Stand: 03.12.2022 09:13 Uhr

"Die Verkehrswende auf dem Land ist sehr wichtig"

Ein Auto des Cahrsharing-Modells Dörpsmobil steht in Klixbüll vor einer Solaranlage. © NDR info Foto: Nadja Mitzkat
Car-Sharing-Angebote mit Elektroautos wie das Dörpsmobil können bei der Verkehrswende in ländlichen Regionen helfen.

Deutschland bleibt nicht mehr viel Zeit, um seine selbstgesteckten Klimaschutz-Ziele beim Verkehr zu erreichen. Vor allem auf dem Land ist die erforderliche Verkehrswende eine große Herausforderung. Im NDR Info Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise" erklärt die Verkehrsforscherin Meike Jipp, warum die bisherigen Anstrengungen längst nicht ausreichen. Sie leitet das Institut für Verkehrsforschung im Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt. Seit Sommer 2022 ist die Professorin zudem Co-Vorsitzende eines Experten-Gremiums, das das Bundesverkehrsministerium in Klimafragen berät. Hier finden Sie das Interview in einer ausführlichen Fassung.

Der Verkehr gilt als eines der großen Sorgenkinder beim Klimaschutz. Wie besorgt sind Sie, dass wir die Verkehrswende nicht schaffen?

Meike Jipp: Ich bin da sehr besorgt. Letztendlich ist es ja so, dass wir bis zum Jahr 2030 ungefähr auf 50 Prozent der Treibhausgas-Emissionen von 1990 zurückgehen müssen. Nun sind seit 1990 doch schon einige Jahre ins Land gegangen sind und ich stelle fest, dass sich seitdem sehr wenig getan hat bei diesen Zahlen. Ich frage mich schon: Wie wollen wir das eigentlich bis 2030 noch hinkriegen? Uns bleiben nur noch acht Jahre. Eine signifikante Veränderung in diesem Mobilitätssystem hinzubekommen, ist nicht ganz so leicht. Insofern mache ich mir große Sorgen.

Wie wichtig ist der Umstieg auf Elektroautos für die Mobilitätswende auf dem Land?

Jipp: Die Mobilitätswende ist gerade auf dem Land sehr, sehr wichtig. Es hilft natürlich, wenn wir elektrisch unterwegs sind. Dadurch, dass wir dann klimafreundlicher unterwegs sind und CO2 sparen. Und das Land hat in dem Kontext einen Riesenvorteil im Vergleich zur Stadt: Dort gibt es schlicht und ergreifend Platz für die Lade-Infrastruktur. Und die brauchen wir für einen Umstieg auf E-Autos. Und da sollte man schauen, dass wir mit dem Ausbau schnell vorankommen, um Menschen von dieser neuen Möglichkeit der Elektromobilität zu begeistern.

Das ist interessant, dass Sie das sagen. Denn die öffentliche Debatte geht ja oft eher in eine andere Richtung: dass man sagt, auf dem Land sei die Reichweite von Elektroautos ein Problem.

Jipp: Was wir auch in unseren Umfragen gesehen haben, ist, dass Menschen tatsächlich zwar noch ein bisschen diese "Reichweiten-Angst" haben. Aber vorherrschend ist eher die Sorge, dass sie das Auto zwischendurch nicht mehr aufgeladen bekommen. Und deswegen ist es ganz wichtig, auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu setzen und dafür zu sorgen, dass den Menschen bewusst wird, dass sie auch auf einer längeren Strecke ihr Auto mal laden können. Und wenn ich mir zudem angucke, über welche Distanzen wir so im Alltag unterwegs sind, dann ist es deutlich unter der Reichweite von einem Elektrofahrzeug. Also da braucht man sich überhaupt keine Sorgen zu machen. Kritisch sind da eher die langen Urlaubsreisen mit einem E-Auto.

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Ist ein Carsharing-Modell mit Elektroautos für ländliche Regionen ein Konzept mit Zukunft?

Jipp: Ja, definitiv. Vor allem, wenn es mehrere Fahrzeug-Typen im Angebot gibt. Dann könnte man mal mit dem Cabrio am Wochenende in die Berge oder ans Meer fahren. Und auf der anderen Seite auch mal mit einem Transporter einen größeren Schrank vom Möbelhaus abholen. Also das ergibt definitiv Sinn. Zumal die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit dem Auto mehr Kilometer zurücklege, höher ist, wenn ich ein eigenes Auto vor der Haustür stehen habe. Wenn es ein Carsharing-Angebot ist, nutze ich zwar auch ein Auto, aber bei Weitem nicht so viel.

Welche Rolle könnte da ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs spielen? Könnte dies einen Teil der Autos überflüssig machen?

Jipp: Nun, das ist auf dem Land schwieriger als in der Stadt. Was beim ÖPNV immer eine ganze wichtige Rolle spielt, ist der Punkt: Wie komme ich zur Bushaltestelle oder zum Bahnhof? Und wie komme ich von dort wieder weg? Was da helfen könnte, wären On-Demand-Shuttles. Also kleine Fahrzeuge, die elektrisch angetrieben sind und über eine App zu buchen sind. So könnte man beispielsweise angeben, das man am nächsten Morgen früh um 8 Uhr von zu Hause abgeholt und zum nächsten Bahnhof gebracht werden möchte. Was hierbei wichtig ist, ist, dass es ein extrem verlässlicher Service ist und dass es natürlich auch klimafreundliche Fahrzeug-Antriebe sind. Zudem bietet die Automatisierung neue Chancen.

Sie meinen, dass man dann keine Fahrer für solche Shuttle-Dienste mehr braucht?

