Asylverfahren außerhalb der EU? Scholz sagt Prüfung zu
Die Bundesländer haben mit der Bundesregierung über Migrationspolitik verhandelt. Viele Länderchefs fordern, Asylverfahren außerhalb der EU zu ermöglichen - Kanzler Scholz ist skeptisch. Einigkeit besteht hingegen bei dem Wunsch, Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien wieder möglich zu machen.
Die Bundesländer machen Druck in der Migrationspolitik. Bei ihrer Konferenz im Vorfeld des Treffens mit dem Kanzler einigten sich die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten am Donnerstag auf ein gemeinsames Papier. Darin fordern sie die Bundesregierung auf, als Grundlage für weitere Beratungen "konkrete Modelle zur Durchführung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten zu entwickeln und dabei insbesondere auch dafür erforderliche Änderungen in der EU-Regulierung sowie im nationalen Asylrecht anzugehen".
Die Union-geführten Länder befürworten eine solche Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten - also Staaten außerhalb der Europäischen Union -, um die Zahl von Flüchtlingen in Deutschland zu reduzieren. Die SPD-geführten Länder zeigen sich hingegen skeptisch.
Kanzler Scholz: "Wir führen den Prozess fort"
Bei dem Bund-Länder-Treffen wurde dann kein Beschluss in dieser Frage erzielt. Aber: Die Bundesregierung will die Prüfung von Asylverfahren in Ländern außerhalb der Europäischen Union fortsetzen und dazu bis Dezember konkrete Ergebnisse vorlegen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am späten Donnerstagabend: "Es ist fest vereinbart, dass wir den Prozess fortführen und in diesen Fragen auch weiter berichten werden."
Am Freitag sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit, die Bundesregierung plane vorerst keine Gespräche mit Ländern außerhalb der EU über die Auslagerung von Asylverfahren. "Das wäre der zweite Schritt." Mit den Bundesländern vereinbart sei zunächst zu prüfen, ob es ein konkretes Modell für ein solches Vorgehen gebe. Erst dann könne die Bundesregierung auf infrage kommende Länder zugehen.
Niedersachsen: Asylverfahren in Transitstaaten denkbar
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bezweifelte, dass Asylverfahren in Drittstaaten ausgelagert werden können. Beispiele aus anderen Ländern wie Großbritannien hätten keine Lösung gebracht. Auch hätten mehrere Sachverständige bei Anhörungen im Bundesinnenministerium "einen ganzen Sack voller Fragen, Probleme und nötigen Rechtsänderungen" zusammengetragen. Der Großteil der Experten habe daher davon abgeraten, diesen Weg zu gehen.
Eine reine Drittstaaten-Regelung lehnt Weil deshalb ab, zumal: "Drittstaaten sind die Staaten, in die Menschen gebracht werden, auch gegen ihren Willen", so der Ministerpräsident. Dass das eine Lösung der Probleme sein werde, glaube er nicht. Anders ist die Lage aus Sicht von Weil, wenn es um Transitstaaten geht, also um Länder, die auf einer Fluchtroute liegen. Weil sagte: "Da wo Menschen freiwillig hingehen, da kann auch durchaus ein Asylverfahren stattfinden." Inwiefern Menschen, die aus ihrem Heimatland zum Beispiel wegen Krieg oder Verfolgung fliehen, ein anderes Land "freiwillig" durchqueren, erläuterte Weil allerdings nicht.
Günther: Mehr herausgekommen als zu erwarten war
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte, bei dem Treffen der Länderchefs und der Besprechung der Länder mit Scholz zum Thema Migration sei mehr herausgekommen, als im Vorfeld zu erwarten gewesen sei. "Ein wesentlicher Schritt ist, dass der Bund den Ländern zugesagt hat, konkrete Modelle zu entwickeln, wie die Durchführung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten erfolgen kann." Beim Bund sei auch deutliche Bewegung erkennbar, Rückführungs- und Migrationsabkommen zu schließen und man sei bereit, die Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen weiter fortzusetzen, so Günther.
Bremen stellt sich gegen Auslagerung von Asylverfahren
Das SPD-geführte Bremen hat sich neben Thüringen in einer Protokollerklärung unzufrieden mit den neuen Absprachen der Länder zur Migrationspolitik gezeigt. Die Verlagerung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten könnten Humanität und Rechtsstaatlichkeit der Verfahren nicht gewährleisten", heißt es darin. Die Fluchtursachen müssten bekämpft werden, "anstatt Flüchtlinge in andere Staaten zur Asylprüfung zu verbringen". Es bleibe eine Illusion, "durch eine Schlechterstellung individueller Geflüchteter die Gesamtsituation verbessern zu wollen".
