Am 24.10.2023 streiken in Island mehr als 100.000 Menschen für mehr Lohngleichheit und Frauenrechte. © picture alliance Foto: AP Photo/Arni Torfason
Am 24.10.2023 streiken in Island mehr als 100.000 Menschen für mehr Lohngleichheit und Frauenrechte. © picture alliance Foto: AP Photo/Arni Torfason
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AUDIO: Guter Weg: In Island ist der Gender Pay Gap weltweit am kleinsten (4 Min)

Software für mehr Gleichberechtigung - was wir von Island lernen können

Stand: 08.03.2024 06:00 Uhr

In keinem anderen Land ist die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern so gering wie in Island. Das Erfolgsrezept: klare Regeln, viele Daten im Hintergrund und wache Bürgerinnen und Bürger.

von Julia Wäschenbach und Sharon Welzel

Schon seit 14 Jahren in Folge belegt Island den ersten Platz im globalen Gender Pay Gap Ranking. Dort verdienen Frauen etwa neun Prozent weniger als Männer. Der Weg dahin war lang und nicht ohne Hürden, geprägt von vielen Protesten und hartnäckigen Verhandlungen. Doch jetzt hat das kleine skandinavische Land einige Strategien entwickelt, die nachhaltig ihre Wirkung zeigen. Deutschland ist da weniger gut aufgestellt. Hierzulande verdienen Frauen im Schnitt immer noch 18 Prozent weniger als Männer. Und dennoch: Es gibt einige Unternehmerinnen und Unternehmer, auch im Norden, die das ändern wollen und dabei nicht auf die Politik warten. Die Einführung einer 4-Tage-Woche und flexibles Arbeiten sind dabei besonders Erfolg versprechend.

Alles gut in Island?

Islands Regierungschefin Katrín Jakobsdóttir steht vor einem Mikrofon. © picture-alliance Foto: Dominika Zarzycka
Islands Regierungschefin Katrín Jakobsdóttir möchte zeigen, wie wichtig der Beitrag ist, den Frauen sowohl mit bezahlter als auch mit unbezahlter Arbeit leisten.

Obwohl Island dafür bekannt ist, dass die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen hier schon kleiner ist als anderswo, wird weiter dafür gekämpft. Im Oktober 2023 sind die Straßen in Islands Hauptstadt Reykjavík voll. Schätzungsweise hunderttausend Menschen, vor allem Frauen, streiken in der isländischen Hauptstadt für Gleichberechtigung und vor allem für gerechte Löhne. Rund ein Viertel der Bevölkerung geht dafür auf die Straße. In Island ist die Lohnlücke nach Angaben des World Economic Forums bereits zu 91,2 Prozent geschlossen - bei 100 Prozent wäre für volle Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern gesorgt. Ist damit die Mission erfüllt? Keineswegs, meint Regierungschefin Katrín Jakobsdóttir, die mit demonstriert hat: "Ich streike, um Solidarität mit den Frauen zu zeigen", sagt sie, "In Island herrscht keine vollständige Gleichberechtigung, auch wenn es hier besser ist als in vielen anderen Ländern. Doch auch heute kämpfen wir noch gegen die Lohnlücke und Gewalt gegen Frauen an."

Auch die Männer setzen sich ein

Der Streik sollte diesen Themen frische Aufmerksamkeit verschaffen. Der Protest hat hier eine lange Geschichte: Schon am 24. Oktober 1975 hatten 90 Prozent der isländischen Frauen die Arbeit zum ersten Mal niedergelegt. Þorgerður Einarsdóttir, Gender-Expertin von der Universität Island, sagt, es gebe eine lautstarke Bewegung in Island, die alle mittragen: "Es ist eine feministische Bewegung, bei der auch Männer mitmachen. Sie setzen sich zum Beispiel für eine gerechtere Aufteilung der Hausarbeit ein, was die Geschlechterrollen in Island definitiv beeinflusst hat."

Lohngleichheit im Gesetz verankert

Isländische Frauen drängten vergleichsweise früh auf den Arbeitsmarkt, auch, weil sie in dem kleinen Land schlicht gebraucht wurden, sagt Einarsdóttir. Doch ihre Bezahlung hinkt im Vergleich zu der von Männern hinterher. Um die Lücke zu schließen, schreibt Island die Lohngleichheit 2018 per Gesetz vor. Seitdem müssen Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitenden dafür sorgen, dass Männer und Frauen das gleiche verdienen. Konkret heißt das, dass alle Entscheidungen zu Gehältern und Arbeitsbedingungen überprüft, begründet und nachvollziehbar dokumentiert werden müssen. Am Ende bekommen die Unternehmen dann ein Zertifikat. Alle Berufe werden für ihren "Wert" zertifiziert, unabhängig davon, wer sie ausübt.

Eine Software sorgt für Gerechtigkeit

Margrét Bjarnadóttir, Gründerin der Firma PayAnalytics © Pay Analytics
Für Margrét Bjarnadóttir, Gründerin der Firma PayAnalytics, ist die Analyse von Daten der Schlüssel zu weniger Ungleichheit.

Damit Unternehmen die Lohnlücke überhaupt erst einmal messen und dann erfolgreich schließen können, hat die isländische Firma PayAnalytics eine Software entwickelt. Gründerin Margrét Vilborg Bjarnadóttir erklärt, wie sie funktioniert: "Wir berechnen mit Hilfe von Algorithmen, wo es die größten Ungerechtigkeiten innerhalb der Lohnstruktur gibt. Wenn wir das wissen, weisen wir bestimmten Mitarbeitenden Lohnerhöhungen zu, um die Lücke zu schließen." Unternehmen können zwar nicht bestraft werden - aber das Gesetz habe das Bewusstsein für die Lohnlücke geschärft.

