Aufforstung im Meer: Kann Seegras in der Klimakrise helfen?
Die Ozeane nehmen jedes Jahr etwa ein Viertel der von Menschen verursachten CO2-Emissionen auf. Forscher sagen: Da geht noch mehr. Extra angepflanzte Seegras-Wiesen könnten auf natürliche Weise dafür sorgen, dass die Meere zusätzlich Kohlenstoff einlagern.
Wenn Thorsten Reusch nach seinen Zöglingen schaut, geht es nass zu. Seit drei Jahren forscht der Meeresbiologe daran, wie in Deutschland Seegras angepflanzt werden könnte, um damit das klimaschädliche CO2 aus der Atmosphäre zu bekommen. In mehreren Wasserbecken beim Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel wird deshalb Seegras gezüchtet. Die Becken sind voll mit Meerwasser und Halmen von Seegras, die die Samen der Pflanzen beinhalten. Diese sind zuvor von Tauchern an verschiedenen Standorten gesammelt worden. In den Becken werden die Samen dann zu kleinen Seegras-Pflanzen hochgepäppelt. Dabei vergehen ein paar Wochen.
Aber das ist noch nicht alles. "Dann werden die Seegras-Pflanzen in Gläser gepackt und kommen in einen Klimaschrank, wo sie ganz leicht rotieren, damit sie sich immer gegeneinander bewegen und ein bisschen Sauerstoff bekommen", erklärt Reusch. "Schließlich keimen die Pflanzen im März oder April bei etwa zehn Grad Wassertemperatur aus." Später soll das Seegras in Versuchsgebieten in der Ostsee ausgesetzt werden.
Eine Maschine sorgt für ideale Wellen
Die Aufzucht ist sehr aufwendig. "Man braucht viel Beleuchtung und Klimaanlagen, die die richtigen Temperaturen schaffen sollen", berichtet Reusch im NDR Info Podcast "Mission Klima- Lösungen für die Krise". Zudem gibt es Kompressoren, die Sauerstoff in die Tanks sprudeln. "Gleichzeitig ist in diesem Tank eine künstliche Welle. Denn wir haben festgestellt, dass Wellen super sind für die Seegräser. Sie wachsen dann viel besser, als wenn sie in einem Stillwasser sind oder in einer Strömung." Geforscht wird aber auch daran, ob die befruchteten Samen direkt an geeigneten Standorten in der Ostsee ausgebracht werden können.
Seegräser binden CO2 auf Dauer
Die Seegras-Aufzucht in Kiel ist Teil des Projektes SeaStore, das von der Universität Hannover geleitet wird. Beteiligt sind auch die Universität Greifswald, die Universität Braunschweig und das Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Die Forscher und Forscherinnen untersuchen jeweils unterschiedliche Aspekte bei der Wiederaufforstung der Seegras-Wiesen: von der Frage, welche Methoden für die Anpflanzungen am besten funktionieren, über Kosten-Nutzen-Aspekte der Anpflanzungen bis zum Nutzen für den Klimaschutz.
Seegräser sind etwas Besonderes: Sie sind die einzigen Samenpflanzen, die im Meer wachsen. Und sie kommen nur an der Küste vor, weil sie ausreichend Licht zum Wachsen benötigen. Weiter draußen im Meer gelangt nicht mehr genug Licht durch die Wassersäule. In einer Seegras-Wiese leben viele Fische, Krebse, Muscheln und Garnelen. Aber auch mikroskopisch kleine Lebewesen. Außerdem hilft Seegras beim Küstenschutz, indem es für einen festen Meeresboden sorgt und Wellen ausbremsen kann.
Was die Pflanze wichtig für den Klimaschutz macht: Sie kann CO2 einlagern. Der Vorteil ist, dass der gebundene Kohlenstoff im Wasser nicht durch Zersetzungsprozesse freigesetzt wird, sondern im Meeresboden gebunden bleibt - ähnlich wie bei einem Moor an Land.
