Daniel Drepper: "Gute Recherche braucht Zeit und Rücken"
In Hamburg treffen sich investigative Journalistinnen und Journalisten am Freitag und Sonnabend zur Jahreskonferenz. Der Vorsitzende von Netzwerk Recherche, Daniel Drepper, erklärt, wie komplexe Recherchen sich gegen News-Häppchen auf Social Media behaupten können.
Zum Auftakt ihres Jahrestreffens am Freitag hat die Organisation traditionell den "Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen" verliehen. Dieser geht in diesem Jahr an das Medienhaus Correctiv. Die gemeinnützige Rechercheplattform hatte im Januar dieses Jahres unter dem Titel "Geheimplan gegen Deutschland" über ein geheimes Treffen von Rechtsextremen in einer Potsdamer Villa berichtet und Pläne zur "Remigration" von Menschen mit ausländischen Wurzeln aus Deutschland offengelegt.
Den Informations-Blockiererpreis "Verschlossene Auster" bekamen in diesem Jahr Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und sein Ministerium. Wissing erhielt den Negativpreis für einen problematischen Umgang mit Recherchen der Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" zu Interessenkonflikten in seinem Ministerium. Die Preisverleihung fand am Samstag statt.
Der Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" und Vorsitzende von Netzwerk Recherche, Daniel Drepper, erklärt im Interview, was eine gute Recherche ausmacht, wie man mit ihr zu möglichst vielen Menschen durchdringt - und warum er sich mitunter jahrelang an einem Thema festbeißen kann.
Warum wurde die Correctiv-Recherche zu dem Treffen in Potsdam mit dem Leuchtturm von Netzwerk Recherche ausgezeichnet?
Daniel Drepper: Die Recherche von Correctiv im Frühjahr dieses Jahres war in jedem Fall eine der Recherchen, die den größten Impact hatte, den wir je gesehen haben. Millionen Menschen waren auf der Straße, und es hat auch ein ganz neues Level an Diskussionen ermöglicht über Pläne von Rechtsextremisten, gegen Menschen mit Einwanderungsgeschichte vorzugehen. Deshalb war das für uns ganz klar, dass wir das auszeichnen wollen. Das war eine Inspiration für andere Journalisten und Journalistinnen, solch große Recherchen anzugehen.
Also ist der Preis auch als Mutmacher gedacht?
Drepper: Correctiv hat nach der Veröffentlichung der Recherche sehr viel Gegenwehr bekommen. Es gab mehrere Shitstorms von rechts, es gab eine Anwaltskanzlei, die sich mit ganz viel Aufwand eingesetzt hat gegen diese Recherche. Correctiv hat dagegengehalten, hat gezeigt, dass sie für ihre Recherchen einstehen. Wir wollen uns solidarisch zeigen mit Recherchen, die angegriffen werden, weil uns wichtig ist, dass Menschen das, was sie rausfinden, auch veröffentlichen können. Wir werden fürs Veröffentlichen bezahlt und nicht fürs Verschweigen.
Warum hatte ausgerechnet diese Recherche einen so großen Impact?
Drepper: Ich glaube, dass es eine Recherche war, die vieles, was die Leute vielleicht im Unterbewusstsein wussten oder mal hier und da gelesen hatten, auf den Punkt gebracht hat. Das wird sehr plastisch gemacht, man ist sehr nah dran an dem, was dort geplant wird von Rechtsextremen, aber immer mehr auch in die Mitte der Gesellschaft vordringt. Und deshalb haben sich, glaube ich, viele Leute angesprochen gefühlt und haben gesagt: Jetzt reicht es, jetzt wollen wir uns engagieren.
Wie kann es Recherche schaffen, in Echokammern zu gelangen, durch Fake News sich den Weg zu bahnen und die Leute auch noch anzusprechen?
Drepper: Ich glaube, dass es auf jeden Fall darum geht, Recherche auf ganz vielen verschiedenen Wegen zu erzählen, dass es nicht mehr nur darum gehen kann, die eine Nachrichtenminute in der 20-Uhr-Tagesschau zu machen oder einen Artikel in der "Süddeutschen Zeitung". Es ist auch unsere Aufgabe, das Journalistinnen und Journalisten schauen, wo wir wir die Leute erreichen können, die vielleicht nicht mehr klassischerweise jeden Morgen die Tageszeitung lesen. Man muss ganz bewusst auch sagen, wir gehen auf verschiedene Kanäle. Es gibt es ja auch immer mehr Recherchen, die auf Instagram, auf TikTok, in Podcasts, in allen möglichen verschiedenen Formaten, erzählt werden. Und dann glaube ich persönlich, dass es wichtig ist, dass man Recherchen erstens gut erzählt, dass man klarmacht, wie betrifft das Menschen, dass man also persönliche Geschichten von Menschen miterzählt. Zweitens ist es aus meiner Sicht wichtig, sehr faktentreu zu erzählen und möglichst wenig Meinung und Fakten zu vermischen.
Was braucht es, damit Recherche gegenüber schnell auf Social Media konsumierbaren News-Häppchen überhaupt zu den Menschen durchdringt?
