Kopenhagens Klima-Trumpf heißt Fernwärme für alle
In Kopenhagen sind nahezu alle Haushalte ans Fernwärme-Netz angeschlossen. Weil Dänemark schon in den 70er-Jahren die Weichen dafür gestellt hat. Auch Flensburg hat früh auf Fernwärme umgeschwenkt. Lohnt es sich für Deutschland, bei der Energiewende mehr auf Fernwärme zu setzen?
Rajah Scheepers ist zum ersten Mal in ihrem Heizungskeller. Seit knapp drei Jahren wohnt die Deutsche schon in einem Mehrfamilienhaus in der dänischen Hauptstadt. Aber dort unten war die 47-Jährige noch nie. Einfach, weil sie sich um die Heizung bislang keine großen Gedanken gemacht hat. Musste sie auch nicht. Denn die Pastorin einer deutschsprachigen Gemeinde in Kopenhagen profitiert mit ihrer Familie von der Fernwärme. Fast alle Wohnhäuser in Kopenhagen sind ans Fernwärme-Netz angeschlossen. Die Stadt nennt eine Quote von 98 Prozent. Das heißt: In Kopenhagen steht so gut wie nirgends ein Öl- oder Gaskessel im Heizungskeller.
Dänemark kontrolliert die Energiepreise
In Scheepers Haus werden die insgesamt 14 Wohnungen über die Fernwärme mit heißem Wasser versorgt - zum Duschen beispielsweise und zum Heizen. Die Fernwärme ist bei den Dänen auch deshalb beliebt, weil die Preise für die Haushalte staatlich kontrolliert werden - also nicht nur der Markt die Energiepreise bestimmt.
Kopenhagen: Fernwärme ist eine Erfolgsgeschichte
Auch mit Hilfe der Fernwärme ist es Kopenhagen gelungen, die CO2-Emissionen innerhalb eines Jahrzehnts um 65 Prozent zu senken. Anders als man denken könnte, nimmt der Verkehrsbereich in der so fahrradfreundlichen Stadt dabei keine große Rolle ein. Dort konnten die Emissionen im selben Zeitraum nur um sechs Prozent zurückgefahren werden.
Die Fernwärme bietet gerade in Zeiten des Klimawandels einen unschätzbaren Vorteil. Für die Energiewende müssen nicht Hunderttausende Hausbesitzer ihren Öl- oder Gaskessel austauschen. Es reicht, wenn im Kraftwerk, das die Fernwärme produziert, die klimaschädlichen fossilen Energieträgerwie Kohle und Gas durch Erneuerbare Energien ersetzt werden. So können auf einem Schlag alle angeschlossenen Wohnungen und Häuser umweltschonend heizen.
Ölkrisen der 1970er-Jahre waren der Auslöser
Die Weichen für das weitläufige Fernwärme-Netz in Kopenhagen sind in den 1970er-Jahren gestellt worden. Auslöser waren die Ölkrisen - oder besser gesagt: der Ölpreis-Schock. Die dänische Regierung steuerte daraufhin in ihrer Energie-Politik massiv um. Das Land war damals sehr abhängig vom Erdöl. Aus dieser Abhängigkeit wollten sie unbedingt heraus - so wie Deutschland heute infolge des Ukraine-Krieges. "Während der Ölkrise durften die Dänen an manchen Tage ihr Auto nicht benutzen", erzählt Simon Kjær Hansen in der neuen Folge des NDR Info Podcasts "Mission Klima - Lösungen für die Krise". Er war einige Jahre lang Leiter der Stadtentwicklung Kopenhagens und forscht mittlerweile an der Universität. Das Gebot der Stunde sei damals gewesen, Energie zu sparen - so viel wie irgend möglich. "Da leuchtete die Idee einfach ein, dass man die Wärme, die bei der Strom-Erzeugung ohnehin entsteht, nutzt, um die Wohnungen zu heizen", sagt Simon Kjær Hansen.
Und so wurde in den folgenden Jahren und Jahrzehnten ein riesiges Fernwärme-Netz geschaffen. Klima-Aspekte spielten damals noch kaum eine Rolle. Heutzutage aber umso mehr.
