Sabotage-Akte im Norden: Hat die Bahn Konsequenzen gezogen?
Kritische Infrastrukturen bilden die Grundlage für das Funktionieren der Gesellschaft. Dazu gehören auch Bahnhöfe und Bahnanlagen. Hat sich der Schutz vor Sabotage-Akten in letzter Zeit verbessert?
Ende Juli haben Unbekannte wichtige Leitungen auf der Bahnstrecke zwischen Bremen und Hamburg angezündet. Die Folge: erhebliche Probleme im Fern- und Nahverkehr. Aktuell prüft der Staatsschutz ein Bekennerschreiben, das aus der linksextremistischen Szene stammen soll. Es ist nicht der erste Fall dieser Art, der größere Auswirkungen auf den Bahnverkehr im Norden hatte. Im September 2023 hatten Kabelbrände in Hamburg ebenfalls für Dutzende Zugausfälle gesorgt. Auch damals gab es ein Bekennerschreiben von Linksextremen. Der Fall liegt mittlerweile beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Die Ermittlungen dauern an, weitergehende Auskünfte werden derzeit nicht erteilt.
Bundesinnenministerium sieht "abstrakte Gefährdung"
Im Oktober 2022 hatten zwei versuchte Diebstähle von Kupferkabeln in Herne und Berlin für bundesweites Bahnchaos gesorgt. Da nur kurz zuvor der Sabotage-Akt auf die Ostsee-Pipeline erfolgt war, ist seither die Alarmbereitschaft mit Blick auf den Schutz der kritischen Infrastruktur laut Bundesinnenministerium erhöht. Grundsätzlich geht die Bundesregierung von einer "abstrakten Gefährdung" aus. Mit Blick auf die Bahn gehe demnach besonders große Gefahr von gewaltorientierten Linksextremisten aus, die wiederholt kritische Infrastruktur in Deutschland angegriffen hätten. Das verdeutlichten auch die Brandanschläge auf das französische Bahnnetz kurz vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele. Schon im Oktober 2022 hatte ein gemeinsamer Koordinierungsstab Kritische Infrastruktur (GEKKIS) seine Arbeit aufgenommen. Was ist seither passiert, um die Bahn besser zu schützen?
Engere Zusammenarbeit mit der Bundespolizei
Laut einer Sprecherin des Bundesinnenministeriums haben die Deutsche Bahn AG und die Bundespolizei die Ereignisse vom Oktober 2022 zum Anlass genommen, ihre bereits bestehende Zusammenarbeit zu intensivieren. Neben dem regelmäßigen Austausch von Lage-Erkenntnissen und deren Bewertungen erfolge fortlaufend die Abstimmung konkreter Schutzmaßnahmen. Ein Teil der Maßnahmen sei bereits umgesetzt worden, dazu gehöre beispielsweise der Ausbau der Videoüberwachung auf 10.000 Kameras - bis Ende 2024 sollen es 11.000 Kameras an 800 Standorten sein. Die Bundesregierung hat als Reaktion auf den Kabeldiebstahl vom Oktober 2022 insgesamt 180 Millionen Euro für Schutzmaßnahmen der Bahninfrastruktur zur Verfügung gestellt.
Forschungsvorhaben für sichereren Bahnverkehr
Außerdem gibt es verschiedene Forschungsvorhaben - wie etwa den Sicherheitsbahnhof Berlin-Südkreuz. Dort soll unter Labor- und Real-Bedingungen erforscht werden, welche Innovationen Bahnhöfe sicherer machen können. So wird beispielsweise untersucht, inwiefern Künstliche Intelligenz dabei helfen kann, Gefahren-Situationen wie das unbefugte Betreten von Gleisen oder nicht zuordenbare Gepäckstücke schneller zu erkennen. Ein anderes Projekt hat sich mit der Überwachung von Tunnel-Eingängen mittels Sensoren befasst.
"Hundertprozentiger Schutz ist nicht möglich"
Einen hundertprozentigen Schutz könne es trotzdem bei der Bahn nicht geben - da sind sich Experten mit Blick auf 34.000 Kilometer Gleise einig. Und das räumt die Bahn auf Nachfrage auch selbst ein. Dazu gibt Karl-Peter Naumann vom Fahrgast-Verband Pro Bahn Hamburg zu Bedenken, dass man "immer eine Betonplatte auf die Schienen schmeißen" könne. Wie ein Forschungsprojekt des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung beim Eisenbahn-Bundesamt zeigt, ist das System Bahn unter anderem aufgrund des hohen Technisierungsgrades sowie des zunehmenden Einsatzes digitaler Technologien äußerst anfällig.
