"Fliegende Fassaden": Wie Gebäude schneller saniert werden
Kann Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele erreichen? Dabei kommt es auch darauf an, wie schnell die Gebäude im Land energetisch saniert werden. Deshalb ist das "Sanieren am Fließband" auf dem Vormarsch.
Günther Steinhoff findet es klasse, dass seine Wohnung auf Vordermann gebracht wird. Der Busfahrer lebt seit 25 Jahren in einer Siedlung in Mönchengladbach - zusammen mit seiner Frau und dem Sohn in einer Dreizimmer-Wohnung, auf gut 50 Quadratmetern. Neu ist, dass die Fassade des Wohnblocks seit dem Sommer frisch saniert ist. Auch an heißen Sommertagen kann es die Familie jetzt gut in der Wohnung aushalten. "Hier ist es angenehm", schwärmt Steinhoff. "Die neuen Lüfter, die Fassaden-Dämmung - das ist genial."
Und auch eine neue Heizanlage mit einer Wärmepumpe gehört dazu. "Die Wärmepumpe draußen hört man ein bisschen", erzählt Steinhoff. "Aber sie hat einen Vorteil im Sommer: Wenn man sich davorstellt, ist das wie eine Klimaanlage. Das ist einfach spitze!"
Wie eine zweite Haut für das Wohnhaus
In der Nachbarschaft der Steinhoffs sieht es nach einer großen Baustelle aus. Die Wohnblöcke sind eingerüstet, Kräne stehen herum, Baumaterial liegt auf den Wiesen. "Wir packen das Gebäude mit vorgefertigten Fassaden ein, die schon im Werk mit allem ausgerüstet werden: Da sind Lüftungen drin, Dämmung, Fenster, Rollläden - das wird alles im Werk vorgefertigt, sodass vor Ort nur noch ein Laster vorfährt - und das Ganze verbaut werden kann", sagt Sanierungs-Experte Andreas Miltz im NDR Info Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise". Bauarbeiter montieren die Fassade aus der Fabrik wie eine zweite Haut auf die bestehende Fassade. Wenn dafür die vorgefertigen Bauteile vom Lastwagen gehoben werden, sieht dies aus wie "fliegende Fassaden".
"Die Fassaden-Montage selbst ist in wenigen Wochen erledigt, bei den Objekten hier haben wir für 30 Wohnungen zwei Wochen gebraucht, um die Fassaden komplett zu erneuern." Renowate-Geschäftsführer Andreas Miltz
Miltz ist Geschäftsführer der Firma Renowate, die sich dem seriellen Sanieren von Altgebäuden verschrieben hat - einer "Gebäude-Sanierung aus der Fabrik". Renowate ist eine Tochter des Wohnungsunternehmen LEG, dem unter anderem die Häuser in Mönchengladbach gehören. Häuser, die bislang schlecht oder gar nicht gedämmt waren.
Bei der Energieeffizienz geht es rauf in Klasse A
Im Viertel der Steinhoffs wird ein ganzes Quartier mit knapp 30 Häusern und insgesamt 230 Wohnungen innerhalb weniger Monaten energetisch saniert. Der Effekt ist enorm: Von der sehr schlechten Energieeffizienzklasse H geht es nach der Sanierung rauf in die sehr gute Klasse A. Das Projekt in Mönchengladbach ist erst der Anfang. Miltz hat von der LEG die Aufgabe bekommen, große Teile des Bestands des Unternehmens - in Deutschland sind es knapp 170.000 Wohnungen - klimafreundlich zu machen, und zwar in möglichst kurzer Zeit.
Noch ist das Tempo zu langsam
"Wir kümmern uns hier um eines der wesentlichsten gesellschaftlichen Probleme in Deutschland, Europa und der Welt", sagt Miltz. Der Betrieb von Gebäuden - also vor allem die heiße Dusche und die warme Heizung - verursachen fast ein Drittel aller CO2-Emissionen in Deutschland. Experten schätzen, dass für die Klimaziele jedes Jahr mindestens zwei Prozent des Wohnungsbestands saniert werden müssten - das wären rund 840.000 Wohneinheiten. Aktuell liegt der Wert aber gerade einmal bei der Hälfte. Das Tempo müsste also gesteigert werden. Und hier hilft das serielle Sanieren - oder auch: "Sanieren am Fließband". Das heißt: Sanierungen so weit zu standardisieren, dass man sie ganz schnell für viele Gebäude anwenden kann.
