Zu wenige Neubauten, zu hohe Mieten: Wer trägt die Schuld?
Wohnwagen statt Wohnung - das wird auch in Deutschland zunehmend normal werden, sagen Wohnraumforscher. Denn bezahlbarer Wohnraum ist so knapp wie lange nicht.
Das Ehepaar Sachse steht kurz vor Rente und lebt neuerdings auf einem Campingplatz. Es ist aber nicht nur der Traum von Freiheit, der sie zu Dauercampern auf diesem Platz bei Gifhorn in Niedersachsen machte, sondern auch die Furcht vor steigenden Mieten. Bei Minusgraden im Januar ist es ziemlich kalt hier, aber die steigenden Mieten mit ihrer Rente zu stemmen, war keine echte Option. "Was übrig ist, das wäre von Jahr zu Jahr immer weniger gewesen. Da wären wir bei der Tafel gelandet", sagt Georg Sachse.
Auf den Campingplätzen in der Umgebung haben mittlerweile 850 Menschen ihren Erstwohnsitz angemeldet. Wohnwagen statt Wohnung, es ist ein Bild, das man bisher eher aus den USA als aus Deutschland kannte. Doch Wohnraumforscher sagen voraus, dass genau dies das neue Normal bei uns werden könnte.
Bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware
Denn bezahlbarer Wohnraum ist so knapp wie lange nicht, egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Die Politik weiß das längst. Ein zentrales Versprechen der aktuellen Bundesregierung und vor allem von Kanzler Olaf Scholz ist der jährliche Bau von 400.000 Wohnungen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Bisher wird es nicht eingehalten. Trotz Baugenehmigung werden viele Bauvorhaben gar nicht mehr angefangen. Der Grund: Die Kosten sind so gestiegen, dass eine Vermietung zu bezahlbaren Preisen nicht mehr möglich ist. Wer heute mit dem Bauen beginnt, muss eine Miete von 16-18 Euro pro Quadratmeter verlangen, um seine Kosten wieder hereinzuholen, zeigen Studien.
Nun musste Bundesbauministerin Klara Geywitz einräumen, dass das Vorhaben in diesem und auch im kommenden Jahr nicht realisierbar sein wird. Ziel sei es jetzt, 2024 und 2025 zumindest näher an die selbst vorgegebene Zahl heranzukommen. Aber die Ministerin hat auch eine Ausrede parat: Hohe Materialkosten, Lieferengpässe, hohe Zinsen - ausgelöst durch Corona und Ukrainekrieg - seien schuld, auf solche Umstände habe die Politik kaum Einfluss.
Doch auf Nachfrage gibt Geywitz zu, dass es auch ohne Krieg nicht genug Wohnungen gegeben hätte. Es gebe strukturelle Probleme, so die Ministerin. Sie will deshalb vor allem das serielle Bauen nach vorne bringen: "Wir müssen durch die 189 Maßnahmen des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum die Kapazität ausweiten - durch serielle Vorproduktion, durch Digitalisierung, durch bessere Planung, durch Bauforschung mit mehr Robotik", sagt die Ministerin im Interview.
Das sehen viele Fachleute ähnlich, aber die Politik müsse noch viel mehr tun. Architekt Jan Schulz aus Kiel hat sich auf kostengünstige Bauten spezialisiert, er bemängelt die unzähligen kostentreibenden Vorschriften und Regeln. "Wir müssen heute für bezahlbare Wohnungen im Genossenschaftsbau teurer und hochwertiger bauen als vor 20 Jahren im Hochpreissegment." Das müsse die Politik ändern.
Sondervermögen für sozialen Wohnungsbau gefordert
Prof. Dietmar Walberg beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Baukosten. Er fordert ein Sondervermögen für den sozialen Wohnungsbau von 50 Milliarden Euro bis zum Ende der Legislaturperiode. Ohne eine solche Förderung werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass immer mehr Menschen auf dem Campingplatz leben.
Die Politik verweist hingegen auf das von ihr angestoßene "Bündnis bezahlbarer Wohnraum", bestehend aus Bund, Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Wohnungs- und Bauwirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen. Dort wurden vergangenen Herbst gut 189 Einzelmaßnahmen vorgeschlagen, um das Bauen anzukurbeln. Eine ganze Reihe dieser Maßnahmen wird jedoch bereits seit Jahren gefordert, ohne dass sie umgesetzt wurden. Ein wirklicher Kurswechsel ist nicht zu erkennen.