DJ Ipek: Pionierin queerorientalischer Ethno-Elektro-Beats
DJ Ipek İpekçioğlu war am Sonnabend in Hamburg. Die türkischstämmige, politisch engagierte, queer lebende Produzentin und Kuratorin eröffnet mit ihrer Musik kulturübergreifende Begegnungsräume.
Marokko, Schweden, Mexiko, Spanien, China: Die Liste von Ländern, in denen Ipek Ipekcioglu bereits aufgetreten ist, ließe sich erheblich verlängern. Die 51-Jährige ist gefragt als Kuratorin, DJ und Produzentin. Vergangene Woche kuratierte sie ein Festival in Berlin, bei dem mehr als zweitausend Gäste aller Altersklassen und Geschlechter diskutierten und feierten. Zwischen ihrem zweiten und dritten Auftritt an diesem Wochenende liegen gerade vier Stunden Schlaf und unser Interview. "Ich bin ein Energiebündel", verrät die bekannte Größe der Berliner Clubszene.
Außerdem habe sie einen gewissen Nachholbedarf zu stillen: "Ich glaube, ich bin post-Pandemie-geschädigt." Sie lacht. "Das war eine Zwangspause für mich. Ich bin so froh, dass ich wieder voll auflegen kann." Auf dem Istanbul Music Festival legte sie am Sonnabend mit ihren befreudeten Kollegen, dem Multiinstrumentalisten Deniz Mahir Kartal und dem in Schweden ansässigen Sänger Hakan Vreskala, in Hamburg auf. Das klingt nach einem Jetset-Leben und nach einem Loft in Kreuzberg. Zweiteres stimmt jedoch nicht, weiß die Akademikerin: "Mit Ethno-Musik verdienst du nicht viel Geld, leider. Wer diese Musik macht, der tut es aus Überzeugung und aus Liebe."
Und diese Liebe teilt sie mit Vreskala und Kartal. Die drei MusikerInnen eint ihre türkische Herkunft und so unterweisen sie sich beim Soundcheck auf der Bühne in ihrer Muttersprache. Zu dritt performen sie einen Mix aus traditionellen türkischen Instrumenten, orientalischem Gesang und Elektro-Beats namens "Eklektik Berlinistan".
Ausgezeichnet: Eklektik Berlinistan
Mit ihrer Musik eröffnet die Berlinerin transkulturelle Begegnungsräume. Mehrfach erhielt sie Auszeichnungen für ihre kulturverbindende Arbeit. Das schwedische Homosexuellen-Magazin QX kürte sie zur "hippsten DJ Europas". 2005 gewann sie die World Beat DJ Competition in London. Und das Berliner Stadtmagazin "Zitty" ehrte sie als eine der "wichtigsten kulturellen Persönlichkeiten der Hauptstadt". Sie habe die Arbeit nicht der Auszeichnungen wegen gemacht, erklärt die Queer-Aktivistin. Aber es sei eine schöne Bestätigung. Den Stil aus multikulturellen Ethnoklängen und Elektro nennt İpekçioğlu Eklektik Berlinistan. "Eklektik bedeutet durcheinander, klingt auch fast wie Hektik. Und da ich mich manchmal bei meiner Musik fühle, als wären da 2.000 Umdrehungen pro Minute, passt das ganz gut."
"Berlinistan" sei eine Zusammensetzung aus Berlin, die Stadt in der sie aufgewachsen ist, und Istanbul, wo ihre Familie lebt, und somit auch ein Stück weit autobiografisch gemeint. Eingeschult in Izmir, und seit 1982 in Berlin ansässig, prägen beide Städte ihre künstlerische Entwicklung. "Aus Berlin kommt das ganze Elektronische, der Punk das politisch Resistente, das Prollige und Preußische. Istanbul ist nicht nur türkeistämmig, sondern kulturell auch sehr vielfältig." Berlin und Istanbul seien "ein Meer voller Möglichkeiten", aus denen sie schöpfe. In ihrer Musik verschwimmen diese Kulturen. Und deren Grenzübergänge machen die Spannung aus. Als Weltreisender steht İpekçioğlu ein breites Potpourri an Einflüssen zur Verfügung, das ihren Musikstil prägt. Dabei bewegt sich DJ Ipek auf einem Grat zwischen traditioneller und elektronischer Musik: Ethno-Elektro.
