NachGedacht: Der letzte Strohhalm
Kleiner Gegenstand, große Themen. Was ein Hilfsmittel zur Flüssigkeitsaufnahme mit Nahrungsketten und Weltpolitik zu tun hat, erklärt Lena Bodewein in ihrer Kolumne.
Ich möchte das wirklich nicht, über Trump reden. Echt nicht. Aber es ist einfach schwer vermeidbar. Entweder schaue ich auf konfliktgeladenen Wahlkampf, der durch fürchterliche Geschehnisse wie just in München noch gruseliger in Drohung und Forderung wird. In allen anderen Bereichen stoße ich nur noch auf Trump. Man kann leicht den Überblick verlieren bei den ganzen Dekreten, Beleidigungen, Rausschmissen, Großtaten, Visionen, weltpolitischen Meisterleistungen, die der Mann den ganzen Tag so absondert. Gerade darum sticht eines so heraus, weil es so entblößend ist: Plastikstrohhalme dürfen nicht mehr benachteiligt werden.
Er lässt ernsthaft sein Team eine Strategie erarbeiten, um die Verwendung von Papierstrohhalmen zu beenden. Boah, ist das kleingeistig und erbärmlich. "Meeeee meee meeee, die sind so gemein, die Ökos, meine Strohhalme weichen immer auf, die lasse ich verbieten", sagt der Cola-Trinker. Alkoholische Drinks kommen ihm ja nicht ins Glas - sonst wäre hier ein Filmtipp für ihn, den ewigen Protz und Gernegroß: In "Crazy Stupid Love" gibt der Aufreißer Jacob dem biederen Cal den Befehl, sofort den Strohhalm aus seinem Drink zu nehmen, es sehe aus, als sauge er an einem winzigen … äääh … Geschlechtsteil.
Wahnwitzigen Zeiten: "Was ist denn jetzt schon wieder passiert?"
Aber Entschuldigung für diesen … klitzekleinen … Exkurs. Ich muss etwas korrigieren: die Papierhalm-Abschaffung erfolgt nicht etwa deshalb, weil das Material aufweicht. Nein, die sind gefährlich, die explodieren. Ja. Und vor dieser Gefahr rettet er uns. Er muss immer der Größte sein und umgibt sich nur mit anderen dickhosigen Kerlen, die ihren Größenwahn auch noch gegenseitig befeuern: Trump spricht mit Putin - schon feiert ein Kremlsprecher es als "das wichtigste Telefonat in der Geschichte der Diplomatie".
Voller Pathos, immer die geballte Ladung! Interessant, dass im Englischen der Gebrauch von Pathos nicht pathetisch ist, sondern pathetic, also erbärmlich. Nur so nebenbei bemerkt. In diesen wahnwitzigen Zeiten sitzt irgendwie nur in Wien ein alter weißer Mann in der Hofburg, der Orientierung und Ruhe bietet und lieber tiefstapelt, als aggressive Aufregung zu verbreiten: Alexander van der Bellen, Wissenschaftler, Grüner, bekennender Feminist, der bei Hick und Hack nur entspannt fragt: "Was ist denn jetzt schon wieder passiert?"
Er scheint wie der Gegenentwurf, Hofburg vs. Weißes Haus. Van der Bellen muss nicht immer gewinnen, er blickt dem Scheitern von noch und nöcheren Koalitionsverhandlungen gelassen zu. Er muss nicht die "besten Regierungsbildungen der Welt" beauftragt haben. Alexander Van der Bellen weiß womöglich, dass es mehr Mut zum Scheitern braucht, dass die Welt nicht nur aus Gewinnern und Verlierern besteht, dass sie nicht Schwarz und Weiß ist, sondern dass es viele Schattierungen dazwischen gibt, ohne die komplexe Bilder nicht zu erkennen sind.
Klammern an einen letzten Strohhalm
Zurück zu dem Mann, dessen Frisur mehr und mehr danach aussieht, als hätte er sie aus Plastikstrohhalmen auf seinem Kopf drapiert. Trump sagt: Er glaubt nicht, dass das Plastik einen Hai stören würde, wenn er sich durch den Ozean frisst. Natürlich ist es ein Hai, an den Trump denkt, ein Aggressor, ein Räuber, der andere frisst, ein Siegertyp, so wie er sich selbst sieht. Dass die Ozeane Lebensraum für zig Millionen vielfältigster Organismen sind, manche phantastischer im Aussehen als jedes Hieronymus-Bosch-Bild, das sieht er nicht. Armer Mann.
Doppelt arm: Denn womöglich stört den Hai das Plastik nicht, aber seine Beutetiere schon, die ganze Nahrungskette unterhalb des Hais wird vom tonnenweise in den Meeren schwimmenden Groß- und Mikroplastik gefährdet, erstickt, getötet. Beutetiere verenden, Hai verhungert auch. Tja. Pech gehabt, du Siegertyp. Aber wenn man die großen Zusammenhänge nicht sehen will vor lauter kleinlicher und kleingeistiger Aufrechnerei, dann klammert man sich schnell an einen letzten Strohhalm.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie diese Kolumne geben die persönliche Sicht der Autorin wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sie sich bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.
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