Zudem gebe es vielfältige Angriffsziele, darunter die Gleise, Brücken, Bahnhöfe und die Kommunikations-Infrastruktur. Außerdem hat es in der Vergangenheit bereits zahlreiche unterschiedliche Angriffsmittel gegeben: darunter Sprengstoffe, Hindernisse, Feuer, Waffen, Manipulation der Gleise oder Hackerangriffe.
Sabotage: Deutsche Bahn nennt keine Zahlen
Der Schutz der kritischen Infrastrukturen obliegt in Deutschland grundsätzlich dem jeweiligen Infrastruktur-Betreiber. Das ist für den Großteil der Schienen in Deutschland die Deutsche Bahn. Die sieht sich in puncto Sicherheit auf Nachfrage des NDR gut aufgestellt. Grundsätzlich verzeichne die Bahn keine besondere Häufung von Sabotage-Angriffen, so eine Sprecherin. Offizielle Zahlen kann oder will die Bahn aber nicht nennen.
Das Landeskriminalamt in Schleswig-Holstein hat in den Jahren 2019 bis 2022 keine Straftaten im Bereich verfassungsfeindliche Sabotage verzeichnet. Für 2023 gab es einer Sprecherin zufolge eine Meldung dazu, die eine Serie von fünf Straftaten umfasste. Das Landeskriminalamt in Niedersachsen könne keine Fallzahlen nennen, weil es für Angriffe auf das Bahnnetz keine gesonderte Auflistung gebe, heißt es auf NDR Nachfrage.
Bahn setzt auf zusätzliche Sicherheitskräfte
Trotzdem setzt man bei der Bahn in Absprache mit der Bundespolizei weitere Sicherheitskräfte ein: Bis 2025 sollen ergänzend zu den 4.500 Sicherheitskräften der DB 500 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Schutz von Strecken, Anlagen und Bauten rekrutiert werden. Außerdem komme im Kampf gegen Kriminelle immer mehr Technik zum Einsatz, darunter Videokameras, Trittschallsensoren und Wärmebild-Kameras. Besonders wichtige Schnellfahrt-Strecken werden zudem mit speziellen Drohnen überwacht, die nicht nur betriebsfremde Personen, sondern auch mögliche Schäden ausfindig machen sollen.
AG KRITIS fordert mehr Personal für Notfälle
Von zusätzlichen Polizisten und mehr Videoüberwachung hält Manuel Atug, Gründer und Sprecher der unabhängigen AG KRITIS, allerdings nicht viel. "Die Bundespolizisten werden nicht verhindern, dass jemand eine Schiene klaut, eine Kabeltrasse durchschneidet oder kaputt macht." Er plädiert dafür, bessere Lösungen für Ausfall-Situationen jeglicher Art vorzubereiten - beispielsweise durch personelle Aufrüstung bei den Notfall-Entstörtrupps, die darüber hinaus mit ausreichend Materialien ausgestattet sein müssten. Es habe in der Vergangenheit auch einige Positiv-Beispiele gegeben, in der Störungen schnell behoben worden seien.
Experte stellt Nutzen von Kamera-Überwachung infrage
Atug befürwortet das Konzept einer defensiven Resilienz. Das bedeute, für einen angemessenen Schutz im Verhältnis zum Nutzen zu sorgen - dies dürfe aber bei systemrelevanter Infrastruktur wie der Bahn nicht aus rein monetären Aspekten heraus bewertet werden. Er hält es außerdem für wichtig, den Zugang zu kritischen Kabeln zu erschweren. Außerdem müsse für mehr Redundanz gesorgt werden. Das heißt: Fällt ein System aus, kann ein anderes genutzt werden.
In Bezug auf die Bahn gibt es laut Pro-Bahn-Sprecher Naumann verschiedene Möglichkeiten, um für Redundanz zu sorgen. Dazu gehören zum Beispiel Umleitungsstrecken, auf die der Verkehr im Notfall ausweichen kann - wie es zum Beispiel zwischen Hamburg und Hannover gehandhabt wird. Dort kann die Bahn von der Hauptstrecke auf eine Nebenstrecke durch die Heide geleitet werden. Auch das Gegengleis zu nutzen, könne demnach eine Option sein. Dafür müsse die Strecke aber für den sogenannten Gleiswechselbetrieb ausgerüstet sein. Das heißt, es müssten genügend Weichen zur Verfügung stehen, um von einem Gleis auf das andere zu fahren. So gibt es laut Naumann bereits einige Strecken, die entsprechend ausgebaut seien.
Bahn auf einigen Strecken bereits gut aufgestellt
Naumann nennt als positives Beispiel den kürzlichen Ausbau der S2-Strecke zwischen Hamburg-Hauptbahnhof und Bergedorf. Dank neuer Weichen könne der Bahnverkehr demnach künftig eingleisig an einem möglichen Hindernis vorbeigeführt werden. Das sei bisher nicht möglich gewesen. Zudem müsse es möglich sein, ohne Signalisierung - also ohne elektronischen Befehl - bei schriftlicher Anweisung mit verminderter Geschwindigkeit zu fahren. Zudem könne die Bahn Kabel und Leitungen so verbauen, dass man bei einer Beschädigung noch auf ein anderes Signal zugreifen könne.
