Polizeibeamte stehen vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf. © dpa Foto: Markus Scholz
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Amoklauf in Hamburg: Welche Rolle spielte Frauenhass bei der Tat?

Stand: 17.03.2023 06:05 Uhr

Wer war Philipp F.? Der mutmaßliche Amokläufer hat in Hamburg sieben Menschen getötet, bevor er sich offenbar selbst erschoss. In einem Buch hinterlässt er krude Theorien. Besonders auffällig darin: sein Frauenhass und Antifeminismus.

von Anina Pommerenke

Auch eine Woche nach dem Amoklauf in Hamburg ist noch verhältnismäßig wenig über den mutmaßlichen Täter Philipp F. bekannt, der bei einem Attentat in einem Versammlungssaal der Zeugen Jehovas sieben Menschen getötet haben soll - zwei Frauen, ein ungeborenes Mädchen und vier Männer. Neun weitere Menschen wurden verletzt. Nach der Tat nahm sich der 35-Jährige offenbar selbst das Leben. Aus ermittlungstaktischen Gründen werden nach wie vor viele Informationen von den Behörden zurückgehalten. Somit ist auch die Frage nach dem Motiv weiter unbeantwortet.

Philipp F. ein Frauenhasser und Antifeminist?

Für besonders viel Aufregung in der öffentlichen Debatte sorgt ein Buch, welches der Täter in englischer Sprache verfasst hat - und das dem Titel zufolge die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan verspricht. Passagen darin über das Bild, das F. offenbar von Frauen hatte, machen hellhörig. Demnach könnte Philipp F. ein Frauenhasser und Antifeminist gewesen sein - eine Eigenschaft, die er mit vielen anderen Attentätern gemein hat.

Seiner in dem Buch vertretenen Meinung nach sollten sich Frauen ihren Ehemännern klar unterordnen, hätten primär die Funktion, Kinder zu gebären und diese großzuziehen - und spielten in der Partnerschaft maximal eine dekorative Rolle. Entsprechend bewertet er das heutige Verhalten vieler Frauen als blasphemisch.

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Verbindungen in die Incel-Szene?

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland kommt deshalb drei Tage nach der Tat zu der Einschätzung, dass es sich bei Philipp F. um einen Incel gehandelt haben könnte. Incels sind sozial und sexuell isolierte Männer. Sie leben unfreiwillig im Zölibat. Trotz größtmöglicher Anstrengungen haben sie keine Partnerin. Die Enttäuschung über ihr unerfülltes Liebesleben äußert sich - paradoxerweise - in extremem Hass gegen Frauen, die sie ja eigentlich begehren.

Die Community ist geprägt von gegenseitigen Demütigungen und Ermunterungen zu Suiziden. Unter anderem der Attentäter von Halle sympathisierte mit der Gedankenwelt der Incels, viele weitere Attentate der vergangenen Jahre werden mit der Szene in Verbindung gebracht. Einige Täter haben sich klar zu ihr bekannt.

Alle Incels sind Frauenhasser, aber nicht alle Frauenhasser sind Incels

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Doch war Philipp F. wirklich ein Incel? In der Szene selbst wurde der Vorfall zunächst mit einer gewissen Anerkennung registriert. Auf der Community-Plattform incels.is gibt es kurz nach der Tat dazu einen Thread namens "Someone went ER in Hamburg". Mit "ER" huldigen die Anhänger der Szene einem ihrer größten Idole: dem 22-jährigen US-Amerikaner Elliot Rodger, der 2014 aus Rache für sein unfreiwillig zölibatäres Leben sechs Menschen erschoss. Dass einige Medien die Verbindung zwischen Attentäter und Incel-Szene ziehen, sorgt allerdings nur wenige Tage später auf demselben Forum für wüste Beschimpfungen. Schnelle Rückschlüsse sind generell mit Vorsicht zu genießen: Zwar sind alle Incels Frauenhasser, aber nicht alle Frauenhasser sind Incels.

Expertin: Religiös motivierte Frauenfeindlichkeit

Auch Veronika Kracher, die für die Amadeu-Antonio-Stiftung zu Antifeminismus, Misogynie und gekränkter Männlichkeit forscht, kommt nach der Analyse des Buchs zu der Erkenntnis, dass Philipp F. kein Incel gewesen sei: "Wir haben es hier mit einer religiös motivierten Frauenfeindlichkeit zu tun, die mit der Bibel und einem göttlichen Willen begründet wird."

Einer der wichtigsten Aspekte der Incel-Szene sei etwa die obsessive Beschäftigung mit der eigenen Unattraktivität und der Annahme, dass Frauen nur mit sehr attraktiven Männern schlafen würden. Gedanken, die im Buch von Philipp F. überhaupt nicht auftauchen.

Amoktäter widmet Buch einer bislang unbekannten Frau

Ebenso fehlt der Expertin jeglicher sonstige Bezug zur Incel-Ideologie - wie etwa die Sprache oder eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sexlosigkeit. Im Gegenteil: In seinem Leben scheint es eine Frau gegeben zu haben, denn ihr hat er sein Werk gewidmet. Philipp F. beschreibt sie als "mesmerising beautiful special" - also: hypnotisierend, schön und besonders.

Die Selbstdarstellung auf seiner Internetseite, auf der er unter anderem seine Beraterdienste für 250.000 Euro pro Tag anbietet, lässt eher ein überzeichnetes Selbstbewusstsein vermuten - wohingegen die Incels sich tendenziell eher als 'Loser', also Verlierer bezeichnen.

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Frauenhass verbreitet unter Amokläufern

Die Tatsache, dass Philipp F. offensichtlich einen Hass auf ein modernes Frauenbild hatte, ist aber wichtig. Die Wissenschaftlerin Kracher weist in diesem Kontext darauf hin, dass Antifeminismus, patriarchales Anspruchsdenken und Frauenhass integrale Bestandteile von autoritären Persönlichkeitsstrukturen seien, die regelmäßig bei Amokläufern aufträten. Dazu gehöre bei den Tätern oft auch eine Geschichte von frauenfeindlicher Gewalt, wie zum Beispiel häuslicher Gewalt oder Vergewaltigungen.

Kracher verweist auf eine Studie des Kulturwissenschaftlers Klaus Theweleit, der sich in seinem Werk "Das Lachen der Täter" mit der Tötungslust von Amokläufern und Rechtsterroristen auseinandergesetzt hat. Theweleit habe herausgearbeitet, dass diese Männer sich quasi als Vollstrecker eines übergeordneten Rechtes sähen. "Bei dem Attentäter von Hamburg haben wir die religiöse Legitimation seines Handelns. Er betrachtet sich als Vertreter eines göttlichen Wortes, das er in Form von Schriften aber eben auch mit der Waffe in die Welt trägt", schlussfolgert Kracher.

Führt männliche Sozialisation zu Amokläufen?

Aus dem Werk von Philipp F. gehe ferner deutlich hervor, dass er von einer durch Gott und Bibel begründeten geschlechtsbedingten Überlegenheit überzeugt war, so Kracher. Diese Selbstüberschätzung führt sie auch auf eine bestimmte männliche Sozialisation zurück - also einem Konzept von Männlichkeit, das alles, was vermeintlich nicht-männlich ist, abwertet: etwa das Weibliche, das Emotionale und das Schwache.

Dieses Bild einer vermeintlich geschlechtsbedingten Überlegenheit sei weit verbreitet, so Kracher. Laut einer Studie der Universität Leipzig habe ein Viertel der deutschen Männer ein geschlossenes, antifeministisches Weltbild. Noch mehr der Befragten stimmen demnach frauenfeindlichen und sexistischen Aussagen zu. Die Expertin ist deshalb der Überzeugung, dass es nicht reiche von Einzelfällen zu sprechen. "Um derartige Geschehnisse und Angriffe zu verhindern, ist es wichtig, sich mit dem Aspekt von Männlichkeit und Frauenhass bei diesen Attentätern zu befassen." Es sei fatal, dass dies in der gesellschaftlichen Debatte nach wie vor zu wenig passiere.

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NDR Info | Aktuell | 17.03.2023 | 07:05 Uhr

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