Reeperbahn Festival 2024: Ski Aggu und viele funkelnde Musikideen
Groovige Elektrofolklore, Chanson mit analogen Synthesizern, portugiesischer Folk durch den Sampler gedreht oder schwebende, beatbasierte Tanzmusik: Bis zum Sonnabend begeistert das Reeperbahn Festival mit allen Facetten der Popmusik. Als Secret Act wurde Ski Aggu enthüllt.
50.000 Besucherinnen und Besucher werden in den Clubs rund um den Kiez bei dem viertägigen Festival erwartet. Stilistisch reicht es von Pop über Heavy Metal bis zu Singer-Songwritern. Tagestickets gibt es ab 59 Euro.
Das Reeperbahn Festival ist ein wichtiger Branchentreff der internationalen Kreativwirtschaft. In den nächsten Tagen wird es dabei um Themen wie den Einsatz von KI in der Musik, faire Bezahlung im Streaming oder die wirtschaftlich heikle Situation von Clubs und Festivals im Allgemeinen gehen.
Kultursenator Carsten Brosda: "Livemusik-Clubs als wichtige Kulturorte schützen"
Schon zum 19. Mal lädt das größte Clubfestival Europas nach Hamburg. Gefördert wird es vom Bund und der Stadt. Kultursenator Carsten Brosda (SPD) sagte zum Auftakt: "Das Herz des Festivals, bei aller Wichtigkeit der Branchentreffpunkte, sind aber die zahlreichen Clubkonzerte, die in dieser Dichte nur rund um die Reeperbahn möglich sind." Sie machten spürbar, wie besonders Livemusik-Erlebnisse seien, so Brosda. "Deshalb setzen wir uns als Stadt weiterhin dafür ein, über das Festival hinaus die Livemusik-Clubs als wichtige Kulturorte zu schützen."
Ski "Friesenjung" Aggu präsentiert sein neues Album
Nachdem in Hamburg 2022 Kraftklub und Bill Kaulitz mit einem Auftritt überraschten und im vergangenen Jahr die Berliner Hip-Hopper K.I.Z. auf dem Reeperbahnfestival einen Secret Gig spielten, hat die Festivalleitung am Montag bekannt gegeben, dass Ski Aggu beim Reeperbahn Festival 2024 als Secret Act dabei sein wird. 2023 stürmte der Rapper mit einer Techno-Version von "Friesenjung" die Charts. Ski Aggu verbindet Rap, Indie-Sounds und ironische Texte. Im Docks am Spielbudenplatz wird er am Festivaldonnerstag sein neues Album "Wilmersdorfer Kind" präsentieren.
Französin Zaho de Sagazan: Zwischen Chanson und Krautrock
Es gibt Künstlerinnen, die eine enorme Aura auf die Bühne bringen, die einen Sog entwickeln, dem man sich nicht entziehen kann. Zaho de Sagazan gehört zu jenen Ausnahmen. Keiner Musikerin gelang es seit Carla Bruni oder Benjamin Biolay, den ehrwürdigen französischen Chanson derart umzupflügen und zu modernisieren. Dabei wählt Zaho de Sagazan, ganz aktuell popkulturell, das Nostalgische, um eine neue Position zu schaffen: Analoge Synthesizer sind die Basis ihres Sounds, deutsche Bands des Krautrocks der 70er-Jahre und Kraftwerk.
Einer ihrer Hits: ein Cover von "99 Luftballons". Zaho de Sagazan veröffentlichte ihr Debütalbum erst 2023. Nur wenige erreichten vor ihr schneller den europäischen Musikhimmel. Auf dem Reeperbahn Festival ist sie am Freitag, 20. September ab 23.15 Uhr im Gruenspan zu erleben.
Dominique Fils-Aimé: Schillernder R'n'B mit doppeltem Boden
Unter welchen sozialen Rahmenbedingungen sind Musikgenre wie Blues, Jazz und Soul entstanden? Was erzählen sie über unsere Gesellschaften? Die Kanadierin Dominique Fils-Aimé geht mit ihren Songs diesen großen Fragen nach.
Ihre Alben haben immer einen theoretischen Doppelboden. Sie befasste sich auf ihrem Debütalbum "Nameless" mit der Geschichte des Blues, oder dem Echo der schwarzen Bürgerrechtsbewegung auf "Stay Tuned!". Mit fantasievollen, schillernden Arrangements und einer hypnotischen Stimme bringt Fils-Aimé diese Botschaften so formvollendet auf die Bühne, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Am 19. September ab 18.30 Uhr gibt sie ein Konzert im Bahnhof Pauli.
Digitale Volksmusik von Ana Lua Caiano
Die tristen Pandemiezeiten wurden für die junge Portugiesin Ana Lua Caiano ein kreativer Höhenflug. Nicht wie üblich in Jazz-Sessions oder mit ihren Bands spielen zu können, zwang sie, ihre Musik neu zu denken. Die Pianistin Ana Lua Caiano begann selbst zu produzieren, zu sampeln, zu singen.
Ihr wurde klar, dass die Musik ihrer Kindheit, ihre Liebe zum Jazz und der Pop unserer Zeiten keine getrennten Welten sein müssen. So entstand diese unverschämt groovende Elektrofolklore, in der Flöten, Trommeln, Dudelsäcke und Synthesizer sich treffen. Ein funkelndes Kaleidoskop von Musikideen. Sie spielt am 18. September um 23.40 Uhr im Imperial Theater.
Virtuoses, unterhaltsames Klischeetheater: Bulgarian Cartrader
"Ich glaube, dass der Westen eine Fantasie hat, wie der Balkan ist", sagt Daniel Stoyanov, der sich "Bulgarian Cartrader" nennt. Er ist in Sofia geboren, aufgewachsen in Süddeutschland und lebt in Berlin. Schon sein Künstlername spielt mit Klischees und Zuschreibungen, reflektiert die Hirngespinste eines wilden Ostens, wie man ihn aus Filmen und Witzen kennt. Dieses Rollenspiel ist intelligent und auf der Bühne immens unterhaltsam.
Dazu liefert der Cartrader Musik, die vor Ideen sprüht und sich stilistisch kaum fassen lässt. Mal Lieder zur Gitarre, mal abstrakte elektronische Szenen, mal Lo-Fi Grooves - ein sich ständig wandelnder Farbstrom. Die Figur des prolligen Gangsters steht wunderbar im Kontrast dazu. Am 21. September spielt er im Bahnhof Pauli um 20 Uhr.
Streicherhouse mit Bässen aus Brokat: Kiasmos
Die edeldunklen Unendlichkeitsklänge des Ólafur Arnalds aus Island und die minimalistischen Beats von Janus Rasmussen, der auf den Färöer Inseln lebt: Als diese beiden Pole 2009 das erste Mal zusammenkamen, war das wie eine Kernschmelze. Mit ihrem Debüt von 2014 haben Kiasmos, wie sich das Duo nennt, ihr eigenes Kapitel in der Geschichte der elektronischen Musik geschrieben. Niemand vorher schuf beatbasierte Tanzmusik, die dabei so ruhig, so schwebend wirkt und die Sinne eintauchen lässt.
Streicher, Glocken und edle Klaviere montiert auf Bässen aus Brokat. Mit ihrem neuen Album "II" konnten Kiasmos dieses Rezept nicht neu erfinden, das Eintauchen in ihre Musik ist aber immer noch betörend. Sie werden am 21. September auf dem Reeperbahn Festival zu hören sein.