"Wild God" von Nick Cave: Bekenntnis an das Leben und die Liebe
Fast zehn Jahre hat Nick Cave geschwiegen. Er habe den Verlust seiner beiden Söhne nicht öffentlich diskutieren wollen. Doch jetzt, mit ausreichend Distanz und vollständig verheilten Narben gibt es ein neues Album namens "Wild God" - ungestümer Gott.
"Wenn man sich unsere Alben vor Augen führt, ist es im Grunde unmöglich, die Bad Seeds auf etwas festzunageln. Und darauf sind wir stolz - selbst, wenn es manche Fans bestimmt bequemer fänden, nicht immer alles radikal überdenken zu müssen. Doch das ist halt unser Ding", sagt der 66-Jährige.
Da ist das 18. Studio-Epos von Nick Cave und seiner Band keine Ausnahme: Es schwelgt in sanften Klavier-Tönen - oder großen, opulenten Orchester-Arrangements mit Streichern, Flöten, Harfen und Chor. Ein Ansatz, der eine echte Überraschung darstellt - genau wie die Produktion, die leicht verzerrt und bewusst grobschlächtig anmutet. Cave nennt es einen "dirty, majestic sound" - einen dreckigen, majestätischen Klang, der den Ansatz des Vorgängers "Ghosteen" von 2019 auf die Spitze treibt.
Schwelgisch-euphorisch und optimistisch
Das Episch-Bombastische geht einher mit Texten, wie man sie von Nick Cave kaum für möglich gehalten hätte: Schwelgerisch-euphorische Bekenntnisse an das Leben und die Liebe, mit einem grenzenlos optimistischen Blick nach vorne. Von Trauer und Frust - nach seinen privaten Tragödien - keine Spur mehr.
Von einer Läuterung will der 66-Jährige nichts wissen. "Ich bin an einem guten Ort: Ich liebe meine Frau, habe tolle Kinder, bin Großvater geworden und fühle mich im Einklang mit der Welt. Aber: Wer weiß, was als nächstes kommt? Und: Es ist nicht meine Art, wer weiß wie fröhlich zu sein. Für mich ist Freude wie ein Frosch; sie springt hoch und hat ekstatische Momente. Doch dann kommt man wieder runter und kehrt zurück zum ursprünglichen Zustand."
Gott als ausgebrannter Superheld im Rentenalter
Zufriedenheit als trügerische Illusion. Realität ist dagegen eine chaotisch-verrückte Welt ohne Empathie, Vernunft oder Moral. Für Cave ein Indiz dafür, dass wir unser Wertesystem und unseren Glauben verloren haben. Oder: Dass Gott uns nicht mehr erreicht. Auf "Wild God" beschreibt er ihn als Superhelden im Rentenalter, der seinen Zenit klar überschritten hat:
"Ich würde gerne sagen, ich hätte Gott getroffen, doch das habe ich nicht. Es ist nur ein Charakter, der mir beim Schreiben der Songs eingefallen ist: ein alter Mann, der durch die Gegend fliegt und nach Bedeutung sucht. Doch: Er ist leer und ausgebrannt - die Menschheit hat sich von ihm abgewandt. Eine gute Metapher für den spirituellen Zustand der Welt."
Triefender Sarkasmus - ein weiteres Stilmittel eines bemerkenswerten Nick-Cave-Albums, das anders, aber auch vertraut wirkt. Es ist die Brücke in eine Zukunft, die genauso spannend werden könnte, wie die letzten 45 Jahre.
Wild God
- Genre:
- Alternative/Indie
- Label:
- PIAS
- Veröffentlichungsdatum:
- 30. August 2024
- Preis:
- 17,99 €