"Contra-Tenor": Album der Woche von Spitzenmusiker Michael Spyres
Michael Spyres ist ein Phänomen: Der US-amerikanische Sänger bezeichnet sich als "Baritenor", also ein Zwitter aus Bariton und Tenor. Und das ist nicht zu viel versprochen. Das demonstriert er auch auf seiner neuen CD.
Als Sultan in einer Händel-Oper klingt Michael Spyres majestätisch und dunkel. Ganz anders sein Sound im französischen Barock, bei Rameau. Als verliebter Neptun singt er plötzlich hell und weich, wie ausgewechselt.
Der US-Amerikaner Michael Spyres, Mitte 40, beeindruckt mit seiner Wandlungsfähigkeit, sensibel und wachsam begleitet vom Ensemble Il Pomo d’Oro unter Leitung von Francesco Corti. Wie ein vokales Chamäleon passt sich Spyres seiner musikalischen Umgebung an. Die Stimme gleitet geschmeidig durch die Koloraturen der Arien. Und dann strahlt plötzlich ein Spitzenton raus, dass einem das Trommelfell glüht.
Technische Showeffekte und zärtliche Töne
Über mehr als drei Oktaven erstreckt sich der Stimmumfang des Baritenors. Und er hat spürbar Lust daran, das auch zu zeigen. Manchmal schießt er dabei fast übers Ziel hinaus - dann geht das schon ein bisschen in Richtung Zirkusnummer. Aber wer kann, der kann.
Und Spyres beschränkt sich ja nicht auf solche Showeffekte. Sie blitzen wohldosiert. Er ist vor allem ein großartiger Sänger. Mit einer fantastischen Technik, aber auch mit Wärme und feinem Schmelz. Mit dem becirct er etwa als Orpheus, der den Tod seiner geliebten Eurydike beklagt. Hinreißend, dieses Schluchzen und Seufzen. Immer geschmackvoll und nahe am Text. Zusammen mit dem Orchester folgt Spyres den Akzenten der Sprache und findet einen zärtlichen Ton.
Michael Spyres: Ein Spitzenmusiker mit zwei Stimmen
Die Arie aus Glucks Orpheus und Eurydike ist eine der bekannteren Nummern. Das Programm enthält aber auch selten aufgeführte und sogar erstmals eingespielte Stücke - darunter eine Bravour-Arie aus einer Oper von Gaetano Latilla. Hier schaltet Spyres virtuos zwischen hoher und tiefer Lage um. Zwei Stimmen wohnen in seiner Brust - mindestens. Man traut sich fast nicht zu sagen, dass hier und da schon auch mal ein Ton ein bisschen forciert oder etwas weniger schön klingt. Aber das spielt auch eigentlich keine Rolle. Weil Michael Spyres mit dem Album unterstreicht, dass er eine sängerische Ausnahmeerscheinung und ein Spitzenmusiker ist.
Contra-Tenor
- Genre:
- Klassik
- Zusatzinfo:
- Michael Spyres, Ensemble Il Pomo d’Oro, Leitung: Francesco Corti
- Label:
- Warner Classics