Chefin trotz Teilzeit: "80 Prozent ist das neue 100"
Frauen sind in Führungspositionen großer Unternehmen immer noch deutlich unterrepräsentiert: Der Anteil liegt bei etwa 30 Prozent. Oft ist der Wunsch nach Teilzeit ein Karrierekiller. Wie es trotzdem gehen kann, lebt Fränzi Kühne beim Unternehmen Edding in Ahrensburg vor.
Seit zwei Jahren leitet die Digitalexpertin Fränzi Kühne das Vorstandsressort im Bereich Digitalisierung beim für seine Stifte bekannten Familienbetrieb Edding - und zwar in Teilzeit. Denn die 40-Jährige ist außerdem Autorin, engagiert sich für mehr Frauen in Führungspositionen und ist Mutter.
Frau Kühne, wie ist es zum Tandem-Modell gekommen?
Fränzi Kühne: Ich fand die inhaltliche Aufgabe total herausfordernd und spannend und wollte das unbedingt machen. Aber ich wollte nicht mehr als 80 Prozent in einem Job arbeiten. Der CEO und Vorstandsvorsitzende Per Ledermann kam auf die Idee, diese Position als Tandem oder im Jobsharing zu besetzen. Ich habe dann Kandidatinnen kennengelernt, die mich vom Lebenslauf super ergänzt hätten. Dann haben wir uns im echten Leben getroffen und ich habe gleich in den ersten Minuten gemerkt: Es passte nicht. Wenn du so eine Position in dieser Doppelspitze so einnimmst, dann ist es, wie zusammen eine Firma zu gründen oder verheiratet zu sein. Vertrauen ist die Basis für alles in diesem Modell. Das muss menschlich super zusammenpassen, damit das auch langfristig funktionieren kann.
Sie haben dann den Mitgründer Ihrer ehemaligen Digitaltagentur TLGG und guten Freund Boontham Temaismithi mit ins Boot geholt. Was hat ihn an einer Teilzeitstelle gereizt?
Kühne: Boontham wollte nach der Zeit, in der wir zusammen die Firma hatten und immer 100 Prozent gearbeitet haben, maximal 80 Prozent arbeiten. Er muss sich nicht um jemanden in der Familie kümmern. Er hat einfach andere Interessen.
Und dieser Glaube daran, dass wir wirklich immer Vollzeit arbeiten, der ist, glaube ich, komplett überholt. Also 80 ist das neue 100. In den letzten 20 Prozent ist man eh nicht mehr der Top-Performer. Dadurch, dass man weniger Zeit arbeitet, gibt es Vereinbarkeit, Flexibilität und Selbstbestimmung, und das entwickelt eine ganz eigene Kraft, Lösungen zu finden für Probleme, die wir haben.
Wie sieht Ihr Jobsharing in der Praxis aus?
Kühne: Wir sind gemeinsam verantwortlich, den Digitalisierungsteil und die Transformation bei Edding voranzutreiben. Mein Kollege Boontham und ich arbeiten zum einen jeweils separat voneinander an Projekten. Wir haben ein gemeinsames Team, das wir zusammen führen und wo wir uns dann aber auch nach Schwerpunkten, nach Leidenschaften, aber auch nach Vorlieben des Gegenübers aufteilen. Alle Termine, an denen wir nicht gemeinsam teilnehmen, dokumentieren und protokollieren wir, sodass der jeweils andere immer weiß, was besprochen wurde. Und zusätzlich dazu telefonieren wir bestimmt noch drei- bis achtmal am Tag, um uns gegenseitig upzudaten und abzustimmen.
Vertraglich arbeiten wir jeweils zu 55 Prozent, gemeinsam haben wir also eine 110-Prozent-Stelle. Ich empfehle aber allen Menschen, die das vorhaben, auf mindestens 60 bis 65 Prozent zu gehen. Weil genau darin liegt ja der Mehrwert für so eine Jobsharing-Position: Dieses gemeinsame Lösung finden, sich abstimmen über Inhalte. Zwei Köpfe denken über eine Sache nach. Das ist genau die Essenz, die wir so sehr brauchen.
Worin sehen Sie den persönlichen Vorteil beim Jobsharing?
