Oldenburg: Geschäft mit Wohnungsnot der Verzweifelten
Im niedersächsischen Oldenburg hat sich nach Recherchen des NDR und der "Nordwest-Zeitung" (NWZ) in den vergangenen Jahren eine Vermieterszene etabliert, die mit denjenigen ihr Geld verdient, die sonst kaum eine Chance auf dem freien Wohnungsmarkt haben: Drogenabhängige, Menschen mit Mietschulden und vormals Obdachlose. Sie werden in nicht selten winzigen Zimmern untergebracht, die überhöhten Mieten zahlt das Sozialamt direkt an die Vermieter. Gleichzeitig fehlt es offenbar an Kontrollen: Manche der Mieter wohnen in menschenunwürdigen Verhältnissen.
Ein Kellerzimmer mit Kakerlaken - für 580 Euro
So ergeht es Enrico und Michaela (Namen geändert), die ein kleines, dunkles Kellerzimmer haben, in dem sie sich ein schmales Bett teilen. "Ich habe hier schon 200 Kakerlaken plattgemacht", sagt Enrico. Eine sei sogar auf seinem Arm gewesen. "Ich hab Angst, dass die auf unser Essen gehen. Das geht gar nicht", sagt Michaela. Ein Kellerzimmer mit Kakerlaken - für 580 Euro im Monat. Heinz-Hermann Buse, Kreisgeschäftsführer der Diakonie in Oldenburg, kennt die Zustände in dem Haus, in dem Enrico und Michaela leben. "Das ist natürlich viel zu viel Geld - für diesen Standard." Alles sei völlig verwohnt. "Das ist eigentlich ein elendes Leben", so der Sozialarbeiter. Buse engagiert sich seit Längerem, damit es sich ändert.
"Das darf man nicht mit unseren Maßstäben messen"
Oldenburgs Sozialdezernentin Dagmar Sachse will eher die positiven Seiten dieser Vermietungen sehen. Für viele Menschen sei das eine Möglichkeit, überhaupt einen Raum für sich zu haben: "Das darf man auch nicht immer mit unseren Maßstäben messen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir wohnen wollen." NDR und NWZ haben in den vergangenen Monaten in dieser Vermieterszene recherchiert - über 20 Häuser, 150 bis 300 Menschen.
Einer der Vermieter ist Kurt Bartels. Die Zimmer, die er den Reporterinnen zeigt, sind sauberer als die von Enrico und Michaela, doch die Mieten sind ähnlich hoch. Auf jeden Fall lohne sich das Geschäft mit den Vermietungen. "Sonst würde ich es nicht machen", sagt Bartels. Er sieht sich als eine Art Wohltäter, er kümmere sich um die Mieter. Die hohen Mieten seien eine Art Risikozuschlag, schließlich handle es sich auch um eine unzuverlässige Klientel - ein Argument, das auch andere Vermieter immer wieder vorbringen.
Mieter können jederzeit auf der Straße landen
Um ihr Geld allerdings müssen sich die Vermieter keine Sorgen machen, das kommt schließlich zuverlässig vom Amt. Manche nehmen darüber hinaus auch eine Kaution von ihren Mietern. Hinzu kommt: Vermieter wie Bartels lassen sich sogenannte Beherbergungsverträge unterschreiben, die Mieter ihrer Rechte berauben. Sie sind nur "Gäste" und können von einem Moment auf den anderen vor die Tür gesetzt werden. Das sei auch gut so, sagt Vermieter Kurt Bartels: "Diese Zimmervermietung hat ja gerade diesen Vorteil, dass er rausgehen müsste, wenn er sich absolut daneben verhält." Für die Mieter bedeutet es aber: Sie leben in ständiger Angst, wieder auf der Straße zu landen. Nicht erstaunlich, dass sie sich nicht beim Sozialamt über die Unterkünfte beschweren.
Oldenburg kein Einzelfall
Oldenburg sei kein Einzelfall, sagt Jutta Hartmann vom Deutschen Mieterbund im Interview mit dem NDR Politmagazin Panorama 3. "Solche Fälle gibt's nicht nur in Oldenburg, sondern auch bundesweit. Es wird versucht, hohe Mieten durchzusetzen. Und wenn das Amt die Miete zahlt, umso besser. Dann ist natürlich sicher, dass das Geld kommt." Die Beherbergungsverträge hätten auch den Zweck, die Mietpreisbremse auszuhebeln, die auch in Oldenburg gilt. Das sei rechtlich fragwürdig, so Juristin Hartmann.
In Oldenburg sei die Verwaltung untätig, so der Vorwurf aus dem Stadtrat. Das stimme nicht, sagt Sozialdezernentin Sachse: "Es ist nicht so, dass wir gar nichts machen." Es sei jedoch schwierig zu sagen, ob etwas juristisch angreifbar sei oder "nur sittenwidrig". Grundsätzlich finde sie es aber problematisch, "dass Vermieter schwierige Lebenslagen von Menschen ausnutzen." Von Menschen wie Enrico und Michaela, die weiter in ihrem dunklen, aber teuren Kellerzimmer leben müssen. Sie habe sich schon eine Nierenbeckenentzündung und eine Blasenentzündung eingefangen, sagt Michaela. Im Winter sei es in dem Kellerloch eiskalt.