Klimaabgabe: Warum sollen nur die Mieter zahlen?

Stand: 12.08.2021 11:00 Uhr

Laut Politik soll Klimaschutz "sozial verträglich" sein, auch beim Wohnen. Doch die CO2-Abgabe zahlen bisher nur die Mieter.

von Stefan Buchen

Wer trägt die Kosten des Klimaschutzes? Dass dies eine ebenso brisante wie unausweichliche Frage ist, dämmert der Bundesregierung allmählich. Seit diesem Jahr wird für das Freisetzen des klimaschädlichen CO2 eine Abgabe fällig, 25 Euro pro Tonne. Diese Abgabe wird auch auf den Energieverbrauch in Wohnungen erhoben.

Für die rund 20 Millionen Mietwohnungen in Deutschland fasste das Bundeskabinett aus CDU/ CSU und SPD am 12. Mai einen salomonischen Beschluss: Mieter und Vermieter sollen sich den CO2-Preis auf Emissionen, die durchs Heizen und den Gebrauch von Warmwasser entstehen, je zur Hälfte teilen. So steht es im "Klimapakt" der Bundesregierung, mit dem sie die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April nötig gewordenen Verschärfungen beim Klimaschutz in die Tat umsetzen will. "Gerecht" sei diese Aufteilung, ließ Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) mitteilen. Klimaschutz müsse "sozialverträglich" sein, begründete Regierungssprecher Steffen Seibert den Beschluss.

VIDEO: Klimaabgabe: Warum sollen nur die Mieter zahlen? (10 Min)

Mieter und Vermieter - wer ist für was verantwortlich?

In der 50:50-Aufteilung spiegelt sich ein Kompromiss. Die Mieter nutzen Raumwärme und Warmwasser, verursachen also konkret die CO2-Emissionen. Die Vermieter hingegen bestimmen, mit welchen Energiequellen geheizt wird und wie effizient Wände, Fenster und Dächer das Entweichen von Wärme verhindern. Eine Beteiligung an der CO2-Abgabe solle "die Vermieter anreizen", etwa veraltete Heizsysteme durch emissionsarme Energiequellen zu ersetzen, erläutert Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) den Beschluss des Kabinetts im Interview mit Panorama.

Zu gleichen Teilen? Fehlanzeige!

Aber durchsetzen konnte sich die Bundesregierung mit der 50:50-Aufteilung nicht. Die Unionsfraktion rebellierte und blockierte eine entsprechende Gesetzesänderung. Somit wird die CO2-Abgabe nun vollständig auf die Mieter umgelegt. Eine Beteiligung der Wohnungseigentümer verstoße gegen das "Verursacherprinzip". Die Mieter drehten Heizungen und Warmwasser auf und müssten deshalb allein für die entstehenden Emissionen bezahlen, hieß es aus der Fraktion von CDU und CSU.

VIDEO: Mittagsmagazin: CO2-Preis - Die Mieter müssen zahlen (3 Min)

"Den CO2-Preis zahlt derjenige, der die Energiekosten verursacht", sagt Thorsten Frei, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag, im Panorama-Interview. Bei der CO2-Abgabe gehe es darum, "Nutzerverhalten zu steuern." Sie solle eine "Lenkungswirkung" entfalten "in dem Sinne, dass der Mieter die Heizung im Winter nicht ganz so weit aufdreht," so Frei. Der Unions-Franktionsvize aus dem Südschwarzwald betont, dass die Umlage des CO2-Preises auf die Mieter sozial abgefedert werde. Für die Schwächsten sei das Wohngeld angehoben worden. Mieter müssten außerdem für Strom weniger EEG-Umlage zahlen. Die Kosten des Energieverbrauchs selbst werden, unabhängig vom CO2-Preis, vom Mieter getragen.

"Kalt duschen" als Lösung?

Thorsten Frei, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag © NDR / ARD
Die "Lenkungswirkung" der CO2-Abgabe entfalte sich nur, wenn die Mieter zahlen müssten, meint Thorsten Frei (CDU).

