Wie darf/kann/soll das Publikum eine Aufführung stören?
Einige Zuschauer beschwerten sich bei der Premiere von "Il tritico" an der Hamburgischen Staatsoper lautstark mit Zwischenrufen, andere fühlten sich davon gestört. Wie äußert ein Publikum angemessen Kritik?
Premierenabend an der Hamburgischen Staatsoper; auf dem Programm: "Il trittico" von Giacomo Puccini, ein Triptychon aus drei kleinen Opern, die von der Handlung her nichts miteinander zu tun haben. Der Regisseur Axel Ranisch hat die drei Stücke miteinander verbunden.
Das gefiel hörbar nicht allen im Publikum. Einige Premierenbesucher riefen lautstark "Aufhören" oder "Wir sind hier in der Oper", um so ihrem Missfallen Ausdruck zu geben. Ist das eine angemessene Form der Kritik? Und wie reagieren Sie, wenn Ihnen eine Aufführung nicht gefällt? Das wollten wir von Ihnen wissen: Gehören Sie zur Gruppe der Pfeifer und Zwischenrufer? Oder schleichen Sie leise raus? Applaudieren Sie höflich, auch wenn es Ihnen nicht gefällt? Hier sind Ihre Antworten:
NDR Redakteur Daniel Kaiser war bei der umstrittenen "Il trittico"-Premiere in Hamburg dabei. Wie hat er den Abend wahrgenommen?
Daniel Kaiser: Ich fand, das war ein guter Abend. Am Anfang habe ich auch ein bisschen mit dieser Regie-Idee gefremdelt, dass man die drei Mini-Opern, die nichts miteinander zu tun haben, kontextualisiert und unter ein Dach bringt. Aber ich fand das am Ende super und auch die meisten Menschen, die ich gesprochen habe, fanden den Abend toll. Aber eben nicht alle.
Es gab nicht nur Buhs am Ende, sondern auch zwischendurch scharfe Kommentare. Was haben die genau gesagt?
Kaiser: Die sagten: "Aufhören, das ist ja wie eine Generalprobe, das ist hier eine Oper." Der Regie-Move von Axel Ranisch war: Er hat Filme zwischen die Opern Gesetz, die die Handlung neu kontextualisieren und die Opern neu beleuchten. Für diese Videos, für diese Rahmenhandlung hat er Promis aus der Filmwelt gewonnen - Gustav Peter Wöhler, Tom Tykwer, Devid Striesow, Rosa von Praunheim. Diese Videos haben sehr lange gedauert. Es gab wenig Musik, viel Video und einige im Publikum hatten wirklich eine kurze Zündschnur. Es war an einem Punkt nach der Pause, dass ich dachte, als wieder Videos kamen: Jetzt kippt das Ganze. Das war nicht witzig. Das war nicht verspielt. Das war aggressiv und wollte stören.
Der Anlass einer langen Diskussion in der Redaktionskonferenz von NDR Kultur war, dass es eine Gruppe gab, die sagte: Wieso, das ist doch toll, wenn in der Oper so viel Lebendigkeit ist und die Leute ihre Unmutsbekundungen ruhig laut äußern. Die anderen sagten: Nein, Zwischenrufen ist ein bisschen viel. Wie siehst du das?
Kaiser: Es kommt immer darauf an, immer mit Augenmaß. Es gibt Stücke, die wollen provozieren, die locken und die legen es darauf an, dass man reagiert. Das war hier nicht so. Da wurde kein Hitlergruß auf der Bühne gezeigt oder dergleichen, sondern es geht hier um ein ästhetisches Konzept. Die Leute saßen da und haben gesagt: Ach, das gefällt mir nicht - und sagen gleich laut Buh. Das heißt, sie äußern sich sofort, nach dem Motto: Ich habe das Recht dazu, ich habe mir eine Eintrittskarte gekauft. Ganz die respektvolle, feine Art ist das nicht. Es haben wirklich einige gestört und die haben den Abend gekapert. Die meisten, die ich gesprochen habe, fanden den Abend super.
Ich finde schon, dass das gerade in der Hamburgischen Staatsoper, in der ich oft bin, zugenommen hat - eine Dünnhäutigkeit und auch eine Verrohung im Umgang miteinander. Es gibt im Publikum der Staatsoper Hamburg einen Resonanzraum der Kritik an der gegenwärtigen Leitung des Hauses. Da gibt es dieses Narrativ: Die versemmeln jede Inszenierung. Man muss ganz klar sagen: Das ist natürlich Unsinn. Aber es gibt dieses Narrativ, in dem man sich bestärkt und gegenseitig befeuert. Das war bei dieser Premiere, glaube ich, eine Eruption dieser Mentalität.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.