Amoktat: Behörden sehen keine Versäumnisse bei Waffenkontrolle
Nach der Amoktat in den Räumen der Zeugen Jehovas in Hamburg haben am Dienstag die Spitzen von Innenbehörde, Polizei und Staatsanwaltschaft über den aktuellen Ermittlungsstand informiert. Dabei ging es auch um die Waffenkontrolle, die im Februar beim Täter stattfand.
Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sagte, er sehe keine Verfehlungen seitens der Waffenbehörde. Sie habe nach Erhalt eines anonymen Hinweises auf eine mögliche psychische Erkrankung und Gefährlichkeit von Philipp F. im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten gehandelt und dabei keine Auffälligkeiten festgestellt. Dabei hatten zwei Beamte am 7. Februar auch einen unangekündigten Hausbesuch beim Täter gemacht, um die Aufbewahrung der Waffen zu kontrollieren. Auch wenn Recherchen der Beamten und Beamtinnen zu einem Buch des Täters, in dem er unter anderem Massenmorde als legitim dargestellt, zu keinem Ergebnis geführt hätten, könne er den Mitarbeitern "keine Vorwürfe machen", sagte Meyer. Im anonymen Hinweisschreiben war seinen Angaben zufolge auf das Buch hingewiesen worden. Die Beamten hätten bei der Internetrecherche den Namen des Täters und "Buch" eingegeben - und dabei kein Ergebnis erhalten.
Grote: "Buch hätte für psychologisches Gutachten ausgereicht"
Im Interview mit dem NDR Hamburg Journal am Dienstag erklärte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD): "Die Einschätzung der Waffenbehörde ist, das Buch hätte ausgereicht, um ein psychologisches Gutachten zu verlangen. Das hätte dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit seine waffenrechtliche Ungeeignetheit ergeben. Mit Sicherheit sagen können wir das nicht."
Kritik aus der Opposition
"Man hat nicht gründlich genug geprüft, obwohl man die Möglichkeit dazu hatte. Die Frage ist, ob die Tat sich hätte verhindern lassen, wenn man genau hingeschaut hätte", sagte der innenpolitische Sprecher der Hamburger CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Gladiator am Mittwoch im Interview mit NDR Info. Seiner Ansicht nach wäre die Wahrscheinlichkeit dafür hoch gewesen. Die Homepage des mutmaßlichen Täters sei nicht ausgewertet worden, deshalb sei die Behörde nicht auf das Buch von Philipp F. gestoßen. Dieses und die darin vertretenen Ansichten wären ein rechtlich ausreichender Grund gewesen, um ein Verfahren einzuleiten, das zum Waffenentzug geführt hätte. "Hier war das Problem nicht der rechtliche Rahmen, sondern die Gründlichkeit der Prüfung." Die Verantwortung dafür trage Innensenator Andy Grote. Dieser habe seine Behörde nicht ausreichend aufgestellt, um Hinweisen gründlich genug nachzugehen.
Intensive Beschäftigung mit der Tat
Laut Grote beschäftigt die Amoktat die Behörden auch fünf Tage danach noch sehr intensiv. Er habe sich mit vielen Einsatzkräften, Innenministern und -ministerinnen und auch vielen Menschen aus den Reihen der Zeugen Jehovas getroffen. Grote habe dabei eine enorme Anerkennung der Leistung der Hamburger Polizei bei ihrem Einsatz erfahren. Der Innensenator dankte den Beamtinnen und Beamten, die sehr schnell am Tatort waren und die Amoktat unterbrachen. "Die Einsatzkräfte sind mit großem Mut ins Gebäude gegangen. Ohne genau zu wissen, was hinter der Tür auf sie wartet", so Grote. Auch den Rettungskräften, die Verletzte vor Ort sehr schnell versorgt hatten, und den Ärzten und Ärztinnen im Krankenhaus dankte Grote.
Eine Person schwebt noch in Lebensgefahr
Sieben Personen und der Täter selbst kamen durch die Amoktat ums Leben. "Insgesamt neun Menschen wurden bei der Tat körperlich verletzt", sagte der stellvertretende Leiter des Hamburger Staatsschutzes, Uwe Stockmann, am Dienstag. Sieben von ihnen hätten Schusswunden erlitten. Sieben der Verletzten wohnen in Hamburg, zwei in Schleswig-Holstein, so Stockmann. Noch immer befinden sich den Angaben nach sechs Verletzte im Krankenhaus, eine Person schwebt demnach weiterhin in Lebensgefahr.
Generalstaatsanwalt: Keine Hinweise auf Mittäter
Laut Arnold Keller, dem leitenden Oberstaatsanwalt der Staatschutzabteilung der Generalstaatsanwaltschaft, wird das Tatgeschehen vom Donnerstagabend aktuell möglichst lückenlos rekonstruiert. In Bezug auf mögliche Mittäter - neben dem Täter Philipp F. - sagte Keller, es seien bislang keine weiteren Personen strafrechtlich in Blick genommen worden. Auch ein vom Täter veröffentlichtes Buch und dessen Internetauftritt würden derzeit sehr sorgfältig geprüft. Sicher sei, dass Philipp F. zuvor nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Es habe keine Hinweise auf eine solche Tat gegeben.
Noch kein abschließendes Urteil zum Tatmotiv
Die Generalstaatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen am Sonntag an sich gezogen. Begründet wurde dies mit der Beziehung von Philipp F. zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas. F. war bis vor anderthalb Jahren dort Mitglied, dann im eigenen Interesse, aber nicht im Guten gegangen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass F. aus Hass gegen diese Gemeinschaft gehandelt hatte. "Ob hierin letztlich das Motiv für die Tat zu suchen ist, kann heute aber noch nicht abschließend gesagt werden", sagte Keller. Mittlerweile gibt es laut Polizei Hunderte Hinweise dazu, wo der Täter im Internet mehr als 60 Magazine für die Tatwaffe gekauft hat.
Gedenkgottesdienst am 19. März
Am Sonntag um 17 Uhr wird in der Hauptkirche St. Petri bei einem ökumenischen Gedenkgottesdienst der Opfer gedacht. Dazu laden das Erzbistum Hamburg, die Nordkirche und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen ein. Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas wurde vorab informiert und zu dem Gottesdienst eingeladen. Von Michael Tsifidaris, dem Sprecher der Glaubengemeinschaft, heißt es, er schätze die Solidarität und Anteilnahme, die durch diese Gedenkfeier zum Ausdruck komme.
Amoklauf am Donnerstagabend in Alsterdorf
Bei der Amoktat hatte am Donnerstagabend in der Straße Deelböge im Stadtteil Alsterdorf der 35-jährige Philipp F. sieben Menschen - darunter ein ungeborenes Kind - und sich selbst getötet. Der Täter hatte mehr als 100 Mal mit einer halbautomatischen Pistole geschossen. Seit dem 12. Dezember war er - als Sportschütze - laut Polizei im legalen Besitz dieser Waffe.