Bach rekonstruiert: Uraufführung von Lukas-Passion in Hamburg
Als Thomaskantor in Leipzig musste Johann Sebastian Bach jedes Jahr in der Karwoche eine neue Passionsmusik aufführen. Am 12. März wird eine neue Fassung von Christoph und Lorenz Eglhuber in der Hamburger Laeiszhalle uraufgeführt: die Lukas-Passion.
Johann Sebastian Bach hat diverse Passionsmusiken aufgeführt - vollständig überliefert sind nur die Johannes-Passion von 1724 und die Matthäus-Passion von 1727. Von seiner Markus-Passion hat sich lediglich der Text erhalten. Für das Jahr 1730 ist außerdem noch eine Lukas-Passion in Bachs Handschrift überliefert. Inzwischen hat die Forschung aber festgestellt, dass es sich dabei um ein "Pasticcio" handelt, also um zusammengefügte Ausschnitte aus den Werken mehrerer Komponisten. Wie aber könnte eine authentisch Bach’sche Lukas-Passion geklungen haben? Bereits 2011 hat sich der Hamburger Kirchenmusikdirektor an St. Jacobi, Rudolf Kelber, erfolgreich an einer Rekonstruktion versucht.
Pandemie gab Eglhuber Zeit für Passionsprojekt
Für das aktuelle Projekt sind zwei Musiker, Vater und Sohn Christoph und Lorenz Eglhuber, verantwortlich. Die hatten plötzlich sehr viel Zeit: "In kurzen Schlaglichtern: Pandemie und Bach-Gesamtausgabe zuhause. Und beim Durchsehen - das hat vor allem Lorenz gemacht - der vielen Kantaten sind so viele unbekannte Edelsteine ans Tageslicht gekommen, dass er danach gesagt hat, Mensch, da müsste man eine Passionskantate oder ein Passionsoratorium daraus machen. Ich habe gesagt, das ist ein zu großes Projekt, das wird nie aufgeführt. Dann war ich aber schon im Boot, ohne dass ich es wusste. Der nächste Schritt war Hansjörg Albrecht, der für solche innovativen Projekte immer ein offenes Ohr hat", erklärt Christoph Eglhuber.
Hansjörg Albrecht und sein CPE-Bach-Chor im Boot
Hansjörg Albrecht, langjähriger künstlerischer Leiter des Münchener Bach-Chors und -Orchesters, hat in diesem Jahr den Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor in Hamburg übernommen. Albrecht arbeitet schon seit Jahren mit Eglhuber zusammnen und war sofort Feuer und Flamme für die Idee - unter einer Bedingung: "Da habe ich gesagt, lasst jede Nähe zu Johannes-Passion und zur Matthäus-Passion, weil das ist für mich die Krux aller Rekonstruktionen der Markus-Passionen, die es bisher auf dem Markt gibt, dass man immer meint, am Anfang kommt irgendetwas aus einer Kantate. Und dann ist man leider zu nah an Johannes und Matthäus dran, weil man sich immer der Musik dieser beiden Passionen bedient", meint Albrecht.
Rezitative mussten neu komponiert werden
Also durchsuchten die beiden Eglhubers Bachs gesamtes Oeuvre nach in Tonart, Tempo und Affekt passender Musik. Die Dramaturgie gab das überlieferte Textbuch vor. "Der erste Schritt waren natürlich tolle Arien, viel mehr, als wir überhaupt verwerten konnten, die keiner kennt. Der zweite Schritt waren dann Eingangschöre und Schlusschöre. Das ist auch unproblematisch, weil es da auch sehr viele passioneske Stücke gibt. Der nächste Schritt war dann die Turbae, aufgebrachtes Volk, die Juden, Priester, was da so kommt. Da haben wir dann relativ viel Zeit investiert auf der Suche nach Chören, die sich auf die Texte, die wir hatten, platzieren lassen. Und dann war natürlich das große Fragezeichen: was passiert mit den Rezitativen?", schildert Elghuber die Vorgehensweise. Die Antwort: Die Rezitative mussten als einzige komplett neu komponiert werden. "Das war wirklich intensiv", blickt Eglhuber auf die anstrengende Arbeit zurück.
Intensive Arbeit mit Münchener Bach-Orchester
Dann ging es mit dem Münchener Bach-Orchester in Klausur. "An zwei Tage à acht Stunden pro Tag haben wir die gesamte Partitur durchgespielt. Ungefähr ein Viertel flog danach sofort wieder raus. Unser Ansatz war, wirklich etwas zu schaffen, was der Matthäus-Passion und der Johannes-Passion in der Dramatik, in der Wucht, in der Originalität wirklich ebenbürtig ist", erläutert Albrecht die Vorgehensweise. Dafür waren kreative Lösungen gefragt: Als Eröffnungschor dient zum Beispiel ein großes Orgelpräludium in c-Moll. "Daraus haben wir einen Eingangschor gebastelt, der genau die gleiche Wucht hat wie 'Kommt ihr Töchter, helft mir klagen' oder 'Herr, unser Herrscher'", so Albrecht.
Uraufführung der Lukas-Passion am 12. März
Wenn die neue Lukas-Passion nun in Hamburg aufgeführt wird, heißt das noch längst nicht, dass sie fertig ist. Ein solches Projekt bleibt für Hansjörg Albrecht bis zur Drucklegung ein work in progress. Aber bei Bach war es seinerzeit nicht viel anders. "Er hätte vielleicht sagen können, was pfuscht ihr an meinen Stücken rum?! Oder er hätte sagen können, ja, das hätte vielleicht so ähnlich bei mir auch sein können. Wir wissen es nicht. Also, die Demut ist da, Bach ist nicht zu erreichen, völlig klar. Er ist zu kopieren. Aber wir haben natürlich nur das Mandat, dass wir von ihm lernen und dass wir versuchen, in seinem Sinne vorzugehen. Dass wir das natürlich nicht erreichen, ist uns klar.“
Die Uraufführung in der Hamburger Laeiszhalle findet am Dienstag, 12. März, um 19.30 Uhr statt. Es spielen der CPE Bach-Chor Hamburg und das Dresdner Festivalorchester unter der Leitung von Hansjörg Albrecht. Das Konzert gibt es außerdem zum Nachhören auf NDR Kultur am Karfreitag, 29. März, ab 19 Uhr.