"Ich versuche, mit Musik eine gemeinsame Sprache herzustellen"
Die Zusammenfassung ihrer letzten Woche: Drei Tage auflegen, zwei Tage Pause, drei Tage auflegen: "Ich liebe meinen Job." Als DJ hat Ipek İpekçioğlu einen Weg gefunden, Menschen unabhängig von persönlichen Voraussetzungen grenzüberschreitend zusammenzubringen. Nach Abschluss ihres sozialpädagogischen Studiums 1997 arbeitete sie im Bereich Kinder-, Jugend- und Frauenarbeit, war auch in leitenden Positionen tätig. Eine "kreative Pause", in der sie sich ausschließlich der Musik widme, halte bis heute an. Das pädagogische Bewusstsein und ihr politisches Anliegen begleiten sie auch auf der Bühne:
"Die Musik hat die Möglichkeit, alle Menschen über ihren religiösen oder kulturellen Backround hinaus anzusprechen. Das ist die Kraft der Musik. Und das ist meine Plattform, auf der ich mich austobe. Sei es politisch, spaßmäßig, sozialkritisch, sei es einfach nur da sein und tanzen. Lachen, weinen, Schmerzen empfinden, Freude, Wut. All das kannst du über Musik steuern. Und wenn ich auflege, teile ich etwas mit den Menschen. Ich versuche über die Musik, eine gemeinsame Sprache mit ihnen herzustellen. Oft klappt es sehr gut."
"Ich bin DJ geworden, weil ich lesbische Türkin bin"
Seit 23 Jahren kann die ausgezeichnete Produzentin vom Plattenauflegen leben. Und das werde sie machen, solange die Leute sie mögen und sie gebucht werde, prognostiziert die Deutsch-Türkin. War dieser Beruf ein Kindheitstraum? "Als ich ein kleines Kind war, wollte ich Psychologin, Juristin oder Polizistin werden." Sozialpädagogin ist sie dann geworden. Während des Studiums gelangte sie zufällig zur Musik: "Da bin ich so reingerutscht. Ich wollte nie Musikerin werden. Habe nie ein Instrument gespielt." Dann erhielt sie ein Angebot. Das war 1994, kurz vor dem Heiligen Abend: "Bist du türkisch? Bist du lesbisch? Kannst du bei unserer ersten queeroriental Party auflegen? Wir haben keinen DJ", fragte sie ein Berliner Clubbetreiber. Das hatte sie bis dahin nie gemacht. "Keine Ahnung, wie ich das damals bei meinem ersten Mal hinbekommen habe“, erinnert sich die Queer-Aktivistin schmunzelnd. Mit der Zeit habe sich herumgesprochen, dass "da ein türkisches Mädel ist, die spielt Türkisch, Kurdisch, Arabisch, Griechisch, Lateinisch, alles Mögliche. Und so wurde ich dann von Hand zu Hand gereicht. Bei irgendwelchen Themenpartys. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch niemand anderes in der LGBTQ-Szene, die Ethno-DJ war." Mittlerwiele ist Ipek İpekçioğlu mit ihrem eigenen Stil in vielen Ländern der Welt bekannt.
"Irgendwie hat sich herumgesprochen, dass ich eine andere Mucke mache als viele andere. Auch, dass ich viel Musik mache von Menschen, die hier leben mit unterschiedlichen cultural Backrounds. Ich verbinde das Elektronische mit dem Traditionellen. Ich liebe traditionelle Musik. Ich liebe Bellydance-Shakashakamusik aus verschiedenen Kulturen. Das entspricht alles meiner Person.
