Demos gegen rechts: "Kundgebungen allein werden nichts ändern"
Hunderttausende demonstrieren Woche für Woche gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung. Wie schauen Muslim*innen auf diese Proteste? Welche Gefühle lösen die Kundgebungen bei ihnen aus? Ein Gastkommentar.
Wenn ich auf die Demonstrationen der vergangenen Wochen in ganz Deutschland blicke, habe ich gemischte Gefühle: Nach dem Erstarken der AfD, nicht nur in ostdeutschen Bundesländern, und dem Bericht über die in Potsdam geäußerten Remigrationspläne, macht es Hoffnung, dass Millionen von Menschen an ihren freien Wochenenden auf die Straße gehen, um sich gegen dieses völkische und rechtsextreme Gedankengut zu positionieren. Es ist die größte Protestwelle seit dem Mauerfall.
Der Gang auf die Straße reicht nicht
Und doch werden Demonstrationen und Kundgebungen allein nichts ändern - weder an der politischen Lage insgesamt noch an dem Sicherheitsgefühl von Muslim*innen und Migrant*innen in Deutschland. Es ist einfach, am Samstagnachmittag auf eine Demo zu gehen, auf der sich ohnehin alle darüber einig sind, dass Rassismus und Hass grundsätzlich abzulehnen sind. Schwieriger ist es hingegen, dies auch am Arbeitsplatz klar zu artikulieren und antimuslimischem Rassismus aktiv zu begegnen, bei der Wohnungssuche, in den Medien, in der Öffentlichkeit, in der Schule und im gesamten Bildungssystem. Und noch ein bisschen schwieriger ist es, eigene Denkmuster und Stereotype zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen. Das muss genauso geschehen wie der Gang auf die Straße.
Denn wenn beide Prozesse - ein klares Positionieren nach außen und ein ehrliches Reflektieren nach innen - nicht gleichzeitig geschehen, dann bleibt die Protestbewegung gegen rechts für die von Rassismus Betroffenen unglaubwürdig.
Muslim*innen machen täglich rassistische Erfahrungen
Ein Positionieren gegen rechts ist nicht glaubwürdig, wenn zugleich nichts gegen zunehmende Angriffe auf Moscheen unternommen wird; wenn weiterhin gesetzliche Kopftuchverbote die Karrierewege von Musliminnen beschneiden, wenn Antisemitismus explizit als rein muslimisches Problem angesehen wird und nicht als gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Wenn führende Politiker*innen von "hier lebenden Muslimen" sprechen, anstatt sie als deutsche Muslim*innen anzuerkennen. Wenn muslimische Jugendliche als "kleine Paschas" bezeichnet werden. Wenn auch weiterhin versucht wird, auf Kosten von Muslim*innen und Migrant*innen Wählerstimmen von der AfD zurückzugewinnen, indem man die gleichen Themen mit etwas abgemildeter Rhetorik bedient.
Die Remigrationspläne des Potsdamer Treffens überraschen mich nicht. Sie sind vielmehr Ausdruck eines Phänomens, das jede Muslimin und jeder Muslim kennt. Muslim*innen machen tagtäglich rassistische Erfahrungen. Diese gehen nicht nur von Rechtsextremen und AfD-Wähler*innen aus, sondern immer wieder auch von Menschen, die ohne jegliche politische Intention verinnerlichte Rassismen im Alltag widerspiegeln.
Zwischen Erschöpfung und Erleichterung
Wer die Demonstrationen aufmerksam beobachtet, wird womöglich feststellen, dass vergleichsweise wenig Menschen mit Migrationsbiografie, People of Colour oder Muslim*innen daran aktiv teilnehmen.
Von Rassismus Betroffene sehen schon lange, dass aktiv etwas gegen Hass, Rassismus und Hetze getan werden muss. Und viele von ihnen tun es schon seit vielen Jahren und unermüdlich: in ihrer Forschung, in ihrem Aktivismus, in ihrer Community-Arbeit, in ihrem politischen Engagement, in ihrer Kunst. Und manchmal wurde ihnen trotz ihrer Bemühungen nicht ausreichend zugehört. Das ist auch kraftraubend. So gesehen erscheint das Aufwachen von Hunderttausenden, die nun auf die Straße gehen, etwas zeitverzögert und ruft bei Betroffenen ein Gefühl hervor, das sich irgendwo zwischen tiefer Erschöpfung und einem tiefen "Endlich!" abspielt.
Aber die derzeitige Stimmung muss genutzt werden: für die echte, harte Arbeit, die jetzt vor uns liegt.
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