Streit über Zukunft der Hamburger Köhlbrandbrücke geht weiter
In der neu entbrannten Debatte über die Zukunft der Hamburger Köhlbrandbrücke verlangt die Hamburgische Architektenkammer vom Senat eine Offenlegung aller Gutachten. Die Hafenwirtschaft betont derweil erneut die Bedeutung einer neuen Köhlbranquerung.
Ohne eine neue Köhlbrandquerung steht aus Sicht der Hamburger Hafenwirtschaft die Zukunft des größten deutschen Seehafens auf dem Spiel. Wegen des hohen Alters und der hohen Belastung sei die Köhlbrandbrücke nur noch eingeschränkt nutzbar, erklärte der Unternehmensverband Hafen Hamburg (UVHH). "Ohne eine leistungsfähige Querung, die den verkehrlichen Anforderungen der Zukunft Rechnung trägt, wird der Hafen seine Funktion nicht mehr erfüllen können", heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung.
Architektenkammer fordert Transparenz und Neubewertung
Auf die Seite der Kritikerinnen und Kritiker eines Abrisses stellte sich derweil die Hamburgische Architektenkammer. Sie fordert mehr Transparenz und eine Neubewertung. Seit dem Beschluss, die Brücke abzureißen hätten sich die Verkehrsprognosen geändert, da könne man nicht einfach ein Baudenkmal abreißen. Für eine genaue Prüfung des Erhalts der Köhlbrandbrücke sprechen aus Sicht der Architektenkammer mehrere Gründe. Es sei die mit Abstand kostengünstigste Variante. "Hinzu kommt die enorme Einsparung von Baumaterial, Energie und CO2 und die Vermeidung von großen Mengen Bauschutt, wenn die Brücke weitergenutzt würde - ein in Zeiten der Klimakrise bedeutender Faktor."
Vorwurf: Gutachten zur Brücke unter Verschluss gehalten
Vor allem moniert die Architektenkammer aber, ein Gutachten der TU Hamburg-Harburg zum Zustand der Brücke von 2008 sei unter Verschluss. Frank Drieschner von der Wochenzeitung "Die Zeit" kennt das 178-seitige Gutachten, das jeden Schaden an der Köhlbrandbrücke auflistet. "Ich sehe nicht, wie man aus diesem Gutachten heraus je zu dem Schluss kommen konnte, dass diese Brücke abgerissen gehört - schon gar nicht, dass das alternativlos wäre", so Drieschner. Der Beton aus den 1970er-Jahren hätte laut Gutachten angefasst werden müssen, das wäre aber machbar gewesen. Zum Stahl im Mittelteil der Brücke heißt es, es seien nicht viele Schäden vorhanden, deren Ausmaß sei nicht gravierend - und weiter: "Die Stahlbrücke ist folglich in einem relativ guten Zustand." Das Gutachten wurde nicht veröffentlicht, die Wirtschaftsbehörde besiegelte das Schicksal von Hamburgs Wahrzeichen. Ein Behördensprecher sagte dem Hamburg Journal im NDR Fernsehen, das Gutachten sei veraltet. Dass die Brücke aber in wenigen Jahren von einem guten Zustand zum Totalschaden geworden sein soll, bezweifelt der mittlerweile in der Schweiz forschende Autor des Gutachtens.
Denkmalverein: Wahrzeichen erhalten
Auch der Denkmalverein Hamburg setzt sich für den Erhalt der Köhlbrandbrücke ein. Sie sei ein Wahrzeichen der Stadt, ein bedeutendes denkmalgeschütztes Ingenieurbauwerk und ein wichtiges Zeugnis der Hamburger Verkehrsgeschichte, das unbedingt erhalten werden sollte, teilte der Verein am Mittwoch mit. Der Senat wurde aufgefordert, "die bautechnische, funktionale und wirtschaftliche Erhaltungsfähigkeit der Köhlbrandbrücke in vertiefenden und unabhängigen ingenieur- und verkehrstechnischen Untersuchungen eingehend, gewissenhaft und ergebnisoffen prüfen zu lassen". Die weiteren Planungen zur Köhlbrandquerung mittels einer neuen Brücke oder eines Tunnels müssten bis zum Abschluss dieser Prüfung eingestellt werden.