Rückenwind bekommen die CDU-Abgeordneten von der Wohnungswirtschaft und ihren Verbänden. Der CO2-Preis habe den Zweck, "eine Lenkungswirkung beim Verbraucher" hervorzurufen, bekräftigt Kai H. Warnecke, Präsident der Interessenvereinigung privater Immobilienbesitzer "Haus & Grund". "Wer nur kalt duscht, hat keinen CO2-Ausstoß. Wer warm duscht, hat, wenn er mit Gas oder Öl heizt, einen CO2-Ausstoß." Der Mieter wähle zudem die Art der Heizung mit, wenn er einen Mietvertrag abschließe. "Jeder Mieter kann sich die Wohnung frei aussuchen (...) und damit auch eine Entscheidung über die Heizung treffen, die in dem Gebäude vorhanden ist," so Warnecke.

"Wenn ich in dieser Lobby wäre, würde ich auch nicht anders argumentieren," sagt Andreas Neumann, den Panorama in seiner Mietwohnung in Berlin-Schöneberg, einem Altbau vom Beginn des 20. Jahrhunderts, besuchte. "Was könnte ein Mieter, außer dass er kalt duscht und friert, was könnte er tun? Er könnte sich einmauern. Er könnte vor sämtliche Fenster ganz dicke Volants hängen," meint Neumann.

Dabei ist Neumanns Wohnung sogar energetisch saniert worden. So zumindest behauptet es der Eigentümer, ein Immobilienkonzern: "Um 40 Prozent", so kündigte der Vermieter 2016 an, werde der Energiebedarf in dem Haus sinken. Die Fensteröffnungen wurden verkleinert und neue Fenster wurden eingesetzt, die Fassade wurde verstärkt. "Aber der Energieverbrauch ist genau der gleiche geblieben", sagt Andreas Neumann, Jurist und pensionierter Mitarbeiter der Deutschen Rentenversicherung. Wir haben den Eigentümer mit den Vorwürfen konfrontiert und gefragt, wie er die vollständige Umlage der CO2-Abgabe auf den Mieter bewertet. Auf Grund von "Betriebsferien" sei man nicht in der Lage, die Fragen zu beantworten, hieß es in einer Antwort an Panorama.

CO2-Ausstoß trotz Dämmung hoch

Trotz milliardenschwerer Dämmungen und anderer Sanierungsmaßnahmen ist der CO2-Ausstoß durch Gebäude in Deutschland nach wie vor hoch. Dieses Segment macht rund ein Drittel aller klimaschädlichen Emissionen in Deutschland aus. Anders als in den meisten europäischen Staaten wohnt in Deutschland mehr als die Hälfte der Bürger zur Miete. Deshalb hat die Frage, wer in Mietwohnungen die CO2-Abgabe zahlt, hierzulande eine besondere Relevanz.

"Ich sehe es nicht ein, dass ich das zahlen soll," sagt Dagmar, die im obersten Stock eines Mietshauses in Berlin-Kreuzberg wohnt. "Ich habe überhaupt keine Möglichkeit mitzureden, wie diese Energie erzeugt wird, ob mit Öl oder Gas. Das macht der Vermieter. Und inwieweit das Haus nach außen abgedichtet ist. Wie groß der Wärmeverlust ist durch das Dach, durch die Wände, durch undichte Fenster, da habe ich keinen Einfluss drauf." Dagmar, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, berichtet, das Haus sei vor 30 Jahren zuletzt saniert worden. Ein großes Fenster im Wohnzimmer ist erkennbar undicht, durch das Dach rieselt bei heftigem Regen Wasser. Im Winter müsse sie die Heizung "auf 5" drehen, um nicht zu frieren. Der jetzige Eigentümer habe nichts unternommen, damit die Mieter mit weniger Energie auskommen.

Der Eigentümer, ein großes Immobilienunternehmen, sagt in einer Stellungnahme, mögliche Mängel würden "grundsätzlich umgehend behoben". Bei Themen rund um Energie und Nachhaltigkeit halte sich das Unternehmen "an die gesetzlichen Vorgaben".

Klimaabgabe birgt sozialen Brennstoff

Armin Laschet, CDU-Kanzlerkandidat © NDR / ARD
"Keinen Bestand" werde die vollständige Umlage auf die Mieter haben, so Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU).