"Sie ist eine ganz eigene Hausnummer"
Ata Anat ist Initiator des Istanbul Music Festivals, das am 2. September stattfand. "Es fehlt in Hamburg an der Sichtbarkeit der türkischsprachigen Musik", findet der Gründer des gemeinnützigen Vereins "Rap for Refugees", der seine Projekte ehrenamtlich organisiert. Seiner Meinung nach werden Auftritte guter Bands aus der Türkei hierzulande als exotisch wahrgenommen. "Sie erreichen nicht den Mainstream und touren dann in kleineren Clubs durch die Bundesrepublik. Mit dem Festival möchte ich die Vielfalt Istanbuler Musik abbilden." Dazu hat er neben DJ Ipek den Singer Songwriter ZEYN'EL aus Ankara, die dreiköpfige Band Sufle, Nilipeg aus Istanbul und auch die Jazzpianistin Eda And eingeladen. Ein breites Spektrum. Mit Ipek ist Ata Anat bereits seit einigen Jahren befreundet, erzählt der Hamburger. Als Künstlerin sei sie "eine ganz eigene Hausnummer". Auch wenn er als Festival-Veranstalter kein politisches Statement abgeben wolle, so schätzt Anat Ipek İpekçioğlus politische Aussagekraft. "Durch das Line Up setzen wir schon ein Statement und mit all dem, was sie mitbringt, ist Ipek genau die richtige Künstlerin für uns."
"Ich möchte den Menschen eine Freude machen"
Ihre Musik verfolgt DJ Ipek mit Verantwortungsbewusstsein und großem Respekt gegenüber ihrem Publikum. Wenn sie auftritt, ist sie Gastgeberin und schafft den Gästen vom Pult aus einen Raum der persönlichen Freiheit. Durch ihr soziales Engagement und ihre Musik hat sie sich ein breites Netzwerk aufgebaut. Auch im Auftrag des Goethe-Instituts unternahm sie einige berufliche Reisen. Die Berlinerin, die, "gäbe es Berlin nicht", in Hamburg leben würde, verfolgt eine Vision und möchte vor allem eines: niemanden ausgrenzen! So begreift sie ihre Musik auch als Auftrag, Menschen Gutes zu tun:
"Im Alltag erleben viele genug belastende Situationen, gerade Menschen, die Rassismus erleben, Homophobie ausgesetzt sind oder einfach Stress mit ihrem Partner oder Chef haben. Und dann nehmen die sich Zeit, um sich zu amüsieren, um sich etwas Gutes zu tun. Das ist die Zeit, die ich dann mit dir verbringe. Und daher kommt der große Respekt, den ich gegenüber meinem Publikum habe. Und ich bin immer aufgeregt - ob 3 oder 30.000 Menschen dort sind."
Trotz ihres politischen Anliegens, lehnte die Künstlerin Anfragen ab, sich einer Partei zuzuordnen. Ihre Musik empfindet sie als bestmögliche Bühne, politischen Einfluss nehmen zu können. So reagiert sie bewusst auf Katastrophen. "Passiert ein Erdbeben oder ein terroristischer Angriff, ein Krieg, dann produziere ich Musik." Mit Esther Dischereit veranstaltet sie Lesungen aus dem Buch "Blumen für Otello" über die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds.
Von der Roten Flora zur Elphi
"Wenn ich nicht in Berlin leben würde, wäre Hamburg meine erste Wahl. Ich bin gern hier", berichtet die gebürtige Münchnerin. Musikalisch verschlug es sie immer mal wieder in die Hansestadt. An ihre Anfänge in der "Roten Flora" erinnert sie sich gut. Viermal hat sie in den 1990er-Jahren und Anfang der 2000er dort aufgelegt:
"Als ich zum ersten Mal in der Roten Flora angefragt wurde, wusste ich nicht, was auf mich zukommt. Und dann sah ich dieses brache Gebäude und wurde dann innen von coolen Partys überrascht, von queeren Antifa-Partys. Die Stimmung entspricht voll meinem Stil: Punk, Underground. Ich mochte das sehr. Und ich wurde sehr, sehr traurig als ich mitbekam, dass die Rote Flora geschlossen wurde."
2017 dann verschlug es sie ans andere kulturelle Ende der Stadt. Im Rahmen des Elbphilharmonie Festivals "Salām Syria" sprang sie spontan für einen Kollegen ein. İpek İpekçioğlu versteht sich darauf, zwischen Welten zu reisen.