"Hiskias" von Johann Nikolaus Forkel: Wiederaufführung nach über 200 Jahren
Johann Nikolaus Forkel gilt als Mitbegründer der historischen Musikwissenschaft, aber er hat auch komponiert. Sein Oratorium "Hiskias" ist 1779 entstanden und mutmaßlich seit dem 18. Jahrhundert nie wieder aufgeführt. NDR Kultur hat es am Ostermontag gesendet.
"Ein Klaggeschrey" solle Stadt und Land erfüllen, verlangt der Chor der Israeliten, denn ihr König Hiskias ist schwerkrank. Unerbittlich verkündet der Prophet die schreckliche Botschaft: "Fürst, deine Tage sind gezählt". Dabei hat Hiskias von frühester Jugend an alles für ein gottgefälliges Leben getan und den Aberglauben bekämpft.
Natürlich war seine Tugend nicht vergebens! Im zweiten Teil des Oratoriums - nach weiteren Klagegesängen und schließlich der frommen Resignation des Sterbenden - hat Gott ein Einsehen und schenkt seinem treuen Diener noch 15 weitere Lebensjahre. Und der dankbare Hiskias tut das, was Opern- und Oratorienhelden des 18. Jahrhunderts immer tun: Er singt Koloraturen.
Lyrische Schilderung: Über die Grenzen des Oratoriums hinweg
Johann Nikolaus Forkel kam als Student nach Göttingen und wurde 1779 zum ersten Akademischen Musikdirektor ernannt. "Hiskias" war die erste große Komposition des glühenden Bach-Verehrers. "Das Besondere an seinem Werk ist, dass er die Tradition des barocken Oratoriums verlässt", erklärt der Dirigent Antonius Adamske. "Er nennt es auch gar nicht mehr Oratorium, sondern eigentlich eine lyrische Schilderung. Das bedeutet, er rationalisiert die Handlung mehr oder weniger weg - zugunsten einer Betrachtung der Emotionen und Gefühlsregungen der handelnden Personen."
Adamske beschäftigt sich auch wissenschaftlich mit der Göttinger Musikpflege des 18. Jahrhunderts. Er hat die Partitur des "Hiskias" in einer Bibliothek aufgespürt und zusammen mit seinen Kollegen vom Göttinger Barockorchester spielbar gemacht - mit einigem Aufwand. Doch die Mühe hat gelohnt, findet der Konzertmeister Hans-Henning Vater, "weil es sehr elegante, formvollendete Musik ist, die auch angenehm für den Hörer ist, nicht nur für den Spieler. Man merkt sehr, dass Forkel aus der Spielpraxis kommt. Es macht Spaß, diese Musik zu spielen."
Forkels "Hiskias" erklingt das erste Mal seit dem 18. Jahrhundert
243 Jahre nach seiner Entstehung wurde "Hiskias" im vergangenen Dezember wieder aufgeführt - und mit der Paulinerkirche, der ehemaligen Universitätskirche, auch am idealen Ort. "Universitätsmusik und Kirchenmusik wurde zum einen von Studenten der Universität Göttingen betrieben, zum anderen kamen von Zeit zu Zeit aber auch die Stadtmusiker mit ihren Gesellen hinzu", sagt Adamske. "Von diesen wissen wir, dass sie Hörner gespielt haben, die bei Forkel relativ prominente Positionen einnehmen."
Und auch das gehört noch zur Geschichte des "Hiskias", eine weitere Auferstehungsgeschichte sozusagen: Zehn Jahre später überarbeitete Forkel sein Oratorium für eine Aufführung zur Feier der Genesung seines Herren: König Georg III. von England, deutscher Kurfürst und Rektor der Universität in einem. Wenn er gestorben wäre, hätte auch die gesamte Kirchenmusik für längere Zeit schweigen müssen!