Pestizide in der Landwirtschaft: Verbote allein sind keine Lösung
In Deutschland soll der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft minimiert werden. Doch Wissenschaftler und Landwirte sagen: Statt die Menge der Pestizide zu begrenzen, wäre es effektiver, weniger schädliche Pflanzenschutzmittel einzusetzen.
Es ist halb acht morgens, die Sonne ist gerade aufgegangen an diesem Herbstmorgen auf Gut Perdoel im schleswig-holsteinischen Belau. Landwirt Ludwig Hirschberg steht in hohen Gummistiefeln neben einem grünen Traktor vor der Scheune. Angekoppelt an den Traktor ist ein Gerät für das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln - ausgestattet mit klappbaren Sprüharmen. Beim Arbeiten auf dem Feld breiten sie sich später aus, damit das Pflanzenschutzmittel gleichmäßig und großflächig ausgetragen werden kann.
"Wir haben heute leichten Nebel und einen etwas feuchten Boden. Das ist für die Maßnahme mit diesen Herbiziden toll, weil sich der Wirkstoff gleichmäßig über dem Boden ausbreitet und wir dann eine hohe Wirksamkeit haben", sagt Hirschberg, der Vorstandsmitglied des Schleswig-Holsteinischen Bauernverbands ist. In Kooperation mit anderen Landwirten kümmert er sich um insgesamt 1.400 Hektar landwirtschaftliche Fläche. Heute spritzt er einen Kombinationswirkstoff aus Prosulfocarb und Flufenacet - gegen Ackerfuchsschwanz-Gras.
Negative Auswirkungen auf Insekten und Böden
Oft haben Pflanzenschutzmittel allerdings negative Auswirkungen auf Insekten, sie belasten Böden und Gewässer und bedrohen langfristig die Artenvielfalt. Zudem gibt es gesundheitliche Bedenken für den Menschen. Deshalb wollte die EU-Kommission den Pestizideinsatz eigentlich bis 2030 um 50 Prozent senken. Auch dagegen protestierten die Landwirte. Als Reaktion zog Brüssel den Vorschlag dann im Februar 2024 zurück. Doch auch das deutsche Zukunftsprogramm Pflanzenschutz sieht vor, den Pestizid-Einsatz zu minimieren.
Landwirt Hirschberg aus Schleswig-Holstein beklagt, dass die Politik dabei aber einen wichtigen Faktor vergesse: Landwirtschaft sei vom Wetter abhängig. Und deshalb brauche er eine Vielzahl an Pestiziden, die er einsetzen könne. "Reagieren kann ich nur, wenn ich einen Handwerkskoffer voll mit verschiedenen Werkzeugen habe. Jedes Pflanzenschutzmittel ist in diesem Bild ein Werkzeug. Und wenn ich die alle wegnehme, habe ich am Schluss nichts mehr, womit ich reagieren kann", so Hirschberg.
Zahl der zugelassenen Pflanzenschutzmittel steigt
Zahlen des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zeigen allerdings, dass die Zahl der zugelassenen Wirkstoffe in Deutschland seit den 2000er-Jahren annähernd konstant ist. Die Zahl der zugelassenen Pflanzenschutzmittel ist in den vergangenen Jahren sogar immer weiter gestiegen.
Was sich auch in der Statistik zeigt: Wie viel Pflanzenschutzmittel pro Jahr eingesetzt werden, schwankt je nach Witterungsbedingungen. Außerdem ist die eingesetzte Menge an Pflanzenschutzmitteln abhängig vom Schädlingsdruck, also davon, wie stark sich pflanzenschädigende Insekten oder zum Beispiel Pilze gerade ausbreiten.
Molekularbiologe: "Müssen das Risiko minimieren"
Schädlingsdruck, Klimawandel und Biodiversitätskrise hängen zusammen, sagt Christoph Schäfers, Leiter des Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie. Mehr Pestizideinsatz wiederum schädigt die Artenvielfalt. "Der Klimawandel hat natürlich Einfluss auf die landwirtschaftliche Produktion, aber er hat auch Einfluss auf die Ökosysteme. Von daher kann ich nachvollziehen, dass wir das Risiko reduzieren müssen für alle Organismengruppen, gegen die sich die Pflanzenschutzmittel eigentlich nicht richten", sagt der Ökotoxikologe.
Einfach eine Maximalmenge für den Pestizideinsatz festzulegen, bringe allerdings nichts, so Schäfers: "Wir müssen nicht 50 Prozent der Tonnage reduzieren, sondern wir müssen 50 Prozent des Risikos reduzieren."
Einsatz von weniger langlebigen Mitteln gefordert
Es gehe vor allem darum, dass weniger langlebige Mittel eingesetzt werden. Je länger etwas wirke, umso gefährlicher sei es für die Organismen, die man eigentlich behalten will. Deshalb sei es auch nicht sinnvoll, Glyphosat zu verbieten, weil es durch andere Mittel ersetzt würde. "Wenn man Glyphosat killt, dann hat man 50 Prozent Reduktion ja schon fast erreicht. Da braucht man nichts mehr zu machen, weil das einfach so eine große Tonnage macht. Das hilft aber nicht, weil die anderen Pflanzenschutzmittel problematischer sind", sagt Schäfers.
Landwirt Hirschberger will ebenfalls nicht, dass immer mehr Verbote die Landwirte einschränken. Generell hat auch er aber ein Interesse an weniger Pestizideinsatz - unter anderem aus finanziellen Gründen. Die Landwirte von Gut Perdoel geben pro Jahr rund 200.000 Euro für Pflanzenschutzmittel aus, was ein großer Posten in den Betriebsausgaben ist.
Auch deshalb setzen sie auf neue Technologien, erzählt Hirschberger: "Bei der Distelbekämpfung ist es so, dass die Disteln immer an den gleichen Stellen auf dem Acker auftreten. Wir gucken schon mit Drohnen, ob wir das so kartieren können, dass wir nur noch ganz gezielt diese Nester bekämpfen."