Bundesbauministerin Geywitz: "Klar ist, es wird zu wenig gebaut"
Der Wohnungsbau in Deutschland stockt. Die Gründe sind zum einen steigende Zinsen, hohe Materialkosten und Handwerkermangel. Die Bauwirtschaft kritisiert aber auch unklare staatliche Förderbedingungen und zu lange Genehmigungsverfahren. Beim Wohnungsbau-Tag sicherte Wirtschaftsminister Habeck der Branche Unterstützung zu.
400.000 neue Wohnungen pro Jahr - dieses Ziel hatte sich die Ampelkoalition gesetzt. Auch wenn die genauen Zahlen für 2022 noch nicht vorliegen, ist klar: Es werden deutlich weniger sein. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat hier Versäumnisse eingeräumt. "Klar ist, es wird zu wenig gebaut. Der Bedarf ist deutlich höher als die knapp 300.000 Wohnungen, die 2021 fertiggestellt wurden", sagte Geywitz im NDR Info Interview.
In diesem Jahr rechnet die Baubranche bestenfalls mit 250.000 fertiggestellten Wohnungen. Zudem sinkt die Zahl der Baugenehmigungen bereits seit zehn Monaten. Im Februar wurden nur noch 22.300 Wohnungen genehmigt und damit 20,6 Prozent oder 5.800 weniger als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt ermittelte. Die Zahl sinkt damit seit Mai 2022 kontinuierlich, seit Oktober 2022 liegt das Minus bei jeweils mehr als zehn Prozent.
Habeck sichert Baubranche Unterstützung zu
Auf dem Wohnungsbau-Tag 2023 haben die Verbände der Bau- und Wohnungswirtschaft in Berlin mit Geywitz, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sowie Vertreterinnen und Vertretern der Parteien am Donnerstag über Auswege aus der Misere und Lösungen für den Wohnungsmangel diskutiert. Habeck sicherte der Baubranche Unterstützung zu. So sei es unter anderem denkbar, steuerliche Abschreibungen zu erhöhen und die Förderung für energieeffiziente Gebäude zu stärken. "Wir werden die Bauwirtschaft nicht kaputtgehen lassen und das Land nicht kaputtsparen", sagte der Vizekanzler. Es gebe quasi eine staatliche Verpflichtung hier zu helfen. "Das Bauen und Wohnen entscheidet über den sozialen und ökologischen Kern dieses Landes."
Steigende Zinsen, hohe Materialkosten und Handwerkermangel verteuern das Bauen
Ein ganzes Bündel an Ursachen habe zu dem Wohnungsmangel geführt, hatte Geywitz zuvor auf NDR Info gesagt. Es habe eine Riesen-Auslastung in der Baubranche gegeben, das wisse jeder, der versucht habe, einen Handwerker zu bekommen. "Das hat Bauen sehr verzögert." Ein weiterer Grund für den schleppenden Neubau seien die stark gestiegenen Materialkosten. Zudem gab es seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine einen deutlichen Anstieg der Zinsen.
Bauindustrie: Ohne Förderung kein bezahlbarer Wohnraum
"Allein zur Refinanzierung dieser Kosten brauchen wir heute eine Nettokaltmiete von 18 Euro, tendenziell eher höher", sagte Tim-Oliver Müller vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie auf NDR Info. Doch von der Politik sei eine Zielmiete für die Mitte der Gesellschaft von 8 bis 10 Euro gesetzt worden. "Um diese Lücke zu schließen, brauchen wir Förderung." Zwar könne man auch Wohnungen für 18 Euro Kaltmiete bauen, aber dafür gebe es am Markt keine Nachfrage. "Ohne Förderung werden wir keinen bezahlbaren Wohnraum schaffen."
Verbände fordern hohe Milliardensummen
Die im Wohnungsbau führenden Verbände in Deutschland fordern von der Bundesregierung 50 Milliarden Euro mehr für den Bau von Sozialwohnungen. Das Geld solle von Bund und Ländern in einem Sondervermögen zur Verfügung gestellt werden, erklärten die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt und sechs weitere Organisationen auf dem Wohnungsbautag. Nur mit den zusätzlichen Mitteln könne es gelingen, 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr zu bauen, hieß es.