Kühne: Für mich ist es total wichtig, dass ich diese Flexibilität habe und im Sommer ohne weiteres mal vier Wochen am Stück Urlaub machen kann, weil ich genau weiß, mein Vorstandsressort ist trotzdem besetzt. Und ich brauche da kein schlechtes Gewissen zu haben oder Angst zu haben, was zu verpassen. Ich habe für mich die maximale Flexibilität, wie ich mir die Zeit einteile, und es richtet sich auch immer danach, welche anderen Projekte ich habe, aber eben auch, wie mein eigenes Energielevel ist. Außerdem habe ich eine Familie, die ich auch gerne sehen möchte.
Ich brauche diese Abwechslung und den Freiraum, den ich mir nehmen kann, auch in der Woche ein privates Frühstück machen zu können oder Freunde zu treffen, mein Kind von der Kita abzuholen oder in die Schwimmschule zu gehen. Das hat man nicht, wenn man zu 100 Prozent arbeitet. Deswegen passt dieses Modell für mich am besten, mit ihm kann ich die unterschiedlichen Rollen, die ich habe, für mich gut miteinander vereinbaren.
Eine geteilte Führungsposition in Teilzeit - das ist sicher auch für die Kolleginnen und Kollegen gewöhnungsbedürftig. Wie sind Sie damit umgegangen?
Kühne: Natürlich gab es Vorurteile: 'Da muss ich alles doppelt erzählen.' Oder: 'Wer ist denn dann zuständig für mich, wen spreche ich an?' Das haben wir gelöst, indem wir bei unserem direkten Team, aber auch insgesamt bei Edding kommuniziert haben, wie wir arbeiten. Und wir haben immer wieder Feedback eingeholt: Funktioniert es für diejenigen, mit denen wir arbeiten? Was können wir besser machen? Und das haben einfließen lassen. Man braucht immer so ein halbes Jahr, würde ich sagen, um in so einem System anzukommen und darin auch Vertrauen zu schaffen.
Inwiefern hat Ihr Vorstands-Tandem einen Vorbildcharakter?
Kühne: Bei Edding gab es schon vor uns Positionen in Teilzeit. Und es gab auch schon Tandems in unterschiedlichen Positionen. Aber bei uns in unseren direkten Teams haben wir dieses Modell der Doppelspitze, wo es nicht um Zeit teilen geht, sondern um Aufgaben teilen, das haben wir schon sehr etabliert. So zu arbeiten, so über Sachen nachdenken, sich miteinander abzustimmen und mit doppelter Stärke dann aufzutreten - das kennen wir natürlich von uns.
Wir merken aber das Interesse außerhalb von Edding. In der Wirtschaft und den Unternehmen gibt es eine gewisse Offenheit, über so etwas nachzudenken als Model, um bessere Vereinbarkeit hinzubekommen und auch, um eine jüngere Generation anzusprechen. Viele haben nicht mehr vor, 60 oder 80 Stunden in der Woche zu arbeiten, sondern möchten weniger und anders arbeiten.
Dieses neue Vorstands-Modell ist für Sie vor zwei Jahren geschaffen worden. Welche Rolle hat die Pandemie in diesem Zusammenhang gespielt?
Kühne: Auf jeden Fall hat die Pandemie eine Rolle gespielt in der Überlegung, wie wir in Zukunft zusammen arbeiten. Es hat zu einer gewissen Offenheit dafür geführt, dass es andere Modelle gibt, als Vollzeit im Büro zu arbeiten und so zu führen. Wir haben die ganze Homeoffice-Debatte: Was vorher undenkbar war in Unternehmen, ist heute denkbarer. Obwohl die Tendenz jetzt schon wieder dahin geht, alle Menschen wieder zurück ins Büro zu holen und Führung und Status und Position daran festzumachen, wie präsent jemand im Büro ist, anstatt anders über Führung nachzudenken. Aber ich glaube, die Zeit ist nicht mehr zurückzudrehen - zum Glück. Aber es hat ein komplettes Umdenken stattgefunden, was unglaublich viel in Fragen der Vereinbarkeit gebracht hat.
Immer noch gibt es viel weniger weibliche Führungskräfte als männliche. Solche Karriereschritte, wie Sie sie gemacht haben, gehen nicht viele Frauen.
Kühne: Es fehlt ganz vielen Menschen einfach an Mut. Frauen sollten mutig sein, Dinge ausprobieren, eine andere Kultur prägen und einfach Dinge bewusst auch anders machen, sich Schuhe anziehen, die zwei Nummern zu groß sind: Das ist das, was es braucht.
Das Interview führte Sonja Puhl.