Nicht nur für die Ostsee gedacht
Und so hegen Wissenschaftler und Klimaschützer die Hoffnung, dass Seegras in der Klimakrise helfen könnte. Auch in der Ostsee. "Im schleswig-holsteinischen Küstenbereich gibt es Areale von insgesamt mindestens 17 Quadratkilometern. Dort würde es sich lohnen, Seegras zu pflanzen", sagt Forscher Reusch. Das wäre etwas weniger als die Fläche der Landeshauptstadt Kiel. In Deutschland ist das Speicherpotenzial also nicht sehr groß.
Weltweit sieht das anders aus. Eine Abschätzung ergab vor zwei Jahren, dass Seegras-Wiesen weltweit ungefähr 150 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zusätzlich speichern könnten. Diese Menge entspricht ungefähr dem, was der Verkehrssektor in Deutschland im Moment an Treibhausgasen ausstößt. Bislang gilt aber, dass Seegräser in den Meeren eher auf dem Rückzug sind. Weltweit ist etwa ein Drittel der Seegras-Wiesen in den vergangenen hundert Jahren verloren gegangen.
Seegräser sind so gefährdet wie Korallen
Nun kommt noch hinzu: Die Meereserwärmung im Zuge des Klimawandels macht auch den Seegräsern zu schaffen. Das beobachtet auch der Kieler Forscher Reusch. "Unsere Daten zeigen, dass wir bei einer Wassertemperatur von 26 oder 27 Grad bei Seegräsern bis zu 80 Prozent Sterblichkeit haben. Und das heißt: Unsere Seegras-Wiesen sind eigentlich genauso an der Klippe wie die Korallen. Nur merkt man das nicht so drastisch, weil die nicht so präsent sind." Reusch versucht deshalb mit seinen Kollegen und Kolleginnen, bei den Seegräsern diejenigen herauszuzüchten, die besonders gut mit solch hohen Temperaturen umgehen können. "Wir sind uns sehr sicher, dass es funktioniert", sagt der Meeresexperte.
Klimaschutz versus Wassersportler?
Aber sogar Klimaschutz unter Wasser stößt auf Widerstand. Denn die Idee, mehr Seegras-Wiesen in der Ostsee anzupflanzen, passt längst nicht allen. Viele in der Tourismus-Branche befürchten, dass die Attraktivität der Strände und des Badewassers leiden könnte. Manche Menschen, gerade Kinder, finden es unangenehm, durch Seegras-Wiesen zu schwimmen. Und viele Urlauber oder Spaziergänger am Strand sehen abgerissenes Seegras als unschön an. Zudem befürchten Wassersportler, dass sie sich zum Schutz der Seegras-Wiesen einschränken müssten. Dazu sagt Reusch: "Wenn die Wiesen angewachsen sind, sind sie mit dem Wassersport gar nicht im Konflikt." Nur bei frisch gepflanzten Wiesen müssten Surfer vorübergehend Rücksicht nehmen.
"CO2-Emissionen schnell und drastisch reduzieren"
Für die Aufforstung von Seegras-Wiesen spricht sich die Biogeowissenschaftlerin Judith Hauck aus. Dies würde helfen, den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu reduzieren. Die Maßnahme lohne sich auch deshalb schon, weil die Pflanzen zum Küstenschutz und zum Schutz der biologischen Diversität beitragen. Hauck forscht am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Sie macht im Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise" aber auch deutlich, was im Kampf gegen die Klimawandel am wichtigsten sei. "Wir müssen weltweit unsere CO2-Emissionen senken - und zwar sehr schnell und sehr drastisch. Das ist der größte Hebel, den wir haben, um die Belastung der Ökosysteme zu reduzieren."
Die Ozeane seien für den Klimaschutz ausgesprochen wichtig. "In den Weltmeeren wird 40 Mal so viel CO2 gespeichert wie in der Atmosphäre und zehn Mal so viel wie an Land ungefähr", so Hauck.