Der Dirigient John Eliot Gardiner steht vor einem Ensemble und dirigiert. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS Foto: Richard Pohle

Comeback mit Knalleffekt: Dirigent Gardiner kehrt zurück

Stand: 09.09.2024 16:34 Uhr

Der Dirigent John Eliot Gardiner gastiert im Dezember mit seinem neu gegründeten The Constellation Choir and Orchestra in der Elbphilharmonie. Damit tritt er in Konkurrenz mit Ensembles, die er einst gegründet und jahrzehntelang geleitet hatte.

von Marcus Stäbler

Die Geschichte ist eine Art Drama hinter den Kulissen. Und das beginnt damit, dass John Eliot Gardiner handgreiflich wird. Im August 2023 soll der Dirigent einen Sänger hinter der Bühne geohrfeigt haben, weil der zur falschen Seite von der Bühne abgegangen sei. Gardiner war zwar schon vorher als mitunter aufbrausend bekannt - aber damit hatte er ganz klar eine rote Linie überschritten. Und das war ihm auch bewusst.

Aufrichtige Entschuldigung für Ohrfeige

Gardiner, damals 80 Jahre alt, schreibt in einer öffentlichen Stellungnahme: "Ich bedaure den Vorfall zutiefst und entschuldige mich vorbehaltlos dafür, dass ich die Beherrschung verloren habe. Für mein Verhalten gibt es keine Rechtfertigung, und ich habe mich persönlich bei Will Thomas, für den ich die größte Achtung empfinde, entschuldigt."

Gardiners Entschuldigung wirkt aufrichtig, anders als bei manchen anderen Fällen von Machtmissbrauch. "Ich bin untröstlich, dass ich so viel Leid verursacht habe, und ich bin entschlossen, aus meinen Fehlern zu lernen", lässt der Dirigent damals mitteilen. Er sagt alle geplanten Auftritte für 2023 ab und kündigt an, er wolle sich gemeinsam mit seinen medizinischen Beratern auf seine mentale Gesundheit konzentrieren.

Erstes Comeback Mitte Juli

Einzelne Stimmen spekulierten damals, das könne das unrühmliche Ende von Gardiners Karriere sein. Zumal er seine Auszeit im Februar diesen Jahres noch einmal verlängerte. Aber er denkt nicht an Ruhestand oder stillen Abschied von der Öffentlichkeit. Mitte Juli feierte Gardiner ein erstes Comeback in Montpellier mit dem Orchester des französischen Rundfunks.

Am 24. Juli kam schließlich die Nachricht der Trennung Gardiners von seinen langjährigen Partnern, in zwei Versionen. Da wurde schon um die Deutungshoheit gerungen. Erst verkündete der Vorstand von Monteverdi Choir and Orchestra, dass Gardiner nicht mehr zur Organisation zurückkehren werde. Wenige Minuten später meldete sich Gardiner selbst über seine Agentur zu Wort und erklärte, dass er die Leitung der von ihm gegründeten Ensembles Monteverdi Choir und English Baroque Soloists abgeben werde.

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Ende sechzigjähriger Zusammenarbeit

Das war ein harter Einschnitt, nachdem Gardiner mit den Ensembles sechzig Jahre lang zusammengearbeitet und oft künstlerische Maßstäbe gesetzt hatte - gerade in der Barockmusik. Und die Entscheidung offenbart einen tiefen Riss zwischen den Betroffenen. Ein offener Brief, der angeblich für 123 Musikerinnen und Musiker der Ensembles sprach, erklärte, dass die große Mehrheit mit Gardiner weitermachen wolle. Dagegen behauptete die Gegenseite, dass dieser Brief nur ein schmutziger Trick sei, geschrieben von einer kleinen Minderheit.

Neugründung direkte Konkurrenz zu ehemaligen Ensembles

Von außen sah das sehr nach Grabenkämpfen zwischen zwei Fraktionen innerhalb der Ensembles aus. Vielleicht sogar nach einer möglichen Spaltung. Und die ist jetzt tatsächlich vollzogen. Wie gerade bekannt wurde, hat John Eliot Gardiner zwei neue Ensembles gegründet. Sie heißen The Constellation Choir and Orchestra - und vereinen auch einige der Musikerinnen und Musiker, die lange bei den English Baroque Soloists unter ihm gespielt haben. Mit der Neugründung tritt Gardiner ganz direkt in Konkurrenz zum Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists. Im Dezember geht er mit seinen neuen Ensembles auf Tournee. Mit exakt demselben Weihnachtsprogramm, das er in dieser Zeit eigentlich mit seinen ehemaligen Ensembles geplant hatte.

Elbphilharmonie bucht beide konkurrierenden Programme

Das kann man natürlich als Verdrängungskampf interpretieren oder als Racheakt. Vielleicht ist es aber auch einfach Gardiners künstlerische Kompromisslosigkeit. Jedenfalls dürften sich viele Veranstalter vor die Wahl gestellt sehen, entweder das eine oder das andere einzukaufen. Die Elbphilharmonie in Hamburg ist das einzige Konzerthaus, das beide Programme anbietet: Am 7. Dezember feiert John Eliot Gardiner in der Elbphilharmonie das Debüt von The Constellation Choir and Orchestra, mit Werken von Bach und Charpentier. Dieselben Weihnachtsstücke erklingen dann nochmal eine Woche später, in einem Konzert mit dem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists unter Leitung von Christophe Rousset.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 09.09.2024 | 16:45 Uhr

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