Tetzlaff über Absage seiner US-Tour: "Stillsein ist keine Option"
Der Hamburger Geiger Christian Tetzlaff hat an diesem Wochenende sämtliche Konzerte in den USA abgesagt. Er habe sich gefühlt wie ein Kind, das einen Horrorfilm sieht - so zitierte ihn am Wochenende die renommierte "New York Times".
Im Interview mit NDR Kultur spricht Christian Tetzlaff über seine Beweggründe, diesen Schritt zu gehen. Er habe aber keine andere Möglichkeit mehr gesehen - auch für die Zukunft nicht, so der Musiker am Donnerstag im Gespräch. In den sieben Wochen von Donald Trumps zweiter Amtstzei sei "alles um hundert Jahre zurückgedreht worden". Europa werde "entsetzlich angegriffen." Das bedeute auch für Deutschland, die "Zeit der Unschuld" sei leider vorbei. In den USA herrsche aber absolute Stille - bei Musikern, bei Orchestern, selbst bei Politikern - und der Mangel an Mitgefühl für leidende Leute sei "erschütternd".
Herr Tetzlaff, Sie haben mit sich gerungen, oder? Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?
Christian Tetzlaff: Ich habe fürchterlich mit mir gerungen, denn Amerika war eigentlich immer mein Hauptspielfeld. Ich habe jedes Jahr mindestens 20 Konzerte in Amerika und habe viele Kontakte, Freunde, Organisatoren und Räume, in denen ich wahnsinnig gern spiele. Ich habe aber für mich keine andere Möglichkeit mehr gesehen, auch für die Zukunft nicht. Wenn es etwas ist, was die Situation für die Amerikaner thematisiert, die unter der Politik leiden, dann kann ich mir vorstellen, ein Konzert zu spielen, aber als Unterhaltungsprogramm im Moment nicht.
Viele von uns spüren Trauer über das Verlorene und Wut und Mitleid, aber all diese Dinge sind auf die Dauer weder zielführend noch gut für uns. Für mich ist der Grund, dass ich absage, weil in Amerika absolute Stille herrscht, bei Musikern, bei Orchestern, selbst bei Politikern. Wir würden alle erwarten, dass jetzt Millionen auf der Straße sind, denn es wird alles abgeschafft, wofür Amerika stand. Es werden Frauenrechte abgeschafft, es werden Gleichberechtigungs-Themen vollkommen gecancelt. Heute ist das Bildungsministerium aufgelöst worden, und 45.000 Menschen sollen entlassen werden. Die Liste ist endlos, aber keiner kommentiert es. Ich habe mit amerikanischen Musikern gesprochen, und viele finden es auch furchtbar.
Das sind jetzt vier Jahre - und in den ersten sieben Wochen ist alles um hundert Jahre zurückgedreht worden. Jetzt wäre die Zeit, etwas zu sagen. Ich bin nie ein Politiker gewesen, und ich bin überhaupt nicht in der Position über irgendwas zu belehren, aber ich weiß für mich persönlich, dass ich das machen muss, weil uns das alle betrifft. Europa wird entsetzlich angegriffen; die Tatsache, dass die Umweltzerstörung mit einem Lächeln bewusst gefördert wird, betrifft nicht nur die Amerikaner, sondern auch mich, meine Kinder und vor allem meine Enkelkinder. Deswegen ist Stillsein keine Option. Allein für mein Seelenheil möchte ich jetzt für ein paar Gruppen in Amerika aufstehen.
Was mich besonders entsetzt hat: Es sind Zehntausende von Familien, die mit einer E-Mail "You are fired" gekündigt wurden, die ganz normal für Amerika gearbeitet haben, in teilweise wunderbaren Positionen. Die Freude, die in öffentlichen Kundgebung bei einem Großteil des Publikums darüber herrscht, dass man diese Leute entlassen hat, und der Stolz darauf, alles zu machen, was man geplant hat, ist so widerlich und erschütternd. Der Mangel an Mitgefühl für die Leute, die jetzt leiden, ist so erstaunlich, dass ich keine andere Wahl gesehen habe.
Was ich dazu bei uns in Deutschland sagen möchte: Die Zeit der Unschuld ist leider vorbei. Wir erwägen aufzurüsten - das ist für mich entsetzlich, aber bestimmt im Moment die einzige Möglichkeit. Aber was wir selber zum Beispiel tun können, ist: keine Teslas kaufen, "Amazon" nicht benutzen, "Facebook" meiden. All dieses, was wir im Leben so einfach mitgenommen haben, muss leider auf den Prüfstand, damit wir das, was man noch tun kann, für unser eigenes Gefühl getan haben. Wir sehen, was passiert, wenn man unsere Werte durch Geld ersetzt: Dann kommen wir Schwierigkeiten.
Im Grunde haben Sie alle Fragen, die ich dazwischen hätte stellen können, beantwortet, weil es aus Ihnen raus muss, und weil sie offensichtlich so verärgert sind...
Tetzlaff: Geärgert ist leider schon das falsche Wort. Es ist so entsetzlich, weil es unser aller Leben plötzlich so stark beeinflusst. Ich muss doch auf die Ukraine zurückkommen: Denn dass die jetzt nicht mehr über die Truppenbewegungen von Russland informiert werden, bedeutet, dass aufgrund dieser kleinen persönlichen Entscheidung jeden Tag Tausende von Soldaten sterben werden. Wir müssen etwas tun. Als Privatpersonen können wir humanitäre Spenden an die Ukraine geben.
Was können Sie musikalisch tun, doch noch in Amerika zu spielen? Was würden Sie sich auch von anderen Musikerinnen und Musikern wünschen?
Tetzlaff: Ich würde mir von Leuten, die ein gutes Standing drüben haben und denen bestimmt noch nichts passieren würde, wünschen, dass sie die Hälfte ihres Honorars ihrer Konzerte für einen Fonds spenden, der die entlassenen amerikanischen Familien unterstützt. Dass wäre alles, was im Moment nötig wäre, um zumindest zu sagen: Wir gucken nicht nur zu!
Das Gespräch führte Philipp Schmid.
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