Erst wird ein "digitaler Zwilling" erstellt
Ohne Hightech geht es nicht. Zunächst werden von einem Wohngebäude mit Drohnen und 3D-Messgeräten Scans gemacht. Dabei wird nicht nur die Fassade vermessen: Wie hoch ist die Decke, wie tief sind die Fenster, wo ist die Fensterbank? So entsteht ein "digitaler Zwilling" des Hauses. Das Verfahren eignet sich vor allem für die immergleichen Wohnblocks aus den 50er- und 60er-Jahren - wie in Mönchengladbach. Der Aufwand für die Scans ist geringer als bei vielen verschiedenen Einfamilienhäusern.
Viel schneller als eine klassische Sanierung
Von der Vermessung bis zur kompletten Sanierung dauert es ungefähr ein halbes Jahr. Das sei in etwa doppelt so schnell wie eine herkömmliche Sanierung, sagt Miltz. "Wenn man eine solche Sanierung klassisch macht, würde man Styropor-Platten an die Fassade schrauben. Das würde mehrere Monate dauern - und auch viel mehr Fachkräfte brauchen. Aber die haben wir nicht - und das wäre auch viel zu teuer."
Die Idee kommt aus den Niederlanden
Andreas Miltz erklärt, dass das serielle Sanieren als Ergänzung zum herkömmlichen Vorgehen gedacht ist: "Das was wir hier machen, ersetzt nicht die etablierten Bauunternehmen, die das herkömmlich machen, sondern es kommt on top." Bislang wurden laut der Deutschen Energieagentur in ganz Deutschland erst 47 Projekte mit dem neuartigen Verfahren saniert. 146 weitere Projekte befinden sich in Planung. Aber bald sollen es mehr werden, viel mehr.
Entwickelt wurde das Verfahren in den Niederlanden. Daher auch der Name "Energiesprong", also Energiesprung. Das Ziel bei der Firma Renowate lautet: Bis zu 80 Prozent der Arbeiten wie das Fertigen von Fassaden-, Dach- und Technik-Elementen sollen vorab in der Fabrik stattfinden.
Steinwolle für eine umweltfreundliche Dämmung
Beim seriellen Sanieren geht es nicht allein um den Zeitfaktor. Auch die Umweltverträglichkeit ist mitgedacht. So setzt Renowate bei der Dämmung auf Steinwolle: "Bei der herkömmlichen Dämmung nutzt man meistens Styropor und klebt damit ja letztlich Erdöl an die Wand," sagt Miltz. Steinwolle sei zwar teurer als Styropor, aber recycelbar. "Wo es wirtschaftlich vertretbar ist, versuchen wir recycelbare Materialien zu verwenden. Das gelingt uns überwiegend. Kunststoff-Fenster verbauen wir noch, aber alle anderen Materialien sind nachhaltig."
Noch liegen die Kosten beim seriellen Sanieren mitunter höher als bei einer klassischen Sanierung. Aber das soll sich idealerweise in den kommenden Jahren ändern - auch dank staatlicher Förderung. Zudem sollen die Prozesse noch verfeinert werden.
Für Mieter sinken die Energiekosten drastisch
Für Günther Steinhoff und seine Familie bringt die Sanierung eine Mieterhöhung mit sich. Aber das ärgert den Busfahrer nicht. "Die Erhöhung hält sich mit 50 Euro noch im Rahmen. Das ist für mich absolut okay. Vor allen Dingen, wenn ich dann noch sparen kann." Denn das Versprechen lautet: Familie Steinhoff könne nach der Sanierung bis zu 90 Prozent ihrer Energiekosten sparen und müsse - trotz Erhöhung der Kaltmiete - für die Warmmiete nicht mehr bezahlen als vorher. Ob dieser Plan so aufgeht, werden der kommende Winter und die nächste Heizkosten-Rechnung zeigen.