500 Milliarden Euro Sondervermögen: Wer soll das bezahlen?
Union und SPD wollen für höhere Verteidigungsausgaben die Schuldenbremse im Grundgesetz lockern. Zudem soll es ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur geben. Doch wie kann das alles finanziert werden?
Friedrich Merz wurde sehr deutlich auf der Pressekonferenz nach der Sondierungsrunde seiner Union mit der SPD am Dienstag: "Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt für unsere Verteidigung gelten: whatever it takes." Was immer es braucht oder: Geld spielt keine Rolle, so könnte man den Kanzler in spe auch verstehen.
Zur Finanzierung der geplanten Mehrausgaben im Verteidigungsbereich soll die Schuldenbremse im Grundgesetz künftig nicht mehr gelten. Für den Ausbau der Infrastruktur soll ein neues Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die Dauer von zehn Jahren geschaffen werden. Davon sollen auch die Länder profitieren, 100 Milliarden Euro sollen sie erhalten.
Günther und Weil begrüßen Einigung bei Sondierungen
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) begrüßte die finanzpolitischen Einigungen zwischen Union und SPD. Sie zeugten von Entscheidungsstärke und ermöglichten Handlungsfähigkeit. "Alle staatlichen Ebenen erhalten Handlungsspielräume für Investitionen, um Deutschland verteidigungsbereit zu machen und die Infrastruktur in Ordnung zu bringen", sagte Günther. "Die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes herzustellen, hat jetzt oberste Priorität. Das haben uns die Nachrichten aus den USA der vergangenen Tage und Stunden klar vor Augen geführt."
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) drückt bei der möglichen Lockerung der Schuldenbremse aufs Tempo. Bei der Landesverteidigung werde von Tag zu Tag deutlicher, dass Europa und Deutschland mehr Verantwortung übernehmen müssten. "Die dafür notwendigen finanziellen Weichen werden jetzt hoffentlich zeitnah im Bundestag gestellt", sagte Weil. Er zeigte sich zudem "sehr angetan" von den Plänen von Union und SPD im Bund, mehr Ausgaben für die Sanierung der Infrastruktur zu ermöglichen und dabei auch die Situation von Ländern und Kommunen zu berücksichtigen.
Schwesig priorisiert - Madsen warnt
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte, ihr Land wolle das Geld aus dem Sondervermögen beispielsweise in die Bildungsinfrastruktur und Krankenhäuser investieren. "Das ist ein großes Paket, für das wir uns als Länder immer eingesetzt haben - und jetzt geht es um die konkrete Umsetzung", sagte Schwesig.
Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) warnte derweil davor, Verteilungskämpfe zu beginnen, bevor das Geld auf dem Konto sei. "Das macht wenig Sinn", so Madsen. Allerdings ermöglichten es die Milliarden, wieder Projekte in den Blick nehmen, die zuletzt nicht so stark im Fokus gewesen seien.
Dressel: Einigung kam nur durch Wählertäuschung durch die CDU zustande
Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) nannte die Einigung "klug, flexibel und besser als eine Aufstockung des vorhandenen Sondervermögens". Beim Sondervermögen Infrastruktur seien Länder und Kommunen von Anfang an mitgedacht worden - sowohl bei der Einbeziehung ins Sondervermögen als auch bei der Anpassung der Schuldenbremse, die erstmals auch den Ländern eine Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ermöglichen soll. "Auch wenn diese Einigung nur durch eine Wählertäuschung der CDU zustande gekommen ist, es ist ein überfälliger Konsens, der unserem Land, unserer Sicherheit und Wirtschaft gut tun und Wachstumsimpulse freisetzen wird", sagte der Senator und spielte damit auf die Tatsache an, dass Friedrich Merz vor der Bundestagswahl stets abgelehnt hatte, die Schuldenbremse aufzuweichen.
Wie wirken sich solche Summen auf die Kreditfähigkeit aus?
Doch was bedeuten solche großen Beträge für den Staat, für die Wirtschaft, für die Kreditfähigkeit Deutschlands? Zunächst einmal würden die nötigen Kredite die deutsche Schuldenbilanz drastisch verändern. Aktuell hat Deutschland eine Staatsverschuldung von rund 2,5 Billionen Euro. Betrachtet man nur das anvisierte Sondervermögen für die Infrastruktur von 500 Milliarden Euro, dann steigt die Schuldenlast um 20 Prozent. 500 Milliarden Euro Sondervermögen sind vom Umfang her etwas mehr als das Volumen eines gesamten Bundeshaushalts.
Die künftigen Ausgaben für die Verteidigung kommen noch einmal obendrauf. Zum jetzigen Zeitpunkt ist hier aber noch gar nicht klar, wie hoch die genau sein werden.