Bei den derzeit anfallenden 25 Euro pro Tonne CO2 wird die Klimaabgabe den Mieter einer 100-Quadratmeter-Wohnung etwa 100 Euro im Jahr kosten. Sollte der Preis, wie von Wissenschaftlern gefordert, im Laufe des Jahrzehnts auf etwa 250 Euro steigen, sind es schon 1.000 Euro. Das zeigt den sozialen Sprengstoff, der im Klimaschutz und den damit verbundenen Kosten steckt. Bei Unionskanzlerkandidat Armin Laschet scheint dies angekommen zu sein.

Die jetzige Regelung, also die vollständige Umlage des CO2-Preises auf die Mieter, werde "keinen Bestand haben", kündigte er im Sommerinterview mit der ARD an. Die CDU-Spitze scheint angesichts des einseitigen Eintretens der Fraktion für die Interessen der Immobilieneigentümer ein mulmiges Gefühl bekommen zu haben. Wir haben Fraktions-Vize Thorsten Frei mit dem Einlenken seines Kanzlerkandidaten konfrontiert. "Wir sind sehr wohl in der Lage, darüber nachzudenken, wie wir einen besseren sozialen Ausgleich erreichen können", antwortet er.

Die Diskussion um den CO2-Preis in Mietwohnungen zeigt: Die Anforderungen der Klimaschutzpolitik prallen auf harte politische und soziale Realitäten. Ob die neue Bundesregierung eine Linie finden wird?

 

Weitere Informationen
Blick auf eine Häuserzeile © NDR / ARD

Kampf um Wohnraum: Die unmögliche Aufgabe der Politik

Mieten und Immobilienpreise steigen, Wohnen wird immer teurer. Was tut die Politik, um dem sinnvoll entgegen zu wirken? mehr

Aus den Schornsteinen mehrere schneebedeckter Wohnhäuser steigt Dampf auf. © dpa/picture alliance Foto: Michael Reichel

Klimaneutral heizen? Auf der Suche nach Alternativen zum Gas

Warmes Wasser, Heizen: Wohnen ist wesentlich verantwortlich für klimaschädlichen CO2-Ausstoß. Können wir klimaneutral heizen? mehr

Grafik mit den Firmennamen ista und techem © NDR Foto: Screenshot

Kartell: Wie sich Ablesedienste an Mietern bereichern

Durch Zähler lässt sich der Wärme- und Wasserverbrauch ganz individuell berechnen. Doch den Preis fürs Ablesen bestimmen große Messdienstleister wie Ista und Techem quasi als Kartell. mehr

ARD-Mediatheks-Thumb © NDR /ARD Foto: Screenshot

Der Staat als Vermieter: Keine Gnade trotz Corona

Trotz Corona fordern staatliche Vermieter meist die volle Miete. Nur Berlin hat als einziges Land ausdrücklich Corona-Ausnahmeregelungen geschaffen. mehr

Neubau eines Hauses © NDR Foto: Screenshot

Miete frisst immer mehr vom Einkommen

Durchschnittsverdiener können sich eine Neubauwohnung kaum noch leisten. Schuld daran sind auch die hohen Baukosten in Deutschland. Doch die Regierung schiebt das Problem auf. mehr

Eine Collage von drei Hochhaussiedlungen. © NDR Foto: Screenshot

Firmengeflechte: Wem gehören unsere Wohnungen?

Viele Immobilien wechseln offenbar ihre Besitzer, ohne dass Mieter und Behörden das mitbekommen. Hintergrund sind komplexe Firmengeflechte. Das zeigen Beispiele in Schwerin und Hannover. mehr

Mieter protestieren gegen Mieterhöhung © NDR Foto: Screenshot

Wohnungsgesellschaft: Mieterhöhung nach Sanierung

Die Mieter sind verzweifelt: Eine 50-prozentige Mieterhöhung flatterte ihnen ins Haus. Vermieter Vonovia hat Sanierungskosten auf die Miete aufgeschlagen. Ist das legal? mehr

Klimaabgabe: Warum sollen nur die Mieter zahlen?

Der Panorama-Beitrag vom 12. August 2021 als PDF-Dokument zum Download. Download (71 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 12.08.2021 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Umweltpolitik

Umweltschutz

Es fehlt etwas?

Computertastatur © picture-alliance Foto: Christian Ohde

Kontakt zur Redaktion

Sie vermissen einen Beitrag oder ein Video ist nicht abspielbar? Schreiben Sie uns, wir kümmern uns darum. mehr

Weitere Informationen

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr