NachGedacht: Frieden schaffen - womit?
Ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Putin dafür gesorgt, dass unser Denken, unsere Begriffe, unsere Sicherheiten neu geschrieben wurden, findet Lena Bodewein.
Als ich klein war, war die Sache für mich klar: Frieden schaffen ohne Waffen. Dafür gingen die Menschen auf die Straße. Das Gleichgewicht des Schreckens war eine furchtbare Bedrohung und am liebsten sollte die Bundeswehr so wenig zu tun haben, dass sie in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.
Der Frieden hat Lücken
Ein Jahr nach der Invasion Russlands in der Ukraine sind diese Gewissheiten komplett verloren, die Plattentektonik der Weltordnung erschüttert und die der Friedensbewegung ebenfalls. Um ein Zeichen für den Frieden zu setzen, ist für den Jahrestag der Invasion eine Menschenkette zwischen Münster und Osnabrück geplant, doch es fehlen laut Organisatoren noch Zigtausende Menschen dafür - der Frieden hat große Lücken. Der Pazifismus kommt an seine Grenzen bei irren Kriegstreibern wie Putin, die für Verhandlungslösungen nicht zugänglich sind - oder erst, wenn sie mit Waffengewalt dazu gezwungen werden. Und das ist das Dilemma - alle wollen Frieden, aber der scheint nur erreichbar, wenn immer mehr Kriegsgerät, Munition, Panzer, vielleicht sogar Kampfflugzeuge geliefert werden.
Frieden schaffen nur mit Waffen? Da wären wir bei von Clausewitz, Offizier und Militärwissenschaftler, und seiner Ansicht: "Der Krieg ist nichts als eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln". Eine Fortsetzung von Putins Politik zunächst - der Angriff auf die Ukraine. Und nun muss es die Politik der ganzen restlichen Welt sein, dieses Unrecht zu beenden. Mit den Mitteln des Krieges.
Kalter Krieg: Neu gestartet und ausgeweitet
Insofern ist es naiv, wenn man glaubt, Putin stoppen zu können, wenn man ihm auch die andere Wange hinhält, wie es der Effekt des "Manifests für den Frieden" von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer wäre. Dieser Aufruf verwechselt Ursache und Wirkung - womit wir wieder bei von Clausewitz wären und seinem bösen Bonmot, wonach eigentlich der Verteidiger schuld am Krieg ist, weil er sich dem Angreifer in den Weg stellt.
Selbst wenn der Krieg in der Ukraine in absehbarer Zeit zu Ende sein sollte: Die weltpolitischen Erschütterungen, die er hinterlässt, sind verheerend; Washington, Russland, China - früher hieß das Säbelrasseln, heute ist es Bombendrohen. Der Kalte Krieg scheint nicht nur neu gestartet, sondern im Hyperdrive auf alle möglichen Schauplätze der Welt ausgeweitet: Oft genug schon wurde spekuliert, dass China das Ukraine-Beispiel kopieren und sich Taiwan einverleiben könnte.
Frieden durch Waffen und Verhandlungen
Neulich las ich, dass Geparde nach Indien geliefert und ausgewildert werden. Und war verwirrt, bis ich verstand: In dem Artikel ging es um Tiere. Während man doch eigentlich bei jedem Wildtier - Leopard, Marder, Wiesel, Gepard - inzwischen an ein Kampfgerät denkt, weil wir ganze Menagerien in die Ukraine schicken. Weil wir es müssen.
Es sind nicht nur die Eskalation der Kampfhandlungen und die Eskalation des Konfliktes weltweit, die mir Angst machen, sondern es ist auch die Eskalation in unseren Köpfen: mit welcher Bereitwilligkeit und flink erworbener Expertise wir so etwas diskutieren, so wie wir vorher eine Fußball-WM diskutiert haben. Das beunruhigt mich.
Doch ich möchte jetzt nicht darüber reden, wie "betroffen" mich das macht oder eine ähnliche Gefühlsduselei der Betrachter pflegen, wie sie gerade en vogue ist. Denn das wirkliche Leid geschieht in der Ukraine, und damit das ein Ende findet, müssen wir Frieden schaffen - auch mit Waffen, und dann mit Verhandlungen.