Drepper: Ich glaube, dass es eine doppelte Tendenz gibt: einerseits natürlich die Tendenz, sich durch seinen Feed zu scrollen und Nachrichten in kurzen Häppchen anzuschauen. Auf der einen Seite sehen wir aber auch, dass es einen ganz großen Bedarf gibt an ausgeruhten Geschichten, an Dokumentationen, an gut erzählten Recherchen. Lange Dokus funktionieren auf YouTube wahnsinnig gut. Bei Netflix gibt es immer stärker Dokumentationen, vor allem im True-Crime-Bereich. Da wird immer mehr produziert, weil die Leute Interesse haben an wahren Geschichten, die gut erzählt sind. Die können dann auch länger sein. Sie müssen halt einfach gut erzählt sein. Da muss viel Mühe drinstecken und das müssen die Leute merken.
Inwiefern kann und muss man auch sehr komplexe Recherchen snackable machen?
Drepper: Ich glaube, dass theoretisch jede Recherche in einem Satz erzählt werden kann und dass alles runterfokussiert werden kann auf möglichst kurze Formate. Man kann natürlich mit Grafiken sehr, sehr viel machen. Ich glaube, dass wir uns da als investigative Journalistinnen und Journalisten auch noch mehr Mühe geben können, dass wir den Küchenzuruf, also die eine zentrale Information, auch in den sozialen Medien sehr snackable verpacken können.
Journalisten werden immer wieder bei ihrer Arbeit behindert und etwa im rechten Milieu bedroht. Wie sollte die Reaktion aussehen?
Drepper: Es ist auf jeden Fall so, dass Bedrohungen gegen Journalistinnen und Journalisten zunehmen, sowohl im Ausland als auch in Deutschland. Natürlich haben wir in Deutschland immer noch eine vergleichsweise gute Lage, wenn man sich zum Vergleich Länder wie Iran, Russland und China anguckt. Aber sowohl im Internet als auch bei Demonstrationen im realen Leben nehmen Bedrohungen zu. Und ich finde es wahnsinnig wichtig, dass sich Redaktionen hinstellen und ihre Kolleginnen und schützen, ihre Kollegen verteidigen und dagegen halten. Denn wenn wir da anfangen einzuknicken, dann wird es sehr schwierig mit der Pressefreiheit.
Welche Rahmenbedingungen braucht es, um aufwendige Recherchen überhaupt möglich zu machen?
Drepper: Grundsätzlich brauchen Recherchen natürlich vor allem Zeit. Das ist das Wichtigste: bezahlte Zeit für Reporterinnen und Reporter, sich mit Themen auseinanderzusetzen. Das kann im Extremfall bei investigativen Teams mit mehreren Reportern über Monate und Jahre gehen. Aber das geht ja schon los in normalen, tagesaktuell arbeitenden Redaktionen, dass man sagt: Okay, du hast mal drei Tage, dir was genauer anzugucken. Und wenn du was findest, dann geben wir dir noch mal einen Tag oder zwei. Und dann braucht man natürlich ein Backup bei solchen Recherchen. Die Redaktion muss die Bereitschaft haben, das auch anwaltlich zu verteidigen, einen Presserechtler zu bezahlen, wenn ich keinen im Haus habe. Sie muss bereit sein, kritische Anrufe von den Beschuldigten auszuhalten. Sie muss sich bewusst sein, dass sie sich hinter die Reporterinnen und Reporter stellen muss, also deren Rücken stärken. Das sind die zwei Sachen: die Zeit und der Rücken!
Woher kommt eigentlich Ihre Leidenschaft, sich über einen langen Zeitraum mit einem Thema zu befassen und ganz tief in die jeweilige Materie einzusteigen?
Drepper: Im Studium hatte ich ein Rechercheseminar bei einem bekannten Sportjournalisten, Jens Weinreich heißt er, der hat damals viel zum Thema Doping und Korruption im Sport recherchiert. Und das war das erste Mal, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, mich länger mit einem Thema zu befassen. Da habe ich gemerkt, wie viel Spaß mir das macht, Sachen zu erfahren, die normalerweise nur Leute erfahren, die in diesem Bereich selbst unterwegs sind. Ich komme als Außenseiter und gehe aber in einen Bereich rein, wo ich dann nach und nach zum Insider werde. Und dann am Ende kann ich Sachen veröffentlichen, die vorher der Öffentlichkeit nicht bekannt waren. Das hatte für mich einen Wert, den ich vorher so nicht kannte.
Was war Ihre am längsten dauernde Recherche?
Drepper: Ich habe mich mal sehr lange, drei bis vier Jahre lang, befasst mit dem Thema Berufskrankheiten und wie Menschen, die auf der Arbeit krank werden, dann ungerechtfertigterweise nicht entschädigt werden. Das war für mich total faszinierend, weil ich selbst aus einer Arbeiterfamilie komme und weiß, wie es sein kam, durch die Arbeit krank zu werden durch mein persönliches Umfeld. Da fand ich es total spannend zu sehen, wie viele Menschen dort betroffen sind, die aber oft nicht die Möglichkeit haben, selber sich zur Wehr zu setzen, selber eine Stimme zu haben.
Das Interview führten Anna Mundt und Daniel Sprenger für NDR Info.