CopenHill: Eine Verbrennungsanlage mit Skipiste
Aktuell werden 80 Prozent der Fernwärme in Kopenhagen mit Erneuerbaren Energien erzeugt - vor allem mit Biomasse. Das kann Biomüll sein, aber vor allem sind es Holzschnitzel aus Holzabfällen oder Altholz. Generell gilt: In Dänemark wird ein Drittel des Mülls zur Energie-Gewinnung verwendet. In Kopenhagen gibt es ein besonderes Leuchtturm-Projekt: die Müllverbrennungs-Anlage CopenHill. 15 Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Auf dem Dach der Anlage gibt es eine Skipiste - mit Kunstrasen statt mit Schnee. Auch bei Joggern und "Bergsteigern" ist der 85 Meter hohe CopenHill beliebt.
300 Lastwagen am Tag bringen Müll
im Inneren des Hügels befinden sich die technischen Anlagen für die größte Müllverbrenungs-Anlage des Landes. Täglich kommen etwa 300 Lastwagen an, beladen mit Müll aus Haushalten und aus der Industrie in Kopenhagen und Umgebung. Verbrannt wir nur der Restmüll, bei etwa 1.000 Grad. Mit dieser Wärme aus dem Ofen wird Wasser erhitzt und Wasserdampf erzeugt. Mit einem Teil dieses Dampfes wird Strom erzeugt, mit dem anderen Teil Wasser für die Fernwärme erhitzt.
Vor allem in deutschen Großstädten gibt es Fernwärme
In Dänemark als Ganzes werden 65 Prozent der Haushalte mit Fernwärme geheizt. In Deutschland liegt der Wert bei gerade mal 6,6 Prozent. Vor allem in einigen Großstädten ist Fernwärme verbreitet: In Hamburg, Berlin und München profitieren rund ein Drittel der Wohnungen und Häuser. Hingegen sind es in Düsseldorf unter 10 Prozent. In ganz Rheinland-Pfalz werden nur zwei Prozent der Haushalte mit Fernwärme versorgt.
Flensburg ist ganz weit vorne
Die deutsche Fernwärme-Hauptstadt liegt ganz im Norden: Flensburg versorgt - wie Kopenhagen - 98 Prozent der Haushalte mit Fernwärme. Anders als in Kopenhagen gab für die Stadt an der dänischen Grenze nicht die Öl-Krise den Ausschlag, auf Fernwärme umzuschwenken. Die Weichenstellung fand in Flensburg schon 1969 statt. Der damalige Stadtwerke-Chef habe einfach die Vorteile der Fernwärme früh erkannt, erzählt ein Sprecher der Stadtwerke. Und dieser Chef habe den Umbau dann "sehr vehement umgesetzt". Die Stadtwerke sind froh, dass sie nun "mit einem Hebel" die Energiewende vorantreiben können. In Flensburg setzen sie für die Zukunft auf Großwärmepumpen, die in "vier bis fünf Jahren" in Betrieb genommen werden sollen. Dafür soll Wasser aus der Flensburger Förde entnommen werden. Der zusätzlich benötigte Strom soll dann aus Erneuerbaren Energien kommen.
Kann ein Ausbau der Fernwärme rechtzeitig gelingen?
Können die Fernwärme-Vorzeigestädte Flensburg und Kopenhagen ein Vorbild für die Energiewende in ganz Deutschland sein? Bliebe für einen Ausbau der Fernwärme überhaupt ausreichend Zeit? Schließlich will Deutschland schon 2045 klimaneutral sein. Der Chef der Deutschen Energieagentur (DENA), Andreas Kuhlmann, findet: In den großen Städten und Ballungsräumen in Deutschland mache es auf jeden Fall Sinn, möglichst viele Menschen an Fernwärme anzuschließen. " Für Mehrfamilien-Häuser ist das sehr sinnvoll", sagt Kuhlmann. Als DENA-Chef ist er dafür zuständig, die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung zur Energiewende umzusetzen. In Großstädten seien die Kosten für den Ausbau der Fernwärme-Netze nicht so hoch.
Für die bundesweit 15 Millionen Ein- und Zwei-Familien-Häuser gebe es aber meist bessere Lösungen. "Da hat man noch mal ganz andere Möglichkeiten", sagt Kuhlmannn - und nennt als Beispiele Solarenergie, Solarthermie und insbesondere Wärmepumpen.