Jipp: Ja, die Automatisierung würde auch das Problem mit dem Fachkräfte-Mangel lösen. Es wird ja immer schwieriger, Fahrer zu bekommen. Insofern wäre es schwierig, ein ÖPNV-Angebot so auszudehnen, wie ich es eben beschrieben habe, weil wir letztendlich die Fahrer nicht dafür haben, um das engmaschig umzusetzen. Zudem hilft eine Automatisierung, die Kosten zu senken.

Aber diese Perspektive hilft uns nicht bis 2030.

Jipp: Ja, es wird schwierig, die Automatisierung bis 2030 hinzubekommen. Aber 2030 hört es ja nicht mit dem Klimaschutz auf. Wir wollen in Deutschland schließlich bis 2045 komplett emissionsfrei sein im Verkehr.

Welche Rolle spielt das geplante 49-Euro-Ticket? Kann das einen zusätzlichen Schub bringen?

Jipp: Wir gehen davon aus, dass das 49-Euro-Ticket eine Chance hat, die Mobilität zu verändern. Aus zwei Gründen: Es ist ein sehr, sehr einfaches Ticket. Es ist unkompliziert zu nutzen. Und es ist in aller Munde. Und wir hatten ja schon beim Neun-Euro-Ticket gesehen, dass es da durchaus auch Potenzial gibt. Beim Neun-Euro-Ticket war es tatsächlich schwieriger, die regelmäßigen Pendler davon zu überzeugen, dieses Ticket zu nutzen. Da das 49-Euro-Ticket auf einen längerfristigen Zeitraum angelegt ist, hoffen wir, dass mehr Pendler überzeugt werden. Wobei dann wichtig ist, dass wirklich die Infrastruktur ausgebaut wird und eine Verlässlichkeit in den öffentlichen Personen-Nahverkehr reinkommt.

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Laut einer Statistik ist auf dem Land ein Drittel der Wege kürzer als zwei Kilometer. Und trotzdem werden viele dieser Wege im Moment noch mit dem Auto gemacht. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Jipp: Ja, das ist eine traurige Statistik. Das ist Bequemlichkeit, schlicht und ergreifend. Ich habe das Auto vor der Tür stehen, damit ist es immer verfügbar. Und es ist halt auch ein Allwetter-Fahrzeug: Da werde ich selbst bei Regenwetter nicht nass. Und diese Faktoren führen dazu, dass wir uns einfach ins Auto setzen und losfahren - ohne darüber nachzudenken, ob das vielleicht auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad gehen würde.

Welches Mittel könnte es gegen diese Bequemlichkeit geben?

Jipp: Auf dem Land ist es tatsächlich schwierig. Aber was in einer Stadt hilft, sind attraktive Wege: Wege, die durchs Grüne führen, wo man den Himmel sieht, wo man entspannte Menschen sieht. Beim Fahrrad ist auch der Ausbau des Fahrradwege-Netzes wichtig. Je mehr Fahrradwege zur Verfügung stehen, desto besser werden diese auch genutzt. Wobei dann wichtig ist, dass die Wege nicht zugeparkt sind.

Man hört immer wieder, dass der Großteil der Überlandstraßen noch gar keine Radwege hat. Ist das tatsächlich so?

Jipp: Ja, das ist tatsächlich so. Das überrascht sehr - vor allem, wenn ich mir anschaue, wie erfolgreich das Fahrrad schon in den letzten Jahren war. Gerade in der Corona-Pandemie sind immer mehr Menschen aufs Fahrrad umgestiegen. Die Frage lautet: Wo kommen die neuen Radwege her? Jetzt können wir die natürlich auf der einen Seite neu bauen, was aber auch Zeit und Geld kostet. Das heißt, dann wird es wieder schwierig, die Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Was man sich durchaus auch mal überlegen könnte, ist, den vorhandenen Straßenraum anders zu nutzen. Also einen Fahrradweg auf der Straße zu schaffen.

Das hätte auch den Vorteil, dass man das Auto mal unattraktiver macht und vielleicht auch ein Stück weit langsamer. Denn wenn ich irgendwo in Deutschland zur Arbeit pendle, dann bin ich mit dem Auto dreimal schneller als mit dem öffentlichen Personennahverkehr. Und das ist natürlich auch eine Motivation, mit dem Auto zu fahren und nicht mit der Bahn.

Wie wichtig sind unbeliebte Maßnahmen, um die Treibhausgas-Emissionen im Verkehr herunterzufahren?

Jipp: Man kann Verhaltensänderungen provozieren durch positive Anreize. Das Problem mit dem positiven Anreizen ist, dass sie recht lange dauern, bis sie wirken. Und wir haben ja leider nicht mehr ganz so viel Zeit für die Verkehrswende. Die andere Variante ist, ein nicht gewünschtes Verhalten zu sanktionieren. Als Psychologin sage ich immer gerne, eine Bestrafung führt zu einer sehr schnellen Verhaltensänderung. Und wenn wir schnell gewisse Änderungen haben wollen, ist das tatsächlich der Weg, der am schnellsten zu einer Verhaltensänderung führt.

Wovon hängt es ab, dass die Menschen unbeliebte Maßnahmen akzeptieren?

Jipp: Das hängt sehr stark von der Kommunikation ab. Und da ist es sehr, sehr wichtig, den Menschen klarzumachen, dass wir langfristig das Klima retten müssen. Dass dieses Ziel auch gesetzlich vorgeschrieben ist. Und dass das auch etwas ist, das alle betrifft. Und dass sich jeder Einzelne verändern muss, damit wir die Lebensgrundlage in diesem Land erhalten. Und dass damit jeder für die folgenden Generationen etwas Positives tut. Also das muss sehr deutlich gemacht werden.

Das Gespräch führte Arne Schulz, NDR Info.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Mission Klima – Lösungen für die Krise | 25.11.2022 | 09:00 Uhr

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