Bekannt, aber nicht vertraut: Uraufführung von Bachs Lukas-Passion
Eine Uraufführung der besonderen Art: Der CPE Bach-Chor und das Dresdner Festspielorchester präsentierten in der Laeiszhalle die Lukas-Passion von Johann Sebastian Bach - in einer rekonstruierten Fassung.
"... wenn das von Sebastian ist, so lass ich mich hängen, und doch ist's seine Handschrift. Aber es ist zu reinlich, er hat es abgeschrieben." Harte Worte von Felix Mendelssohn Bartholdy, als er das Manuskript der Lukas-Passion von Johann Sebastian Bach unter die Lupe nimmt. Zweimal hatte Bach in Leipzig eine Lukas-Passion aufgeführt, seine Nachkommen hatten die Passion ihm zugeschrieben: BWV 246. Und nun sollte er sie abgeschrieben haben? Das war damals gar nicht so ungewöhnlich, mit dem Urheberrecht hat Johann Sebastian Bach es nicht immer so genau genommen.
Am Dienstagabend hat der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg mit Hansjörg Albrecht und dem Dresdner Festspielorchester die Lukas-Passion (ur)aufgeführt. Diese rekonstruierte Fassung erstellten die Freisinger Barockexperten Christoph und Lorenz Englhuber nach dem "Parodieverfahren", das Bach selbst häufig anwandte: Wenn die musikalische Wirkung zur Aussage des Textes passte, verwendete er Kompositionen gerne mehrfach. Effizientes Arbeiten im Kantoren-Dauereinsatz.
Lukas-Passion klingt nach Bach und doch unvertraut
So erlebt man an diesem Abend die Passion aus dem Lukas-Evangelium musikalisch nach allen Regeln von Bachs Kunst der Textausdeutung vertont: Die Trauer um den Konflikt zwischen Jesus und den Jüngern, den überforderten Pilatus, den Jesus, hervorragend gesungen Matthias Winckhler, der hier schicksalsergeben zu seinem Gott geht: "Ich befehle dir meinen Geist in deine Hände!". Mühelos versteht man die langen Handlungspassagen des Evangelisten Daniel Johannsen bis in den letzten Winkel der Laeiszhalle. Dirigent Hansjörg Albrecht treibt ihn mit scharfen Harmonien vom Cembalo aus. Gerne folgt man dem Carl Philipp Emanuel Bach-Chor, sei es bei den die Handlung beruhigenden Chorälen oder sie antreibenden Chören. Und doch scheint es, als würden nicht wenige im Publikum doch auf die Klassiker aus den bekannten Bach-Passionen warten. Alles wirkt bekannt, und doch so noch ungehört.
Die eigene Erfahrungsgeschichte, die man mit den bekannten geistlichen Bach-Werken hat, fehlt hier. So fühlt man sich mit der eigentlich vertrauten Musik seltsam unverbunden. Das mag eines Tages anders sein, sollte es diese Neufassung der Lukas-Passion in den Kanon der Bach-Werke schaffen.