Wichtiger Aspekt: Unbezahlte Arbeit

Trotzdem sind die Isländerinnen und Isländer damit nicht am Ziel, meint die Psychologin Hulda Tölgyes. Das Thema Gleichstellung habe viele Aspekte und einige davon seien vernachlässigt, findet sie: "Unbezahlte Arbeit von Frauen wirkt sich auf ihre Karriere und Gesundheit aus - und eben auch auf ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt. Gleichberechtigung fängt zu Hause an und es macht einen Unterschied, wie wir mit dieser unbezahlten Arbeit umgehen." Erst, wenn auch die gerecht verteilt wird, könne man von Gleichstellung sprechen, ist die Isländerin überzeugt.

Deutschland hat aufgeholt

Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern ist in Deutschland noch deutlich spürbar - schließlich arbeiten Frauen im Vergleich zu Männern bis zum 6. März eines Jahres immer noch rechnerisch unbezahlt. Im weltweiten Ranking ist Deutschland zwar schon vom 10. Platz (2022) auf den 6. Platz (2023) vorgerückt. Trotzdem hat sich der Gehaltsunterschied in den letzten 20 Jahren nur minimal verändert. Doch was kann man dagegen tun? Damit mehr Frauen auf Leitungsebene arbeiten, sind Jobsharing in Führungspositionen und die Förderung von flexiblem und mobilem Arbeiten immer wieder im Gespräch. Das Bundesfamilienministerium diskutiert die verkürzte Vollzeit oder die Einführung einer 4-Tage-Woche, um die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Care-Arbeit zu verbessern.

Stadt Wedel: Bundesweiter Vorreiter

Die 4-Tage-Woche hat die Stadt Wedel schon im Jahr 2023 erfolgreich eingeführt. Jörg Amelung ist dort zuständig für die Personalplanung und hatte die Idee, inspiriert durch einen Radio-Beitrag. In Belgien gebe es einen Anspruch auf eine 4-Tage-Woche, hörte er. Er brachte das Thema direkt in eine Sitzung ein und freut sich heute über den durchschlagenden Erfolg: "Wir haben viel mehr Initiativbewerbungen", schwärmt er, "Mit so einem Angebot werden schließlich viel mehr persönliche Bedürfnisse berücksichtigt." Von dieser Art der Flexibilisierung würden alle Geschlechter gleichermaßen profitieren. Derzeit gilt das Angebot für insgesamt 443 Mitarbeitende.

Gleiche Bezahlung als unternehmerischer Grundsatz

Dataport, ein Unternehmen mit Sitz in Altenholz, verspricht seinen Mitarbeitenden unabhängig von ihrem Geschlecht für die gleiche Arbeit auch das gleiche Gehalt. Das soll der Haustarifvertrag des IT-Dienstleisters garantieren. Die Zahlen sprechen für sich: Der Frauenanteil im Unternehmen liegt bei 31 Prozent und ist damit etwa doppelt so hoch wie der Durchschnitt in der IT-Branche. Zudem ist jede dritte Führungsposition im Unternehmen mit einer Frau besetzt. Auch hier spielt für die Mitarbeiter*innen Flexibilität wieder eine Rolle: Es gibt ein Recht auf befristete Teilzeitarbeit sowie die Möglichkeit, bis zu 80 Prozent der Arbeit von zu Hause aus zu erledigen. Anne Schassan, die Personalleitung bei Dataport, ist davon überzeugt, dass Auszeiten durch Erziehungsaufgaben und damit verbundene Teilzeitarbeit den Pay Gap für Frauen oftmals vergrößern. Die flexiblen Arbeitsmodelle in ihrem Unternehmen wirken dem entgegen, sagt sie: "Bei uns kehren Frauen zu 82 Prozent nach weniger als einem Jahr aus der Elternzeit zurück und arbeiten dann vollzeitnah. Und insgesamt arbeiten fast 70 Prozent der Frauen bei uns in Vollzeit."

Umstrukturierung auch im Handwerk möglich

Hubertus Heil (SPD), Bundesarbeitsminister, spricht bei einem Besuch im Betrieb «Die Malerin» mit der Inhaberin, Malermeisterin Jessica Hansen. © picture-alliance
Jessica Hansen, hier neben Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, bezahlt ihre Angestellten nach Stunden - die Anfahrt ist dabei inklusive.

Auch eine Malermeisterin mit einem Betrieb in Osterby hat sich neu aufgestellt. Jessica Hansen ist selbst Mutter von drei Kindern und hörte, dass in Dänemark viele Handwerksbetriebe die 4-Tage-Woche ermöglichen: "Nach diesem Vorbild veröffentlichte ich einen Social Media Post - prompt kamen 50 Bewerbungen", erzählt sie stolz. Die Umstrukturierung sei ein Kraftakt gewesen, aber es habe sich gelohnt. Durch flache Hierarchien gebe es eine höhere Motivation und weniger Kranktage. Auch der Umsatz habe sich gesteigert. Durch die Flexibilität haben die Kundinnen und Kunden kürzere Vorlaufzeiten und die Mitarbeitenden zeigen sich produktiver.

Verschiedene Beispiele zeigen, dass die Flexibilisierung oder die 4-Tage-Woche Möglichkeiten sind, Erwerbsarbeit und Care-Arbeit besser zu vereinbaren. Vielen Frauen werden so erst mehr Stunden in der Erwerbsarbeit ermöglicht. Ob in der Verwaltung, bei Dienstleistern oder im Handwerk - der Mut zu neuen Strukturen kann nicht nur dazu beitragen, die Lohnlücke zu verringern und Fachkräfte zu gewinnen, sondern sorgt am Ende auch oft für zufriedenere Angestellte.

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