich teurer als herkömmliches Plastik. Experten sagen, drei bis fünf Mal so teuer. Aber Anne Lamp zeigt sich zuversichtlich: Wenn Traceless eines Tages in einer richtig großen Industrie-Anlage produziert wird, könnten sie ihr Granulat wettbewerbsfähig auf dem Niveau von herkömmlichen Neu-Kunststoffen anbieten. Das liegt auch daran, dass die Getreide-Reste als Rohstoff sehr günstig im Einkauf sind.
Es gebe genug Getreide-Reste, um mehrere Millionen Tonnen Traceless-Granulat zu produzieren. Dennoch forscht das Traceless-Team an anderen Rohstoff-Quellen. Grundsätzlich ließe sich die Technologie auf andere industrielle Reststoffe übertragen, so Anna Lamp.
"Wir können das Plastik-Problem nicht alleine lösen"
Der Co-Gründerin von Traceless ist klar, dass sie das weltweite Plastik-Problem mit ihrem Granulat nicht aus der Welt schaffen. "Wir wollen einen signifikanten Beitrag leisten, indem wir verschiedenste Materialien auf den Markt bringen, die dort eingesetzt werden, wo Kunststoffe leicht in die Umwelt gelangen und einfach zu dieser riesigen Verschmutzung beitragen", sagt Anne Lamp. "Aber wir können das Problem natürlich nicht allein lösen." Vielmehr bräuchte es eine Kreislauf-Wirtschaft, in der Produkte immer und immer wieder zur gleichen Qualität recycelt werden können. "Wir brauchen auch viel bessere Sammel- und Sortier-Systeme. Wir brauchen Mehrweg-Systeme - und auch eine generelle Reduktion der Produktion an Kunststoffen." Kurzum: Es sind auch andere gefragt, damit ein Ausstieg aus klimaschädlichem Plastik gelingen kann.