Unabhängig in jeder Hinsicht: Stephanie Lottermoser
Der lange Weg zur Unabhängigkeit ist das zentrale Thema von Stephanie Lottermosers Künstlerinnenbiografie. Schon in ihrer alten Heimat München hat sie konsequent nach Eigenständigkeit gestrebt und wenig Kompromisse gemacht.
Als Wahl-Hamburgerin zeigt sich die Saxophonistin und Sängerin streitbar im besten Sinne und absolut stilbewusst. Das hört man ihrem sechsten Studioalbum "In-Dependence" durchaus an. Die Schreibweise des Titels hat sie absichtlich gewählt: Stephanie Lottermoser weiß genau, dass es vollständige Unabhängigkeit eigentlich gar nicht geben kann. Aber vielleicht kleine Schritte in die richtige Richtung. Wie die sich bei ihr anhören, hat Stephanie Lottermoser bei NDR Kultur EXTRA in Begleitung ihres Pianisten Till Sahm gezeigt.
Das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung listet "In-Dependence" als eines der 100 besten Jazz-Alben des Jahres 2022 weltweit. "In-Dependence" hat in dieser Schreibweise zwei Bedeutungen: Unabhängigkeit und Abhängigkeit. Stephanie, du machst die Musik, die du cool findest, aber manchmal sitzt du zwischen den Stühlen. Für die Jazz-Redaktionen war vieles, was du gemacht hast, zu poppig. Und umgekehrt war vieles für die Pop-Redaktionen zu jazzig. Wann kam der Zeitpunkt, wo du ganz unabhängig gesagt hast, das ist nicht mein Problem?
Stephanie Lottermoser: Gemacht habe ich, glaube ich, schon immer, was mir am besten gefallen hat oder wo ich das Gefühl habe, dass ich am authentischsten damit sein kann. Ich glaube, mit eigener Musik sollte man so authentisch wie möglich sein. Da mögen mir jetzt viele Mainstream-Pop Label widersprechen. Ich habe immer das Gefühl gehabt, mit dem, was ich wirklich aussagen will, auch das Publikum am besten zu erreichen. Aber das, was du gerade beschreibst, hat mich tatsächlich meine ganze Karriere lang begleitet. Zum Teil haben manche Jazzredaktionen oder auch Veranstalter gesagt: "Das gefällt uns vielleicht gut, oder: das ist gut gemachte Musik, aber das ist uns nicht jazzig und offen genug." Auf der anderen Seite sagen die Mainstream-Sender: "Aber das ist Jazz, das können wir nicht in einer Pop-Sendung spielen." Ich bin immer zwischen den Stühlen und rutsche hin und her, aber ich fühle mich trotzdem da, wo ich bin, sehr wohl. Ich glaube, Gedanken gemacht habe ich mir früher mit Sicherheit mehr darüber, wem das jetzt gefallen sollte und wem nicht, aber mit der Zeit habe ich immer mehr daran gearbeitet, meine Mitte zu finden. Das ist vermutlich weiterhin ein Weg und ein Prozess, aber ich fühle mich eigentlich ganz wohl dabei.
Unabhängig bist du insofern, als dass du alles selber machst. Du produzierst, du machst das Booking, du bist dein eigenes Management. Das ist viel Büroarbeit, oder?
Lottermoser: Sehr viel Büroarbeit. Unabhängigkeit macht sehr viel Arbeit.
Unabhängigkeit strebst du als Musikerin auch weiter in einer Branche an, die von Männern dominiert ist, nach wie vor. Ich hätte gehofft, dass das mit den Geschlechtern überhaupt kein Thema mehr sein müsste, 80 Jahre nach Sarah Vaughan oder Billie Holiday. Jetzt kommst du, und du hast dir mehrfach anhören müssen: "Du spielst wie ein Mann." Till, hat dir schon mal jemand gesagt, du spielst wie eine Frau?
Till Sahm: Nein, aber da hätte ich mich sehr gefreut.
Das Verrückte ist, das würde für die meisten bedeuten, du spielst nicht gut. Zum Beispiel im Fußball, wenn jemand sagt, du spielst wie ein Mädchen, das ist nicht so gut. Was war das andere, das du gehört hast, Stephanie?
Lottermoser: Ich hatte Unterricht bei einem Mann im Hauptfach Saxophon. Ich hatte ihm im Unterricht eine Frage über irgendeine Tonleiter gestellt, wahrscheinlich über irgendeine Harmonielehre. Die Frage hat er mir beantwortet und im Nachgang hat er gesagt. "Aber später, wenn du mal verheiratet bist und Kinder hast, wirst du das nicht brauchen."
Du selbst sagst von dir, du hast das Gefühl, dir als Frau weniger Fehler leisten zu können, weil du kritischer betrachtet wirst.
Lottermoser: Ja, ich habe schon das Gefühl, dass bei Frauen zum einen auch die Optik immer noch ein bisschen mitbewertet wird und dass man dadurch immer schnell in dieses Feld kommt von: "Guck mal, die macht sich ganz hübsch zurecht und dann steht die auf dieser Bühne, weil die Leute sie gerne anschauen." Dann verzeiht man eher, wenn jemand nicht so gut spielen kann. Das ist natürlich wahnsinnig peinlich, wenn jemand so etwas sagt. Ich gucke natürlich, wie ich aussehe, bevor ich auf die Bühne gehe. Aber das machen Männer genauso und das machen eben Leute, die auf die Bühne gehen. Aber das dann angenommen wird, dass es schlechtere Qualität wäre, ist ein böses Vorurteil. Das ist in meiner Karriere schon auch oft passiert.
Ein Problem ist vielleicht, dass es bis heute immer noch ganz wenige Jazz-Dozentinnen an Hochschulen gibt. Hast du mal darüber nachgedacht, dein Wissen auch lehrend weiterzugeben?
Lottermoser: Bisher noch nicht in Form von einer festen Stelle. Ich gebe ab und zu Workshops, ich bin nach wie vor beim Landes-Jugendjazzorchester Bayern als Dozentin tätig und bin manchmal frei als Coach unterwegs, bei Leuten, die mich dafür anfordern. Im Moment will ich lieber live auf der Bühne stehen und auf Tour gehen und mich da nicht zeitlich binden. Mir wäre es aber früher sehr wichtig gewesen, direkt eine weibliche Vorbildfunktion in meiner Nähe zu haben, weil ich an der Hochschule immer nur bei Männern Unterricht gehabt habe. Als ich Candy Dulfer entdeckt habe, war das für mich die größte Entdeckung überhaupt. Eine Frau zu sehen, die auf der Bühne steht und Saxophon spielt, das kannte ich nicht. Ich habe mir viele Jahre lang ganz tolle Platten von ganz tollen männlichen Jazz-Saxophonisten angehört, das ist natürlich auch in Ordnung, aber es macht auf jeden Fall etwas mit einem, wenn man vom gleichen Geschlecht jemanden auf der Bühne sieht, der das auch macht.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.