Der Staat müsse zudem den Bau bezahlbarer Wohnungen mit Quadratmeter-Kaltmieten zwischen 8,50 Euro und 12,50 Euro massiv unterstützen. Für 60.000 Neubauwohnungen in dieser Legislaturperiode seien 22 Milliarden Euro zusätzlich erforderlich, erklärte das Verbändebündnis Wohnungsbau, dem unter anderem der Deutsche Mieterbund, der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen und der Zentralverband Deutsches Baugewerbe angehören.
Geywitz verweist auf bestehende Förderprogramme
Die Bauwirtschaft würde "an jede Fördersumme am liebsten noch eine null oder zwei ranmachen", sagte Geywitz. Sie verwies im Interview auf ein Zinsförderprogramm für sehr klimafreundliche Neubauten, das seit dem Start Anfang März gut angenommen werde. Außerdem sei ein Programm im Umfang von 500 Millionen Euro für den Bau von Azubi- und Studentenwohnungen aufgelegt worden. Im Sommer komme ein weiteres Zinsverbilligungsprogramm für bauwillige junge Familien.
Für die Bauwirtschaft ist all das zu wenig. "Wir brauchen eine verlässliche Förderung", sagte Müller. Nur so würden Investitionen getätigt.
Hoffnung auf serielles und modulares Bauen
Das entbinde die Industrie aber nicht davon, selbst auch Potenziale zu heben im Bereich der Produktivitätssteigerung - konkret nennt Müller serielles und modulares Bauen. Doch hier gibt es aus Sicht der Industrie ein großes Problem: die Bürokratie. Es gebe aktuell in den Ländern 16 verschiedene Landesbauordnungen, sagte Müller. Beim seriellen Bauen müsste eine industrielle Produktion von Fertigteilen 16 Mal angepasst werden. "Das wäre, wie wenn wir einem Automobilhersteller sagen würden: In Hamburg haben Sie bitte eckige Rücklichter zu bauen und in München runde."
Eine Vereinheitlichung der Bauordnungen würde enorm helfen, mit einem Standard in hoher Qualität und kostengerecht Wohnungen zu bauen.
Geywitz: Gespräche über Angleichung von Bauordnungen
Geywitz hat das Problem zumindest erkannt. Denn auch sie sieht im seriellen Bauen einen Lösungsansatz für die Wohnungskrise. Es werde auch bereits über die Angleichung von Bauordnungen in der Politik diskutiert. "Das heißt nicht, dass es in Deutschland eine Bauordnung gibt, aber dass man die wesentlichen Bestimmungen, was die Türen, die Breite von Fenstern angeht, angleicht", sagte Geywitz. Dazu sei man im Gespräch mit den Bundesländern. "Die Serie ist natürlich dann am preiswertesten, je größer die Serie ist."
Bauindustrie: Bürokratieabbau ist großes Thema
Bürokratieabbau ist laut Müller generell ein großes Thema. Genehmigungen müssten beschleunigt werden. Das gelinge am besten mit einer Digitalisierungsoffensive in den Verwaltungen. "Je länger eine Genehmigung dauert, desto höher werden am Ende die Kosten, die wir beim Bau haben, allein aufgrund der Zeitspanne und der Materialpreissteigerung, die sich währenddessen ergeben."
Müller zeigte sich skeptisch, dass die Zielmarke von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr schon bald erreicht werden könnte. "Wir müssen es eigentlich eher heute als morgen schaffen", sagte er. Realistisch werde es aber wohl erst 2026 und in den nachfolgenden Jahren der Fall sein. "Sinkende Genehmigungen und ein enorm rückläufiger Auftragseingang: Das sind ja die Projekte, die wir 2024 und 2025 in den Büchern hätten und bauen könnten. Die sind heute aber nicht da. Deshalb steht uns vielleicht das schlimme Ende beim Wohnungsbau noch bevor, wenn die Politik nicht handelt."