Zinslast dürfte deutlich steigen
Bereits jetzt gibt der Bund jedes Jahr knapp 40 Milliarden Euro nur für Zinsen und Tilgung aus. Hätte Deutschland keine Schulden, dann könnten diese 40 Milliarden in die Verteidigung gesteckt werden und der größte Teil des finanziellen Problems bei der Verteidigung wäre quasi gelöst. Aber im Laufe der Jahrzehnte hat Deutschland diese Altschulden angehäuft - und für die müssen entsprechend Zinsen und Tilgung getragen werden. Die Zinslast würde mit den neuen Schulden, wenn sie denn tatsächlich so kommen, entsprechend schwerer. Um wie viel genau, ist zu diesem Zeitpunkt aber nur schwer zu sagen.
Inflation könnte sich erhöhen - Wachstum aber auch
Wenn der Staat plötzlich deutlich mehr Geld ausgibt, dann treibt das tendenziell auch die Inflation und in der Folge dann auch die Zinsen nach oben. Doch derartig hohe Ausgaben kurbeln auch das Wirtschaftswachstum an. In den entsprechenden Branchen stehen große neue Aufträge ins Haus, allen voran in der Rüstungsindustrie und in der Bauindustrie. Wie es den Sondierern von Union und SPD vorschwebt, sollen aus dem neuen Sondervermögen für Infrastrukturprojekte im großen Stil Investitionen in Brücken, Straßen und die Schiene fließen.
Sondervermögen: Schattenhaushalte belasten über Jahrzehnte
Sondervermögen haben den Vorteil, dass sie Planungssicherheit bieten. Denn die finanziellen Mittel sind zweckgebunden und werden mit klar definierten Zielvorgaben eingesetzt. Technisch wird für ein Sondervermögen neben dem ordentlichen Haushalt ein Nebentopf aufgemacht. Kritiker sprechen daher auch von Schattenhaushalten. Sondervermögen sind nur für besondere Aufgaben gedacht.
Während der Corona-Pandemie wurde ein Sondervermögen zur Stabilisierung der Wirtschaft aufgelegt. Dafür wird die Tilgung erst 2029 beginnen und laut Plan über 20 Jahre laufen. Neben diesem Corona-Sondervermögen und dem aktuell laufenden Sondervermögen für die Bundeswehr listet der Bundesrechnungshof 29 weitere Sondervermögen auf. Die ältesten stammen noch aus den 1950er-Jahren. Dafür wird immer noch geliehenes Geld zurückgezahlt - auch nach Jahrzehnten.
Woher soll das Geld kommen? Steuererhöhungen möglich
Dass Deutschland überhaupt problemlos neue Schulden machen kann, liegt an der nach wie vor sehr guten Kreditwürdigkeit. Die drei großen Ratingagenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch geben Deutschland nach wie vor die höchste Bewertung: ein Triple A. Das heißt, Deutschland kann sich zu relativ niedrigen Zinsen Geld leihen.
Gleichwohl muss das Geld für die Rückzahlung irgendwoher kommen, auch wenn sich die Tilgung über Jahre erstreckt und erst in einigen Jahren überhaupt beginnt. Das Geld dafür muss dann aus dem Bundeshaushalt kommen. Friedrich Merz hatte im Wahlkampf wiederholt auf Steuereinnahmen aus einer wachsenden Wirtschaft verwiesen. Allerdings steckt Deutschland nach wie vor in einer Rezession. Das Wachstum muss also erst mal kommen. Eine andere Möglichkeit könnten Steuererhöhungen sein. Und da ist vor allem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im Gespräch.
Auf Zustimmung der Grünen angewiesen - die fordern Nachbesserungen
Um die Schuldenbremse entsprechend der Pläne zu reformieren, ist im Bundestag eine Zweidrittel-Mehrheit nötig. Union und SPD wollen noch im alten Bundestag abstimmen lassen, sind aber auch auf die Stimmen der Grünen angewiesen. Diese wollen jedoch nur unter Bedingungen dem Finanzpaket zustimmen. Parteichefin Franziska Brandtner fordert Nachbesserungen beim Klimaschutz. Dieses Thema sei auch eine der zentralen Sicherheitsfragen, sagte Brandtner.
Ähnlich äußerte sich auch der niedersächsische Finanzminister Gerald Heere (Grüne). Es sei gut, dass bei der Verständigung von Union und SPD auch die Ebene der Länder und Kommunen mitgedacht worden sei. Allerdings müssten auch Investitionen in den Klimaschutz und die Klimafolgenanpassung ermöglicht werden.
