Grand Concerto von John Stevens in Flensburg mit vier Tubisten
Das Grand Concerto von John Stevens ist eines der wenigen Konzerte für Tubaquartett und Orchester. Das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester hat es im Juni in Flensburg, Husum und Rendsburg auf die Bühne gebracht. NDR Kultur sendet das Konzert.
Keine steife Ostseebrise, sondern ein warmer Südwind blies am 26. Juni durch das Deutsche Haus in Flensburg: beim Konzert des Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchesters. Mit der ersten "Arlésienne"-Suite von George Bizet und Felix Mendelssohns "Italienischer" Sinfonie hatte der junge Erste Kapellmeister Sergi Roca Bru zwei populäre Werke mit viel Lokalkolorit aufs Programm gesetzt. Dazwischen gab es allerdings eine - akustisch und optisch aufsehenerregende - Premiere, passend zum Jahr der Tuba.
Schweres Instrument - bis zu elf Kilo schwer
Tubaspieler haben es schwer. Buchstäblich. Während eine Blockflöte je nach Größe nur ein paar hundert Gramm wiegt, schlägt ihr Instrument mit sieben bis elf Kilo zu Buche. Und anders als ihre Kollegen von der tiefen Fraktion, die Kontrabassisten, müssen die Tubisten oft lange Pausen durchsitzen. In der Oper können sie sich unauffällig für eine Weile aus dem Orchestergraben zurückziehen - in manchen Wagner-Partituren liegen bis zu 30 Minuten zwischen den einzelnen Einsätzen. Im Konzertsaal geht es nicht, da heißt es oft Warten und das Instrument für die nächste Stelle Warmhalten. Was für eine grandiose Chance also, wenn man eingeladen wird, bei einem Konzert für Tubaquartett und Orchester mitzuwirken!
Mit der Tuba das Instrument des Jahres feiern
Die Idee dazu hatte Jens Wischmeyer, Tubist - natürlich, was sonst?! - im Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchester: "Ich habe schon relativ früh vom Landesmusikrat Schleswig-Holstein die Information bekommen, dass die Tuba im Jahr 2024 Instrument des Jahres werden solle. Dann habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was wir hier am Landestheater anbieten könnten." Ihm sei schnell die Idee gekommen, ein Stück zu machen für Tubaquartett und Orchester - vielleicht auch in allen anderen schleswig-holsteinischen Orchestern. "Das hatte sich aber bald zerschlagen. Und so habe ich das große Glück gehabt, dass unser Chefgesagt hat: ‘Ja, Herr Wischmeyer, das ist überhaupt kein Problem. Wir machen das im Sinfoniekonzert*."
Im Juni war es dann so weit: bei drei Konzerten in Flensburg, Husum und Rendsburg spielten Jens Wischmeyer und seine Kollegen die norddeutsche Erstaufführung des Grand Concerto von John Stevens.
Vier Tubisten am Werk: "Jou, ich bin dabei!"
Vier Tubisten muss man allerdings erst mal zusammenbekommen. Ein normal großes Orchester hat in der Regel nur einen. Aber man kennt sich natürlich in der relativ kleinen Szene, und Jens Wischmeyer machte sich sofort ans Werk. "Ich habe tatsächlich niemanden angerufen, der mir gesagt hat, 'nee, ich will das nicht, ich mache das nicht.' Also alle haben sofort gesagt, 'jou, ich bin dabei'."
Niemand hat es bereut. "Das war eine unglaubliche Woche in Flensburg und mit den drei Konzerten", findet Daniel Ridder, der sein Brot als Solo-Tubist im Musikkorps der Bundeswehr verdient. Im Blechbläserensemble und auch im Tubaquartett hat er schon oft gespielt - aber noch nie als Solist in einem Konzert für vier Tubas und Orchester.
"Wischi, was für Leute holst du uns her!"