Abschiebungen nach Afghanisten und Syrien bald wieder möglich?
Einigkeit gab es zwischen Bund und Ländern bei der geplanten Wiedereinführung von Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Die Länder begrüßten die entsprechende Ankündigung von Scholz als Reaktion auf die tödliche Messerattacke eines Afghanen in Mannheim. "Bei einer konkreten Umsetzung wird ein enges Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern erforderlich sein", heißt es im Beschlusspapier dazu. Es blieb aber offen, wie die Bundesregierung solche - aufgrund von Menschenrechtslage und Regierungssituation in den betreffenden Ländern derzeit ausgesetzten - Abschiebungen praktisch hinbekommen will.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte dazu am Freitag auf einer Konferenz der deutschen Innenminister, derzeit werde mit verschiedenen Staaten vertraulich verhandelt, um Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien möglich zu machen. Islamistische Gefährder müssten konsequent abgeschoben werden, dazu sollten auch neue Straftatbestände geschaffen werden. Faeser erklärte, für Abschiebungen nach Afghanistan sei keine veränderte Sicherheitseinschätzung des Auswärtigen Amtes nötig. Was Syrien betreffe, sei sie "in gutem Austausch" mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Grote: "Wird innerhalb der nächsten Wochen klappen"
Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) rechnet nach eigenen Worten bald mit den ersten Abschiebungen nach Afghanistan. "Ich gehe davon aus, dass das innerhalb der nächsten Wochen klappen wird", sagte Grote am Freitag. Sein Eindruck sei, dass die Bundesregierung das Vorhaben mit "großer Entschlossenheit" vorbereite. Die Länder seien alle aufgefordert worden, Fälle von afghanischen Straftätern und Gefährdern zu benennen, die vollziehbar ausreisepflichtig seien. An diesen Fällen werde jetzt konkret gearbeitet, sagte Grote.
Auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) lobte die Pläne: "Gerade bei diesem wichtigen Thema ist die Einigkeit zwischen den Ländern und dem Bund parteiübergreifend wichtig. Das erwarten die Menschen von uns." SH-Ministerpräsident Günther sagte, die Zusage, Personen, die schwere Straftaten begangen haben, sowie terroristische Gefährder auch nach Afghanistan und Syrien abzuschieben, sei "ein wichtiges Signal der Bundesregierung".
Bezahlkarte: Maximal 50 Euro an Bargeld-Auszahlung
Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer verständigten sich zudem darauf, dass Flüchtlinge über die Bezahlkarte künftig maximal 50 Euro an Bargeld-Auszahlungen bekommen sollen. Niedersachsens Landeschef Weil begrüßte den Schritt. Das schließe die Diskussion zu dem Thema vielleicht ab, so Weil. Der Deutsche Städtetag sieht aber noch viele offene Fragen. So sei beispielsweise unklar, für welchen Personenkreis die Karte gelten solle, sagte der Präsident des kommunalen Spitzenverbandes, Markus Lewe, am Freitag: "Gilt sie nur für Asylbewerber in Einrichtungen oder auch für Menschen, die bereits in Privatwohnungen leben?" Und ob die Karte lediglich für neu nach Deutschland kommende Asylbewerber gedacht sei oder auch für Menschen, die schon länger hier sind, sei auch unklar, so Lewe. Die Länder müssten noch nacharbeiten, "damit bundesweit möglichst einheitliche Regeln für die Bezahlkarte gelten".
Pflichtversicherung gegen Elementarschäden: Herrmann kritisiert Regierung
Keine Einigkeit gab es zwischen Bund und Ländern in der Frage nach einer Pflichtversicherung gegen Hochwasser- und andere Elementarschäden. Der federführend zuständige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) begründete die ablehnende Haltung der Bundesregierung so: "Die aus dem Länderkreis geforderte Pflichtversicherung würde das Wohnen in Deutschland teurer machen, eine große Bürokratie nach sich ziehen und den Staat nicht aus der finanziellen Haftung nehmen." Es solle aber weitere Gespräche geben.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kritisierte am Freitag auf NDR Info die Haltung der Bundesregierung und den Widerstand der FDP: "Es gibt einen einstimmigen Beschluss der Ministerpräsidenten-Konferenz schon vom letzten Jahr, die auffordert, eine solche Pflichtversicherung auf Bundesebene einzuführen." Extremwetter-Ereignisse nähmen zu, und er halte es für richtig, dass alle Menschen sich entsprechend versichern, so Herrmann.