Kerstan bringt Erhalt der bestehenden Brücke ins Spiel
Auch in Hamburgs rot-grünem Senat sorgt eine Diskussion um Erhalt oder Abriss der Köhlbrandbrücke für großen Streit. Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) hatte zuletzt ihren Erhalt ins Spiel gebracht und die neue Debatte so losgetreten. SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf sprach daraufhin in einem Interview mit NDR 90,3 und dem Hamburg Journal von einer "abstrusen Idee" des Senators.
Brosda: "Schönheit allein reicht nicht aus"
Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) hält wenig von der Idee, die Köhlbrandbrücke zu erhalten. In einem Interview mit NDR 90,3 sagte er: "Wenn die Brücke ihren Zweck nicht mehr erfüllt, ich diesen Zweck aber brauche, nennen wir das im Denkmalrecht ein überragendes Interesse, das den Eingriff in den Denkmalschutz rechtfertigt. Dann kann ich sie individuell noch so schön finden. Dann reicht Schönheit allein nicht aus." Und wer etwas anderes fordere, müsse sich zumindest fragen lassen, "ob er eigentlich wissentlich oder willentlich die Funktionsfähigkeit des Hamburger Hafens in Frage stellen will".
Fegebank: "Kein Thema für Sommerloch-Schlagabtausch"
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) mahnte am Dienstag zur Mäßigung und erteilte ihrem Parteikollegen Kerstan einen Rüffel für seine Aussagen. Ein Bild wie die Ampelkoalition im Bund sollte der rot-grüne Senat in Hamburg nicht abgeben, findet sie. Außerdem sei das Thema Köhlbrandquerung komplex und bei Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) in besten Händen. "Wenn jemand weiß, wie man da sorgfältig arbeitet und alle möglichen Varianten noch einmal nebeneinander legt, um die beste Lösung zu finden, dann ist das sicherlich die Kollegin Melanie Leonhard", sagte Fegebank bei der Landespressekonferenz. Entscheidungen müssten auf Grundlage von Fakten fallen. "Deshalb ist das in meinen Augen überhaupt nicht tauglich für einen sommerlichen Sommerloch-Schlagabtausch zwischen Personen, die überhaupt nicht miteinander am Tisch saßen."
Hafenwirtschaft erinnert an Koalitionsvertrag
Der UVHH, der die im Hafen ansässigen Unternehmen vertritt, nannte die Köhlbrandbrücke eine "Hauptschlagader des Hamburger Hafens", die mit steigender Tendenz täglich von rund 38.000 Fahrzeugen genutzt werde - davon seien knapp 40 Prozent Lastwagen. Für Lkw gebe es ein Abstandsgebot und Überholverbot, die Schifffahrt sei durch die Durchfahrtshöhe limitiert. Der Verband erinnerte die rot-grüne Koalition in Hamburg daran, dass eine leistungsfähige Köhlbrandquerung im Koalitionsvertrag von 2020 enthalten sei.
Tunnel oder Brücke
Die Köhlbrandbrücke verbindet seit 1974 die westlichen Hafenbereiche mit denen auf der Elbinsel Wilhelmsburg. Zugleich ist sie Anbindung des Hafens an die Autobahnen nach Flensburg, Kiel, Hannover und Bremen. Mit einer Durchfahrtshöhe von gut 50 Metern dürfte die Brücke künftigen Anforderungen nicht mehr entsprechen, deshalb sollte sie nach bisherigen Planungen 2036 ersetzt werden. Der Senat ging bislang von einer Tunnellösung als Ersatz aus. Aktuell werden die Planungen jedoch noch einmal überarbeitet.