Bundesnetzagentur: "Versorgungs-Sicherheit zu jeder Sekunde gewahrt"
Am 15. April 2023 sind in Deutschland die letzten Atomkraftwerke vom Netz gegangen. Erneuerbare Energien würden die Stromerzeugung günstiger machen, sagt Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur. Doch der dafür nötige Netzausbau sorge für hohe Kosten.
Befürchtungen über explodierende Strompreise oder mangelnde Versorgungs-Sicherheit hätten sich nach dem Aus für Atomkraft vor einem Jahr nicht bewahrheitet, sagte Klaus Müller im Interview auf NDR Info. Für die Zukunft seien vor allem ein schneller Netzausbau sowie eine faire Verteilung der Netzentgelte wichtig.
Herr Müller, es ist ein Jahr her, dass Deutschland aus der Atomkraft ausgestiegen ist. Welche Bilanz zieht die Bundesnetzagentur aus diesem Jahr?
Klaus Müller: Erst einmal können wir festhalten, dass die vielfältigen Befürchtungen nicht eingetreten sind. Die Versorgungssicherheit war zu jeder Sekunde gewahrt. Wir haben sogar fallende Großhandelsstrompreise gesehen, das ist erst einmal eine gute Nachricht. Auch der Stromhandel mit dem europäischen Ausland sorgt für sinkende Preise. Und wir haben eine höhere Erzeugung aus erneuerbaren Energien gesehen und damit einen sinkenden CO2-Ausstoß.
Eine der größten Herausforderungen der Energiewende ist der Netzausbau. Wie teuer wird diese Investition für den Stromkunden?
Müller: Das ist heute schwer zu prognostizieren. Der Strompreis wird in Zukunft höhere Kosten für den Ausbau und den Betrieb der Netze enthalten. Wir müssen in die großen Überlandleitungen investieren sowie auch in die Verteilnetze vor Ort. Der Strompreis wird auch Kosten für neue Erzeugungsanlagen enthalten. Dagegen werden die immensen Kosten für den Import von fossilen Energieträgern aus dem Strompreis verschwinden und auch Einsparungen bei der Wärmeerzeugung oder Tankstellen müssen gegengerechnet werden.
Aber wie groß ist die Gefahr, dass die Netzentgelte die sinkenden Strompreise dann wieder auffressen?
Müller: Das legt den Finger in die Wunde der Energiewende. Wir sehen, dass erneuerbare Energien den Strom in der Erzeugung günstiger machen, aber die Netze stellen gerade eine große Rechnung. Deswegen müssen wir diskutieren, wie wir die Kostenbelastung im Rahmen halten können. Die Netzentgelte ändern sich übrigens auch, wenn weitere Bereiche elektrifiziert werden. Also, wenn wir mit Strom heizen, Stichwort Wärmepumpen. Wenn wir mit E-Autos fahren, Stichwort Mobilität. Das wird die Netzentgelte insgesamt wieder etwas reduzieren. Und wenn es uns gelingt, die vermeidbaren Systemkosten, also das Abschalten von erneuerbaren Anlagen, zu reduzieren, wenn die großen Netze endlich ausgebaut sind, reduziert das wieder die Kosten.
Sind die Netzentgelte aus Ihrer Sicht gerecht verteilt?
Müller: Netzkosten entstehen auf verschiedenen Ebenen. Ein Punkt, der wiederholt zu Kritik geführt hat, waren die Regionen im Norden und im Osten Deutschlands, wo viel erneuerbare Energien erzeugt werden und damit sehr hohe Verteilnetzkosten entstehen. Hier hat die Bundesnetzagentur den Vorschlag gemacht, Netzkosten in Höhe von ungefähr 1,6 Milliarden Euro gerechter zu verteilen. Das entlastet die Regionen, die besonders stark erneuerbare Energien ausgebaut haben. Darüber wollen wir noch dieses Jahr entscheiden.
Muss der Netzausbau insgesamt günstiger werden?
Müller: Die Forderung ist leicht erhoben, aber schwer zu erfüllen. Im Zweifel ist schneller Netzausbau günstiger Netzausbau. Wir haben zum Beispiel Maßnahmen zur besseren Auslastung von Stromleitungen oder ihre Bündelung umgesetzt und die Genehmigungsverfahren inzwischen so stark beschleunigt, dass wir in vielen Verfahren weit fortgeschritten sind. Das heißt: Jede Änderung, zum Beispiel von Erdkabel auf Freileitungen, würde uns in diesen Verfahren wieder zurückwerfen. Eine Entscheidung, die die Politik treffen kann, ist die Frage, ob neue Leitungen, mit deren Planung noch gar nicht begonnen wurde, als günstigere Freileitungen gebaut werden sollen. Das muss die Politik gegen das Risiko abwägen, dass Proteste teure Verzögerungen im Bau verursachen. Diese Entscheidung trifft Berlin. Bei Gasnetzen wird es einen hohen Umwidmungsanteil für Wasserstoffleitungen geben. Auch das spart Kosten.
Inwieweit ist der Netzausbau Ihrer Meinung nach eine staatliche Aufgabe?
Müller: Ich glaube, dass Deutschland gut gefahren ist, dass wir Netzbetreiber haben, die privaten Eigentümern oder den Kommunen gehören und dass gleichzeitig über die Bundesnetzagentur auf Kosteneffizienz gesetzt wird. Ich halte das für ein schlaues System, das sich alles in allem bewährt hat.
Die Bundesregierung will den Stromnetzbetreiber Tennet übernehmen. Wenn man Stromleitungen mit Autobahnen vergleicht: Inwiefern macht es Sinn, dass der Staat hier Eigentümer wird?
Müller: Die Bundesregierung verhandelt zurzeit mit dem niederländischen Staat über einen Minderheitsanteil, um Einfluss nehmen zu können, zu beschleunigen, um für eine gute Eigenkapitalversorgung zu sorgen. Diese Entscheidung liegt dann in Berlin. Die Bundesnetzagentur wird, egal wer der Eigentümer ist, auf einen schnellen und kostengünstigen Netzausbau achten.
Müssen auch Bürgerinnen und Bürger den Stromverbrauch besser steuern? Zum Beispiel mit Energiespeichern oder Smart Metern, den neuen digitalen Stromzählern?
Müller: Die große Chance liegt nicht nur darin, Strom erneuerbar zu produzieren, sondern ihn auch intelligenter zu nutzen. Das wird verschiedene Auswirkungen haben. Für die Industrie sind das große Chancen, weil sie mit Flexibilität Geld verdienen kann. Für private Haushalte gibt es die Chance, Geld zu sparen durch intelligente Stromzähler, intelligente Haushaltsgeräte oder bidirektionales Laden von E-Autos. Die Bundesnetzagentur hat hier bereits Anforderungen an die Netzbetreiber formuliert und beschlossen. Das heißt: Jahr für Jahr werden wir ein digitaleres Stromnetz sehen. Wenn die Versorger dann auch variable Stromtarife anbieten, sind das große Chancen für die Verbraucher.
Das Interview führte Christian Stichler.