Esa-Pekka Salonen: Multitalent im Kulturbereich
Der Finne Esa-Pekka Salonen ist nicht nur ein gefeierter Dirigent und Komponist, er ist auch ein erfolgreicher Musikvermittler, Festivalleiter und Klang-Aktionskünstler. Ein Porträt.
Als Komponist, Dirigent und Festivalleiter ist Esa-Pekka Salonen weltweit unterwegs: "Ich komponiere meist am Computer, manchmal auch handschriftlich auf Papier. Doch dann kehre ich schnell zum Computer zurück, weil die Software so fantastisch ist." Wenn er zwischen Proben, Konzerten und Interviewterminen noch Zeit findet, arbeitet er an seinen neuen Kompositionen: "Wenn ich auf Reisen bin, habe ich mein gesamtes Kompositionsmaterial auf dem Laptop. Das ist großartig. Ich öffne ihn und bin in meinem Studio in L.A."
Für seine Konzerte in Hamburg hat Salonen zwei Werke mitgebracht. Das kurz vor Weihnachten uraufgeführte Klarinettenkonzert "Kinéma" und das Orchesterwerk "Gemini" von 2019. In "Gemini" widmet er sich den beiden ungleichen Zwillingen aus der griechisch-römischen Mythologie "Pollux" und "Castor": "Ich habe gemerkt, dass das Material immer mehr wuchs und sich in zwei unterschiedliche Richtungen entwickelte. Eine Form von Dichotomie: Zwei völlig unterschiedliche Teile."
"Gemini"-Leitmotiv entstand in einem Pariser Restaurant
Aus einem geplanten einsätzigen kurzen Orchesterstück wurde ein fast halbstündiges Werk, aufgeteilt in zwei Sätze. "Pollux" der Halbgott und "Castor" der irdische Held: "In meinem Stück verarbeite ich nicht die komplette Geschichte der beiden Brüder in allen Einzelheiten. Es geht mir um das Erscheinungsbild der beiden." Durch das gesamte Werk zieht sich ein bestimmtes Motiv, ein Leitmotiv, eine Idée fixe.
Auf dieses Motiv ist er bei einem Restaurantbesuch in Paris gestoßen. Dort lief als Hintergrundmusik ein Post-Grunge-Stück, das ihm nicht mehr aus dem Ohr ging: "Ich saß da, trank etwas Wein, und musste mir unbedingt diese Bass-Linie notieren. Den Zettel schob ich dann in mein Jackett. Einige Wochen später erinnerte ich mich wieder an den Abend in Paris und ich kramte den Zettel hervor. Daraus entstand das musikalische Material für Pollux und Castor."
Salonen entdeckt künstlerische Freiheit in Los Angeles
Als Absolvent der renommierten Sibelius Akademie in Helsinki gehört Salonen in den 80er Jahren zu den jungen Wilden. Er dirigiert die großen Orchester in London, Los Angeles, wird Chef des Schwedischen Radio-Sinfonieorchesters und bei den Salzburger Festspielen gefeiert. An diese Erfolge können seine Kompositionen zunächst nicht anknüpfen: "Ich war innerlich zerrissen. Als ich dann nach Los Angeles ging, war ich weit weg von Europa, weit weg von Pierre Boulez und all diesen Leuten, vor denen ich Angst hatte. In L.A., ich war damals Mitte dreißig, hatte ich plötzlich das Gefühl von Freiheit. Ich wusste, hier kann ich schreiben, was mir gefällt."
Der umtriebige Finne zählt zu den erfolgreichsten Komponisten und sorgt dabei mit seinen interaktiven Klang-Installationen weltweit für Aufsehen. Eine beispiellose Karriere, alles könnte so großartig sein für Esa-Pekka Salonen, wenn da nicht die Weltpolitik wäre: "Wir leben in einer postfaktischen Kultur, in der die Wahrheit keine große Rolle mehr spielt. Menschen in höchsten politischen Ämtern der größten Nationen verbreiten Lügen, ohne sich dabei zu schämen. Sie haben viele Anhänger, die all das nicht hinterfragen. Das macht mich wütend, und da ich bin nicht der Einzige."