Unternehmen in der Krise: Etliche Insolvenzen erwartet
In vielen Branchen droht Unternehmen aufgrund der Corona-Pandemie die Insolvenz oder Geschäftsaufgabe. Wie kann man gegensteuern und wo ansetzen, um Unternehmen besser zu stützen?
"Wer glaubt, dass man einen so tiefen volkswirtschaftlichen Einschnitt ohne Verluste hinbekommen wird, der irrt", sagt Unternehmenssanierer Andreas Möhlenkamp, der aktuell tagtäglich mit der Rettung von Unternehmen zu tun hat. Über zu wenig Arbeit kann er sich derzeit nicht beklagen. Durch die Corona-Pandemie stehen aktuell in vielen Branchen Unternehmen vor der Insolvenz oder Geschäftsaufgabe. Nach Schätzung der Interessengemeinschaft Veranstaltungswirtschaft (IGVW) stehen 40 Prozent aller Betriebe aus dieser Branche unmittelbar vor dem Kollaps. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) hat in einer Umfrage unter seinen Mitgliedsunternehmen ermittelt, dass 61 Prozent ihre Existenz gefährdet sehen.
Bisher weniger Insolvenzen als im Jahr 2019
Diese Zahlen stehen in einem deutlichen Kontrast zu den aktuellen Insolvenzanmeldungen. Trotz der tiefgreifenden Wirtschaftskrise werden aktuell deutlich weniger Pleiten beim Amtsgericht angemeldet als im Jahr 2019. Das Statistische Bundesamt meldet vorläufig beispielsweise für den August 38,9 Prozent weniger Regelinsolvenzen als im Vergleichsmonat des Vorjahres. In den ersten drei Monaten des Jahres - vor Corona - lag die Quote noch nah an der des Vorjahres.
Grund für die derzeit niedrigen Insolvenzzahlen ist nach Expertenmeinung die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Demnach gilt für Unternehmen, die pandemiebedingt überschuldet oder zahlungsunfähig sind, seit 1. März eine Sonderregelung. Sie müssen keine Insolvenz anmelden. Damit wollte die Bundesregierung angeschlagenen Unternehmen die Möglichkeit geben, zeitnah wieder auf die Beine zu kommen. Eigentlich galt diese Regelung nur bis zum 30. September. Allerdings hat der Bundestag sie gerade für überschuldete Unternehmen bis Ende des Jahres verlängert, nicht jedoch für zahlungsunfähige Unternehmen.
Da Betriebe häufiger wegen Zahlungsunfähigkeit die Pleite verkünden müssen, rechnet Andreas Möhlenkamp ab 1. Oktober "mit einer dramatischen Erhöhung der Insolvenzen." Bei der Politik scheint diese Sorge noch nicht ganz angekommen. Der Abgeordnete Johannes Fechner (SPD) ist als Obmann im Bundestags-Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz für das Insolvenzrecht zuständig. Er glaubt nicht, dass es so schlimm wird: "Wir werden sicherlich mit der einen oder anderen Insolvenz rechnen müssen. Aber warten wir doch erstmal ab, ob es wirklich so dramatisch wird, wie viele Wirtschaftsforscher vorhersagen. Ich bin optimistisch, dass diese Milliardenhilfen, die wir als Bund zur Verfügung gestellt haben, greifen und die Wirtschaft wieder in Gang kommt."
Milliardenhilfen kommen bisher kaum an
In der Not versuchen viele Unternehmen derzeit alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um an Geld zu kommen. Auffällig ist dabei, dass nicht rückzahlbare staatliche Corona-Überbrückungshilfen bisher nur zu einem Bruchteil beantragt wurden. Von rund 25 Milliarden Euro, die dafür bereitgestellt wurden, sind bis Anfang September nur rund eine Milliarde Euro angefragt oder überwiesen worden. Im zuständigen Bundeswirtschaftsministerium ist man zunächst zufrieden und teilt auf Nachfrage mit: "Die Überbrückungshilfe soll dort im Mittelstand ankommen, wo sie gebraucht wird und genau das tut sie." Nur wenige Tage nach unserer Anfrage besserte das Ministerium allerdings erneut nach, senkte unter anderem die Zugangsvoraussetzungen. So sollen mehr Unternehmen auf die Hilfen zugreifen können. Damit reagiert das Wirtschaftsministerium auf Kritik unter anderem vom Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Angeschlagene Unternehmen, die keine weiteren staatlichen Zuschüsse erhalten, sind auf Kredite angewiesen, um nicht frühzeitig Insolvenz anmelden zu müssen. Vor diesem Hintergrund hat die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Kreditpakete zur Verfügung gestellt. Andreas Möhlenkamp beobachtet allerdings, dass vielfach die Hausbanken der Unternehmen eine Vergabe der KfW-Kredite verhindern. "Die Unternehmen kommen häufig deswegen an die KfW-Kredite nicht ran, weil die Hausbanken die KfW-Kredite durchleiten müssen und sie jedenfalls in einem Bereich von bis zu drei Millionen Euro für diese Kredite auch vollständig haften. Bis zu drei Millionen Euro prüft die KfW nicht selbst, sondern nur die Hausbanken." Sofern die Bonität eines Unternehmens aus Sicht der Hausbank "nicht ausreichend ist, unterbleibt häufig die Antragstellung" für einen KfW-Kredit. "Dann bleibt oft nur der Insolvenzantrag, weil die Folgefinanzierung nicht möglich ist", meint Andreas Möhlenkamp.
Kommt der "Covid-Schutzschirm"?
Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz plädiert in dieser besonderen Ausnahmesituation für die Schaffung eines sogenannten "Covid-Schutzschirms" im Insolvenzrecht. So will er Unternehmern die Möglichkeit verschaffen, nach einer Insolvenz möglichst schnell wieder Eigentümer ihres Unternehmens zu werden. Sein Plan: Ein Unternehmen über einen Insolvenzplan entschulden und nicht "in den Markt geben oder an Dritte verkaufen, wenn die Märkte gar nicht da sind". Üblicherweise übernehmen nach einer Insolvenz neue Käufer ein Unternehmen. In der derzeitigen Situation gäbe es jedoch kaum Interesse. Daher sollten alle Beteiligten vom Arbeitnehmer über Lieferanten bis zum Staat aus der Sicht von Arndt Geiwitz "ihren Sanierungsbeitrag leisten, damit diese Unternehmen wieder entschuldet ins neue Leben entlassen werden können."
Im Bundesjustizministerium verfolgt man offenbar andere Pläne, um auf Corona-bedingte Insolvenzen zu reagieren. Ziel ist ein "insolvenzabwendendes Restrukturierungsverfahren". Ein Referentenentwurf liegt dafür bereits vor. Nach Auskunft des Ministeriums soll das Gesetz möglichst zu Beginn des Jahres 2021 in Kraft treten.