Der Staat als Vermieter: Keine Gnade trotz Corona
Trotz Corona fordern staatliche Vermieter meist die volle Miete. Nur Berlin hat als einziges Land ausdrücklich Corona-Ausnahmeregelungen geschaffen.
Mudyiddin Arisoy betreibt in Hamburg das Restaurant Mr. Kebab. Als er im ersten Lockdown eine Mail seines Vermieters öffnete, konnte er sein Glück kaum fassen. "Wir haben spontan eine Mail vom Vermieter bekommen. Der Vermieter hat gesagt: Zwei Monate senkt er die Miete um die Hälfte. Das war richtig cool." Dem Vermieter gehören mehrere Betriebe in Hamburg, bei denen er ebenso vorging.
Benachteiligt der Staat seine Mieter?
Ganz anders geht es Denny Kopplin und Jakob Freutel, die zusammen eine Pension mit Restaurant betreiben. Ihr Vermieter ist der Staat, genauer die Stadt Tessin. Zwei Mal hatten sie bei ihrem Vermieter um eine Mietminderung gebeten. Zwei Mal kam eine Absage.
Ihr seien die Hände gebunden, meinte die Bürgermeisterin im Gespräch mit den Gewerbetreibenden. Sie würde ihnen gerne entgegenkommen, dürfe das aber qua Gesetz nicht. Für ein Interview mit Panorama steht die Bürgermeisterin nicht zur Verfügung, erklärt in einer schriftlichen Antwort allerdings, dass dies ein "sehr komplexes Thema" sei.
Warum jemand, der beim Staat mietet, benachteiligt wird, das kann sich Jakob Freutel nicht erklären. "Gerade in den schweren Zeiten jetzt ist das unverständlich." Er hat eine zinsfreie Stundung erhalten. Doch für Gewerbetreibende - vor allem auf dem Land - ist das oft nur eine vermeintliche Hilfe. Denn die Belastung in der Zukunft wird dadurch nur umso größer. Die Miete muss lediglich zu einem späteren Zeitpunkt, dann aber in voller Höhe, zurückgezahlt werden, beklagt der Restaurant-Betreiber: "Ich kann später meinen Stuhl im Restaurant ja nicht doppelt besetzen, sogar wenn ich 100 Prozent Auslastung habe." Mittlerweile trägt er rund 30.000 Euro an Forderungen vor sich her, hauptsächlich Mietschulden an den Staat. Ein Schuldenberg, der immer größer wird.
Berlin als rühmliche Ausnahme
Panorama hat 16 Bundesländer gefragt, wie sie bei dem Thema agieren. Die Aussagen der zuständigen Ministerien sind ernüchternd. Nur ein einziges Land hat dafür eine dezidierte Corona-Ausnahmeregelung erlassen. In den meisten Ländern sperren sich Kommunen und landeseigenen Immobiliengesellschaften dagegen Mietern entgegen zu kommen.
Dabei reichen die Corona-Hilfen nicht aus, um die Miete zu decken und viele Gastronomen sind ohne Unternehmerlohn finanziell angeschlagen, ihre Rücklagen aufgebraucht. Berlin hat deshalb bereits im März 2020 einen Senatsbeschluss erlassen, nach dem alle landeseigenen Gesellschaften im Zusammenhang mit der Corona-Krise auf Mieteinnahmen verzichten dürfen. Bis Ende Januar 2021 wurde so auf Gewerbemieten in Höhe von 6,55 Millionen Euro verzichtet. Der Staat habe "eine Vorbildrolle" so steht es im Berliner Senatsbeschluss. Denn warum sollten private Vermieter auf Mieteinnahmen verzichten, so Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Die Linke), "wenn der Staat es nicht tut. Dementsprechend glaube ich, müssen wir vorausgesehen."
In Hamburg gibt es zumindest eine Empfehlung an die städtischen Vermieter Miete zu erlassen, Bremen hat ein paar Ausnahmen genehmigt, Bayern hat durch Änderung der Mietverträge einige Mieten gesenkt. In allen anderen Bundesländern gibt es keine Regelungen.
An den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden?
In Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern oder Nordrhein-Westfalen verweisen die zuständigen Ministerien auf die kommunale Selbstverwaltung. Ob eine Kommune auf Gewerbeeinnahmen verzichte oder nicht, das sei ihr freigestellt. Doch die Kommunen sperren sich oft. "Als öffentliche Hand sind wir an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Das heißt, wenn Sie nur einem Mieter Nachlass gewähren, müssten sie das dann bei allen anderen auch tun", sagt Marco Trips vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund (NSGB).
Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, die Gewerbetreibenden die Miete erlassen, könnten zudem Probleme mit der Kommunalaufsichtsbehörde bekommen. "Die Kommune ist gehalten, die Einnahmen, die sie vertraglich verbucht hat, auch einzunehmen und nicht einfach auf sie zu verzichten. Das ist schon im Grundsatz der Einnahmebeschaffungso geregelt."
Die Antwort aus Schleswig-Holstein zeigt das ganze Dilemma des Themas. Vom Innenministerium dort heißt es zwar einerseits, dass vor dem Hintergrund der Pandemiebekämpfung "zumindest eine Stundung oder befristeter (Teil-) Verzicht nicht als offensichtlich rechtswidrig einzustufen wäre". Die geltende Soll-Regelung zum Haushaltsausgleich bleibe davon aber unberührt, was bedeutet: Mieten sind einzutreiben.
Es gebe "unternehmerisches Risiko in der Gastronomie", kommentiert Marco Trips solche Fälle. Der Staat könne nicht für andere einspringen.