"Jugend musiziert": Wenn singen beim Überleben hilft
Am Rendsburger Nordkolleg läuft der Landeswettbewerb "Jugend musiziert". Dort war dieses Jahr unter anderem die Kategorie "Gesang Pop" ausgeschrieben. Einen Teilnehmer, den 19-jährigen Mai Quejada aus Lübeck, haben wir begleitet.
Zwei Stunden vor seinem Vorsingen sitzt Mai noch zusammengekauert auf seinem Stuhl vor dem Schreibtisch auf seinem Zimmer. Er ist schon einen Tag früher mit dem Zug von Lübeck nach Rendsburg gefahren - alleine. Er hat bei den Vorbereitungen für den Landeswettbewerb geholfen und auch hier übernachtet. Zudem hat er die Zeit genutzt, um in sich hineinzufühlen. Auch jetzt tut er das, was sich für ihn richtig anfühlt.
Mai Quejada: Als Kind misshandelt und traumatisiert
Klassisches Einsingen mag er nicht, das ist ihm zu technisch. Stattdessen hört Mai Musik, singt mit, schreibt Gedanken, Pläne und Ziele in sein Notizbuch - alles gleichzeitig. "Ich habe mich nie bewusst dafür entschieden zu musizieren. Es ist irgendwie ein Teil von mir und das muss raus und ich kann nicht ganz Ich sein ohne Musik", erzählt Mai.
Er ist Autist und hat ADHS. Ob Musik ihn beruhigt, kann er nicht sagen - aber keine zu machen, das wäre beunruhigend für den 19-Jährigen, denn die Musik hilft ihm zu verarbeiten, was er erlebt hat: "Die Songs, die ich geschrieben habe, in denen geht es um meine Mutter. Sie hat mich ganz lange misshandelt. Ich war bei ihr überhaupt nicht sicher. Sie hat sich monatelang geweigert, mir Essen zu machen. Während andere überlegen konnten: 'Ich brauche 'ne neue Hose', war ich eher so: 'Wie kriege ich es hin, dass ich diese Woche irgendwo was zu Essen bekomme - mit gut 14 Jahren." Ein Trauma, das er, wie er sagt, gerade erst verarbeitet hat.
Autodidakt mit viel Gefühl und Gefühlen
Seit einigen Jahren lebt er in einer staatlich geförderten Kinder- und Jugendwohngruppe. Es geht ihm immer besser. Eigentlich etwas Gutes, doch für das Programm, das er vorbereitet hat, muss er wieder eintauchen in die Zeit, als er Musik zum Überleben brauchte, erzählt er: "In meinem Kopf ist nicht mehr so krass viel los und zu verarbeiten, dass es sich unbedingt rauszwingen will. Aber das ist halt die Methode, wie ich vorher immer die Musik geschrieben habe. Ich hab sie nicht geschrieben. Ich habe nicht gedacht: Okay, wie könnte es gut klingen? Sie war einfach da."
Beim Landesentscheid ist er gleich dran. Schnell die Ukulele, Kopfhörer und Handy einpacken, dann muss er los zum Soundcheck. Er hat sich fast alles selbst beigebracht. Gesangsunterricht war bis vor Kurzem nicht drin - aber ein erster Platz beim Regionalwettbewerb in Lübeck. Aufgeregt ist er so gut wie nie. Vielleicht, weil er sich auf der Bühne mehr als sonstwo zuhause fühlt. Nur einmal, beim letzten Landeswettbewerb, hatte er einen Blackout und eine Panikattacke.
Wunsch: Professionell Musik machen
Gut 15 Minuten und vier Songs hat Mai Zeit, um die Jury von sich zu überzeugen. Ein Lied ist a cappella, eins ist selbst geschrieben, so ist das in dieser Altersgruppe Pflicht. Mai hat gleich zwei eigene Songs gesungen. "Ich glaube, es ist ganz gut gelaufen - oder auch nicht. Ich weiß es nicht, ganz ehrlich", sagt der 19-Jährige. "Ich hatte mehrere Voice-Cracks, weil ich zu viel gefühlt habe, aber das ist besser als zu wenig zu fühlen und Perfektion in der Technik."
Es würde Mai helfen auch hier weiterzukommen - zum Bundeswettbewerb, denn um noch professioneller Musik machen zu können, braucht er ein Stipendium. Am Ende sind es 23 Punkte. Ein erster Preis, aber leider keine Nominierung für den Bundeswettbewerb.
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