Wie Acid-Musik Brücken schlägt - nicht nur nach Anatolien
Elektronische Musik, Anatolien, ein syrisch-stämmiges Künstlerkollektiv und ein Karoviertel-Club - das klingt nach einer wilden Mischung, und das soll es auch. Denn das Acid Anatolia Fest im Knust will Stereotype brechen und Brücken schlagen. Der Filmemacher Fatih Akin wird gemeinsam mit DJ Plazebo auflegen.
Osama Horani ist in diesem Sommer schwer zu erreichen: Dockville, das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel, Veranstaltungen im Thalia und jetzt am 6. September dasAcid Anatolia Fest #1 im Knust. Zusammen mit Hanadi Chawaf hat der 33-Jährige das Künstlerkollektiv Diarfest ins Leben gerufen. Gemeinsam mit dem Knust lädt es nun zu dem Festival am Lattenplatz ein, mit Live-Acts und DJ-Sets. Der musikalische Schwerpunkt: Anatolien und die SWANA-Region, also South West Asia und North Africa - und das alles im Knust zwischen Schanze und St. Pauli.
Veränderung vom Fest für Freunde zur Veranstaltungsreihe
"Hanadi und ich haben uns vor gut zwei Jahren zufällig kennengelernt und dachten, dass wir bei einem Hoffest unsere Freunde bei Musik und Essen aus unserer Heimat zusammenkommen lassen", erzählt Osama, der 2015 als Flüchtling aus Syrien gekommen ist. Aus den rund 40 eingeladenen Freunden wurden schnell 100, die Feste etablierten sich. Irgendwann luden Hanadi und Osama auch Künstler und Künstlerinnen ein.
"Diar heißt auf arabisch Heimat und wir versuchen mit unserer Veranstaltungsreihe ein bisschen Heimat nach Hamburg zu bringen, wo wir ja auch eine neue Heimat gefunden haben", erzählt Osama an einem sonnigen Tag auf dem Lattenplatz.
Keine geografischen und keine kulturellen Grenzen
Für ihn und Hanadi sind dabei die Grenzen nicht so eng gesteckt, wie in manchen Köpfen. "Syrien und die Türkei grenzen aneinander. In Nordsyrien gibt es viele Menschen, die Türkisch sprechen, in Anatolien Arabisch, die Sprachen weiten sich teils bis nach Griechenland aus", sagt Hanadi Chawaf, die in Damaskus zur Welt kam, zeitweise in den USA, seit 2008 in Hamburg lebt. "Die politischen Grenzen von heute gab es vor 100 Jahren nicht, die Menschen haben einfach zusammengelebt. Das ist das Tolle", ergänzt Osama.
Mit ihren Diarfesten - insgesamt gab es schon zwölf in unterschiedlichen Locations - wollen sie die verschiedenen Communities zusammenbringen und immer wieder neue gewinnen - über die Musik. Das ist auch ein Ansatz, den das Knust seit einigen Jahren verfolgt. Schon vor fünf Jahren veranstaltete der Musikclub sein erstes türkisches Konzert mit Gaye Su Akyol, einer Künstlerin, die nahöstliche Volksmusik mit Elektro verbindet und eine wichtige Stimme der LGBTQI+-Community ist. Bei Acid Anatolia Fest wird sie die Headlinerin sein.
Türkische und arabische Musik im Knust
Die Knust-Reihe "Acid-Anatolia" ist erst einige Jahre später entstanden - aber schon mit einer ähnlichen Ausrichtung wie bei dem Festival. "Wir wollten neue Communities ansprechen und auch ins Knust holen", erzählt Knust-Booker Tim Peterding. Schon seit Jahren konzentriere sich der Club auf elektronische und psychedelische Musik aus dem arabischen und eben türkischen Raum. "Es gibt eine türkische Community, die in zweiter oder dritter Generation hier lebt, die vielleicht nicht das Bedürfnis habe, in den türkischen Kulturverein zu gehen, sondern die Kultur der Eltern mit der westlichen Clubkultur zu verbinden", erklärt er weiter.
Fatih Akin mit DJ Pazebo an den Turntables
Das Festival nun wird eine Nummer größer als die einzelnen Konzerte. Um 17 Uhr gehen die Tore am Lattenplatz auf, idyllisch, chillig soll es werden. Im Saal geht es dann mit Multiinstrumentalisten Deniz Mahir Kartal und DJane Gaye Su Akyol weiter. Ab 22 Uhr startet die Party mit unterschiedlichen DJ-Sets, darunter Hiba Salameh, einer palästinensischen Künstlerin aus Haifa. Ein Gast aus Hamburg hat sich angesagt: Der Filmemacher Fatih Akin wird als Radyo Bombero gemeinsam mit DJ Plazebo auflegen.
"Unser Ziel ist es Menschen zusammenzukommen, Spaß zu haben und das mit guter Musik und so auch Brücken zu bauen", sagt Tim Peterding. Das sei die nachhaltigste Form des respektvollen Zusammenlebens und baue Vorurteile ab. "Nach einem Konzert kam mal ein Besucher zu uns, der gesagt hat: 'Dass Ihr uns einen Raum gebt, ist so wichtig, wie jede Demo", meint er.
So wünschen sich Osama, Hanadi und Tim ein aufgeschlossenes Publikum. "Welcome all sizes, all colors, all cultiures, all genders, all beliefs, all ages, all types, all sexes, all people, loves lives here!" steht auf einen Schild, das bei jedem Diarfest am Eingang steht. Sie werden es an den Eingang des Knust stellen.