Fans in der Klassik-Szene: Leidenschaftlich, aber ruhig
Den Fans der Klassik haftet immer noch eine gewisse Schöngeistigkeit an. Aber auch unter ihnen gibt es richtige Fans, die emotional und ein bisschen besessen sind, aber immer voller Liebe für ihre Musik.
Ruhe jetzt. Respektvolle Zurückhaltung ist angebracht, wenn ein Maestro oder eine Maestra ans Pult treten. Während in jedem anderen Musikgenre das Publikum schreit und tobt, wenn die Band oder die Interpreten ihrer Begierde die Bühne betreten, wird in klassischen Konzertsälen leise geraschelt, gehüstelt, flüsternd geklatscht.
Gemeinsamkeiten von Metalheads und Klassik-Fans
"Moshpit" wird der wild tanzende Kreis vor der Bühne bei Metal-Konzerten genannt, wo Menschen, die im zivilen Alltag wahrscheinlich gar nicht so sehr auffallen, springen, schreien, sich schubsen, ekstatisch Arme und Beine schwingen. Und die in der ersten Reihe sitzenden, gelegentlich vielleicht mal nervös hüstelnden oder mit dem Programmheft wedelnden Besucherinnen und Besucher in Konzertsälen von Elphi bis Carnegie Hall scheinen das komplette Gegenteil im Spektrum von Musikfans zu sein.
Aber sie alle haben mehr Gemeinsamkeiten als man denken könnte, wie eine Studie der Heriot-Watt Universität Edinburgh schon 2009 gezeigt hat. Klassik-Hörer und Metalheads haben identische psychologische Profile. So haben Metal-Fans häufig eine friedvolle Natur, die von der öffentlichen Wahrnehmung weit entfernt ist. "In Wahrheit sind sie äußerst empfindliche Wesen" - so wie auch Klassik-Liebhaber.
Klassik-Live-Besucher vs. Bundesliga-Besucher
Ein Podcast der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz trägt das ultimative Fansein etwas krawalliger schon im Titel: "Klassik Ultras". Da heißt es zum Auftakt: "Klassik Ultras - ein Podcast der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Wenn wir uns Klassik Ultras nennen, ist ja klar, dass wir etwas radikalere Konzepte verfolgen wollen." Die große Begeisterung der Fangemeinden von klassischer Musik lässt sich nicht nur in Applaus sondern auch in Zahlen messen: Deutschlands Orchestervereinigung (DOV) hat Konzertbesuche mit den Stadionbesuchen der ersten Fußball-Bundesliga verglichen. Es stehen jährlich 18,2 Millionen Klassik-Besuchende 13,2 Millionen Bundesliga-Stadionbesuchenden gegenüber.
Busladungen voller Fans sind auch kein Einzelphänomen von Sportsfreunden. Auch Klassik-Fans organisieren Reisen zu Auswärtsspielen, wie Thomas Diestel, der Vorsitzende der Philharmonischen Gesellschaft Rostock, der schon mit einem Bus voller Fans der norddeutschen Philharmonie Rostock zu einem Konzert nach Köln hinterher gereist ist: "Mitzuerleben, wie die Rostocker Philharmonie in Köln spielen wird, und die Gemeinsamkeit mit der Philharmonischen Gesellschaft, das ist schon ein Erlebnis wert. Seit vielen Jahren bemühen wir uns auch Events für die Begeisterung der Mitglieder zu schaffen und was kann es da Schöneres geben, als gemeinsam nach Köln zu fahren und so etwas erleben zu dürfen."
Klassik-Stars leben von großer Aufmerksamkeit ihrer Fangemeinde
Im Podcast "Klassik für Klugscheißer" des BR haben die Hosts dem Starkult in der Klassik eine ganze Folge gewidmet. Mögen einem Klassik-Fans heutzutage zurückhaltend erscheinen, hat vor knapp 200 Jahren ein junger Pianist und Komponist seine Fans ganz unzeitgemäß völlig aus der Bahn geworfen: "Franz Liszt war eigentlich wie ein Popstar von heute. Der hat an seiner Bühnenshow gefeilt, der hat auch den passenden Look gehabt, gut aussehend, dunkles langes Haar, gerne wild ins Gesicht gehangen, eine totale Rampensau, ein totaler Selbstdarsteller, eine richtige Diva auch. Frauen hat er damit um den Verstand gebracht, die sollen bei seinen Auftritten reihenweise in Ohnmacht gefallen sein und weil er damals so krass gehyped worden ist, gab es eine richtige Lisztomanie. Und die wird auch heute noch so genannt, diese Zeit: Lisztomanie."
Die großen Stars der Klassik-Szene leben heutzutage natürlich auch von der großen Aufmerksamkeit ihrer Fangemeinde. Startenor Luciano Pavarotti hat sehr viel Respekt vor seinen leidenschaftlichen Fans gehabt - in guten wie in schlechten Zeiten: "Sie können einen kritisieren, sogar ausbuhen. Das ist ihm zwar selten aber dennoch widerfahren: Einmal, als er Don Carlos im 2. Akt ein wenig ungewohnt unperfekt performt hat. "Das sind Leute, die leben für die Oper", erzählte er. "Sie geben der Oper alle ihre Liebe, glauben, dass sie die ultimativen Kenner sind, genau wissen, was da los ist. Sie glauben, das Recht zu haben, zu applaudieren oder jemanden auszubuhen. Und wollen Sie meine Meinung hören dazu? Ich denke, sie haben Recht."
Stagediving meets classic
In Konzertsälen wird aber nicht nur applaudiert oder auch mal ausgebuht, auch Klassik-Fans können ihre Stars schon mal auf Händen tragen. Ganz buchstäblich, wenn ein Exzentriker wie Chilly Gonzales in der ehrwürdigen Hamburger Laeiszhalle am Ende des Konzertes ins Publikum springt - Stagediving meets classic, so geschehen 2022.