Naumann fordert außerdem, dass Menschen für Folgeschäden bei der Bahn haftbar gemacht werden können. Das sei bisher aus rechtlichen Gründen nicht möglich.
Bei der Generalsanierung ist einiges geplant
Laut Bundesverkehrsministerium wurden und werden bestehende Systeme kontinuierlich überprüft. Durch die Nutzung freier Kapazitäten im bestehenden Kabelnetz und einer etwaigen Neuverlegung von weiteren Kabeln soll das System angriffssicherer werden, so ein Sprecher. In welchem Umfang das bereits geschehen ist, teilte das Ministerium nicht mit.
Laut Bahn-Experte Naumann müsste noch so manche Strecken umgerüstet werden, um auf Störungen besser reagieren zu können. Im Zuge der Generalsanierung der Bahn sei aber durchaus einiges berücksichtigt worden - zum Beispiel mehr Weichentrapeze zu verbauen, um Gleiswechsel zu ermöglichen.
Trotzdem ist Naumann unterm Strich überzeugt, dass sehr viel mehr hätte passieren können: "Bei Resilienz-Maßnahmen darf es keine Nutzen-Kosten-Faktor-Berechnung geben", so der Bahn-Kenner. Er würde sich außerdem beim Ausbau mehr finanzielle Unterstützung durch den Staat wünschen. Auch zum Schutz vor Kabel-Diebstahl müssen dabei innovative Lösungen eingesetzt werden, so Naumann. Beispielsweise könne man wertvolle Metalle mit künstlicher DNA versehen, die einen Weiterverkauf enorm erschweren würden.
Was bringt das KRITIS-Dachgesetz?
Eine Stärkung der Resilienz von kritischen Anlagen soll auch das sogenannte KRITIS-Dachgesetz bringen, das laut Ankündigung des Bundesinnenministeriums nach der Sommerpause ins Kabinett eingebracht werden soll. Das Gesetz soll bereits bestehende IT-Sicherheitsmaßnahmen ergänzen und erstmalig bundeseinheitliche Regelungen für den physischen Schutz Kritischer Infrastrukturen festlegen. Es soll für alle Einrichtungen gelten, die essenziell für die Gesamtversorgung Deutschlands sind und mehr als 500.000 Personen versorgen. Dementsprechend ist auch die Deutsche Bahn betroffen. Vorgesehen sind unter anderem regelmäßige Risiko-Analysen und -Bewertungen und verpflichtende Resilienz-Maßnahmen.
Verpflichtende Maßnahmen "lange überfällig"
Holger Berens vom Bundesverband zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (BSKI) begrüßt das KRITIS-Dachgesetz. Seiner Einschätzung nach werden viele Unternehmen aus dem Bereich der Kritischen Infrastrukturen bereits aus eigenem Interesse hohe Sicherheitsanforderungen erfüllen, so auch die Deutsche Bahn.
Dennoch bewertet Berens einen verpflichtenden Schutz mit möglichen Strafzahlungen bei Nichterfüllung der Auflagen als lange überfällig. Er plädiert mit Blick auf die Deutsche Bahn dafür, dass Angriffsszenarien und Zugänge zu kritischen Punkten weiter erschwert werden müssen.
Nicht nur Applaus für neues Gesetz
Die AG KRITIS hingegen sieht das neue Gesetz laut Sprecher Atug zwar als ersten richtigen Schritt, bewertet es aber als lange nicht ausreichend. So werde der Kreis der Unternehmen und Einrichtungen, die sich besser schützen müssen, zwar erweitert - aber sehr viele Einrichtungen aus dem Behörden-Umfeld ausgeklammert. Dabei sollten gerade diese im Notfall betriebsfähig sein, so Atug.
Hohe Kosten könnten ein Problem sein
Nach Einschätzungen des ARD-Hauptstadtstudios besteht die große Herausforderung beim KRITIS-Dachgesetz darin, dass es für sehr viele unterschiedliche Unternehmen umsetzbar sein muss. Schließlich soll es für Unternehmen aus folgenden Bereichen gelten: Energie, Transport und Verkehr, Finanz- und Versicherungswesen, Gesundheit, Trinkwasser, Abwasser, Siedlungsabfallentsorgung, Informationstechnik und Telekommunikation, Ernährung, Weltraum und öffentliche Verwaltung. Gleichzeitig gebe es auch Widerstände, da die Aufrüstung mit hohen Kosten verbunden sei.