Der Chef einverstanden, drei Kollegen angeworben - da mussten nur noch die KollegInnen aus dem Orchester ins Boot geholt werden. Aber auch das war kein Problem, erzählt Wischmeyer fröhlich: "Wir haben das in den vergangenen Jahren immer mal wieder gehabt. Es gibt Stücke für Hornquartett und Orchester; wir haben ein Saxofonquartett mit Orchester gespielt, sodass es da überhaupt keine Berührungsängste gab, gar nicht. Nur gestaunt haben sie: 'Wischi, was holst du uns für Leute hierher? Das wird ja was!' Und als wir dann das erste Mal zusammen gespielt haben, waren sie, glaube ich, auch alle ganz angetan."
Vier gleichberechtigte Solisten
"Ein schönes Miteinander", bestätigt der Dirigent Sergi Roca Bru, Erster Kapellmeister am Landestheater Schleswig-Holstein, "aber es ist eine Herausforderung, auch für die vier wunderbaren Tubisten. Wir haben uns entschieden, die vier Tubas als Halbmond, also im Halbkreis direkt zwischen dem Dirigenten und den ersten Streicherpulten zu platzieren. Das heißt, die sind unmittelbar vor mir. Und ich habe es gleich in meinem Schädel gemerkt, beim ersten Tuba-Einsatz, wie es im ganzen Kopf mitschwingt, was sehr krass war!" Tatsächlich gehört dieses Stück zu den wenigen Werken der Literatur, in denen die Solisten lauter spielen können als das gesamte Orchester.
Mit ihren sieben Instrumenten decken die vier Spieler ungefähr den Umfang eines Chores ab, erläutert Jens Wischmeyer, nur der Sopran fehlt. "Dadurch ergeben sich natürlich andere Klänge, als wenn man vier gleiche Instrumente hat, die im gleichen Tonraum spielen. Das Tolle an diesem Stück ist, dass jeder mal solistisch vorkommt. Mit einem Mal ist die große Kontrabasstuba, die wir sonst eigentlich nur bei Bruckner, Mahler und natürlich bei Wagner kennen, ein solistisches Instrument. Fantastisch ist das!"
30 Meter goldglänzendes Messingrohr auf der Bühne
Wie viele Meter Messingrohr mögen da zusammengekommen sein? Daniel Ridder schätzt aus dem Stand: 50. Realistischer sind wohl 30 Meter, doch auch das ist noch ein toller Anblick: sieben goldglänzende Instrumente, von der riesigen Kontrabasstuba, bis zum vergleichsweise zierlichen Euphonium. Das wird häufig von Posaunisten als Nebeninstrument gespielt, erklärt Jens Wischmeyer, weil sie besser mit dem kleineren Mundstück und der kleineren Mensur zurechtkommen.
Er selbst beherrscht neben der großen Tuba auch das Euphonium, überließ die schwindelerregend hohen Töne der ersten Stimme aber doch lieber dem Kollegen Ridder. Als dritter Mann wurde ein junger Chinese gewonnen, Henghui Liu, der noch an der Stuttgarter Musikhochschule studiert, aber schon etliche Preise gewonnen hat. "Um dritten Satz singt er wunderschön auf seiner Tuba. Und den Kollegen vom Bayerischen Rundfunk, den wollte man schon gern auch mit der großen Tuba hören, das war von vornherein schon so vorgesehen", sagt der Organisator Wischmeyer.
Kämpfen für das Image der Tuba
Stefan Tischler stammt wie er aus Westfalen, ist aber am entgegengesetzten Ende der Republik gelandet: als Solo-Tubist im BR-Symphonieorchester. Ein Traumjob, sollte man meinen, aber auch er hat noch immer mit Klischees zu kämpfen, etwa dass alle Tubisten langsam, behäbig und dick seien. Sind sie nicht - ebenso wenig wie die Tubistinnen, die inzwischen auch diese Männerbastion gestürmt haben!
Noch immer müsse man für das Image der Tuba kämpfen, hat Tischler mal in einem Fachmagazin für Blechbläser geklagt: "Stets müssen wir sagen: 'Eigentlich können wir auch ganz toll spielen! Wir haben einen sehr großen Tonumfang! Wir haben einen singenden Klang, wie ein Cello, wir können so technisch spielen wie ein Horn.' Manchmal muss man eben darauf aufmerksam machen."
Dafür ist das Jahr der Tuba ja bestens geeignet, und selbst Sergi Roca Bru gibt zu: "Ich muss ehrlich gestehen, ich war überrascht!"